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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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bewegten sich, es war ein Anblick, wie wenn die junge Februarsonne
über Schnee- und Eisfelder aufgeht. So saß er da, das Glas in
der Hand und in langsamen Zügen das erwärmende, belebende Ge¬
tränk schlürfend, vielleicht eine bedeutende Ruine, zerbrochen durch die
Verhältnisse und Stürme der Zeit. Die finstre Nacht, das kleine
sonderbare Haus und der alte, unbekannte und einsame Dichter in
seinem obersten, ärmlichsten Dachstübchen, welch ein Schatz, welch
eine Quelle von Romantik! Mir wurde in dieser Umgebung so warm
und weh, als wären alle die unschuldigen, träumerischen Gefühle
meiner ersten Jugend wieder in mir aufgegangen. Der Alte holte
einen hohen Stoß Papier aus seinem Schreibpult. Ich bemerkte
auf sehr unsaubern Papier eine sichre zierliche Handschrift. Er zeigte
mir sechs vollendete Dramen und einige Romane, mit der Versiche¬
rung, daß er dieselben vor seinem Tode verbrennen und Niemandem
etwas davon vorlesen werde. Endlich aber schlug er ein dickes,
schwarz gebundenes Buch auf, es war seine Lebensgeschichte. Ich
schenkte zum letzten Male ein und er fing an zu lesen. Er las mit
dumpfer, gehobener Stimme, während das nächtliche Unwetter drau¬
ßen mit der Glasthüre ein schauerliches Spiel trieb, ich aber saß
stumm und unbeweglich da und hörte und hörte nur immer, wie ein
Kind auf die Märchen der Großmutter, und als ich endlich vier Uhr
schlagen hörte, da erwachte ich, frierend an allen Gliedern, wie aus
einem langen Traum und ging. Unser Freundschaftsbund war ge¬
schlossen; der alte Mann hatte vielleicht seit langer Zeit Jemandem
einmal wieder recht herzlich die Hand gedrückt. Als ich noch über
das Gemisch von tragischer Person und humoristisch sonderlichen Kauz
nachdenkend, auf mein Zimmer kam, hörte ich die Familie Wonnig
wie im Orchester schnarchen. Welcher Contrast! Herr Wonnig und
der Einsiedler hoch über ihm! Und wenn nun Herr Wonnig einmal
alt ist und seine Frau gestorben, und seine Kinder Nichts von ihm
wissen wollen, wird er sich dann auch eine alte Poesie zur alleinigen
Gesellschafterin erwählen und in ihr den Tröst für ein zerbrochenes Le¬
ben finden können? Ich glaube nicht. Ich aber war mit dem Alten da
oben, obwohl ich deutlich erkannt hatte, daß er an der Romantik zu
Grunde gegangen, doch romantisch und sentimental gewesen; und als
ich am andern Morgen mit Kopfschmerzen erwachte, da war es mir,


bewegten sich, es war ein Anblick, wie wenn die junge Februarsonne
über Schnee- und Eisfelder aufgeht. So saß er da, das Glas in
der Hand und in langsamen Zügen das erwärmende, belebende Ge¬
tränk schlürfend, vielleicht eine bedeutende Ruine, zerbrochen durch die
Verhältnisse und Stürme der Zeit. Die finstre Nacht, das kleine
sonderbare Haus und der alte, unbekannte und einsame Dichter in
seinem obersten, ärmlichsten Dachstübchen, welch ein Schatz, welch
eine Quelle von Romantik! Mir wurde in dieser Umgebung so warm
und weh, als wären alle die unschuldigen, träumerischen Gefühle
meiner ersten Jugend wieder in mir aufgegangen. Der Alte holte
einen hohen Stoß Papier aus seinem Schreibpult. Ich bemerkte
auf sehr unsaubern Papier eine sichre zierliche Handschrift. Er zeigte
mir sechs vollendete Dramen und einige Romane, mit der Versiche¬
rung, daß er dieselben vor seinem Tode verbrennen und Niemandem
etwas davon vorlesen werde. Endlich aber schlug er ein dickes,
schwarz gebundenes Buch auf, es war seine Lebensgeschichte. Ich
schenkte zum letzten Male ein und er fing an zu lesen. Er las mit
dumpfer, gehobener Stimme, während das nächtliche Unwetter drau¬
ßen mit der Glasthüre ein schauerliches Spiel trieb, ich aber saß
stumm und unbeweglich da und hörte und hörte nur immer, wie ein
Kind auf die Märchen der Großmutter, und als ich endlich vier Uhr
schlagen hörte, da erwachte ich, frierend an allen Gliedern, wie aus
einem langen Traum und ging. Unser Freundschaftsbund war ge¬
schlossen; der alte Mann hatte vielleicht seit langer Zeit Jemandem
einmal wieder recht herzlich die Hand gedrückt. Als ich noch über
das Gemisch von tragischer Person und humoristisch sonderlichen Kauz
nachdenkend, auf mein Zimmer kam, hörte ich die Familie Wonnig
wie im Orchester schnarchen. Welcher Contrast! Herr Wonnig und
der Einsiedler hoch über ihm! Und wenn nun Herr Wonnig einmal
alt ist und seine Frau gestorben, und seine Kinder Nichts von ihm
wissen wollen, wird er sich dann auch eine alte Poesie zur alleinigen
Gesellschafterin erwählen und in ihr den Tröst für ein zerbrochenes Le¬
ben finden können? Ich glaube nicht. Ich aber war mit dem Alten da
oben, obwohl ich deutlich erkannt hatte, daß er an der Romantik zu
Grunde gegangen, doch romantisch und sentimental gewesen; und als
ich am andern Morgen mit Kopfschmerzen erwachte, da war es mir,


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[0367] bewegten sich, es war ein Anblick, wie wenn die junge Februarsonne über Schnee- und Eisfelder aufgeht. So saß er da, das Glas in der Hand und in langsamen Zügen das erwärmende, belebende Ge¬ tränk schlürfend, vielleicht eine bedeutende Ruine, zerbrochen durch die Verhältnisse und Stürme der Zeit. Die finstre Nacht, das kleine sonderbare Haus und der alte, unbekannte und einsame Dichter in seinem obersten, ärmlichsten Dachstübchen, welch ein Schatz, welch eine Quelle von Romantik! Mir wurde in dieser Umgebung so warm und weh, als wären alle die unschuldigen, träumerischen Gefühle meiner ersten Jugend wieder in mir aufgegangen. Der Alte holte einen hohen Stoß Papier aus seinem Schreibpult. Ich bemerkte auf sehr unsaubern Papier eine sichre zierliche Handschrift. Er zeigte mir sechs vollendete Dramen und einige Romane, mit der Versiche¬ rung, daß er dieselben vor seinem Tode verbrennen und Niemandem etwas davon vorlesen werde. Endlich aber schlug er ein dickes, schwarz gebundenes Buch auf, es war seine Lebensgeschichte. Ich schenkte zum letzten Male ein und er fing an zu lesen. Er las mit dumpfer, gehobener Stimme, während das nächtliche Unwetter drau¬ ßen mit der Glasthüre ein schauerliches Spiel trieb, ich aber saß stumm und unbeweglich da und hörte und hörte nur immer, wie ein Kind auf die Märchen der Großmutter, und als ich endlich vier Uhr schlagen hörte, da erwachte ich, frierend an allen Gliedern, wie aus einem langen Traum und ging. Unser Freundschaftsbund war ge¬ schlossen; der alte Mann hatte vielleicht seit langer Zeit Jemandem einmal wieder recht herzlich die Hand gedrückt. Als ich noch über das Gemisch von tragischer Person und humoristisch sonderlichen Kauz nachdenkend, auf mein Zimmer kam, hörte ich die Familie Wonnig wie im Orchester schnarchen. Welcher Contrast! Herr Wonnig und der Einsiedler hoch über ihm! Und wenn nun Herr Wonnig einmal alt ist und seine Frau gestorben, und seine Kinder Nichts von ihm wissen wollen, wird er sich dann auch eine alte Poesie zur alleinigen Gesellschafterin erwählen und in ihr den Tröst für ein zerbrochenes Le¬ ben finden können? Ich glaube nicht. Ich aber war mit dem Alten da oben, obwohl ich deutlich erkannt hatte, daß er an der Romantik zu Grunde gegangen, doch romantisch und sentimental gewesen; und als ich am andern Morgen mit Kopfschmerzen erwachte, da war es mir,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/367>, abgerufen am 03.07.2024.