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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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ten und stürmischen Januarnacht, als ich einst dort wieder mit ihm
zusammentraf. Ob er denn heute auch noch nicht nach Hause gehen
und das Bett suchen mag? dachte ich mir. Ich wartete, bis er den
Hut nahm, und suchte mit ihm zugleich zur Thüre hinauszugehen.
Nicht ohne viele Mühe gelang es mir endlich, ihn zu begleiten und
seine anfängliche Berdrüßlichkeit über diese Störung zu verdrängen.
Es war, als wenn die nächtliche Stille, der brausende Sturm und
die menschenleeren Straßen ihn immer gemüthlicher und zutraulicher
stimmten. Wir gingen die Lindenstraße herauf bis zum Branden¬
burger Thor; ich hüllte mich fest in meinen Mantel, der Alte aber
schritt in seinem dünnen Röckchen einher, als berühre ihn die schnei¬
dende Luft gar nicht. Seit dreizehn Jahren, sagte er endlich, habe
ich mich an diesen nächtlichen Spaziergang gewöhnt, den ich in jeder
Jahreszeit und bei jeder möglichen Witterung mache. Seit dieser
Zeit bin ich auch nie am Tage aus dem Zimmer gegangen, außer
am Sonntag zu einem Verwandten. Sonst besuche und spreche ich
keinen Menschen; der Lärm und das Geräusch der Welt hat mich
längst müde gemacht und ist mir zum Ekel geworden, ich mag von
ihrem Treiben Nichts mehr sehen und hören. Als ich ihn darauf
frug, ob er sich denn nicht langweile, den ganzen Tag so allein auf
dem Zimmer zu sein, sagte er halblaut und in feierlichem Tone:
Nein, meine Beschäftigung ist die Poesie, ich lese und schreibe.
Schon längst hatte ich hinter der Manier und Ausdrucksweise dieses
Greises etwas Ungewöhnliches gesucht, das mich mit immer neuem
Interesse zu ihm hinzog; er war also Poet, seine Schreibereien Pro¬
duktionen. -- Und Sie haben noch Nichts von Ihren Arbeiten ver¬
öffentlicht? frug ich weiter.--Nein, ich schreibe Nichts für die Welt,
die nicht werth ist, daß man für sie schreibt. Erj sagte das mit ei¬
nem Tone von Bitterkeit, der auf Unglück schließen ließ, das er, ver¬
dient oder unverdient, mit seinen Productionen gehabt. Nachdem wir
wieder eine Zeit stumm und nachdenkend neben einander gegangen
waren, fuhr er fort: Die Beschäftigung mit der Poesie ist mir nicht
Arbeit, sondern Erholung von den Mühen und Leiden eines langen,
schicksalerfüllten Lebens. Sie war der Sturm und Drang, das Feuer
und die Kraft meiner Jugend, sie ist noch die Freude, das unschul¬
dige Spielzeug meines hohen Alters, das Einzige, was mir aus ei¬
ner schmerzensreichem Vergangenheit übrig geblieben ist, mich in mei-


ten und stürmischen Januarnacht, als ich einst dort wieder mit ihm
zusammentraf. Ob er denn heute auch noch nicht nach Hause gehen
und das Bett suchen mag? dachte ich mir. Ich wartete, bis er den
Hut nahm, und suchte mit ihm zugleich zur Thüre hinauszugehen.
Nicht ohne viele Mühe gelang es mir endlich, ihn zu begleiten und
seine anfängliche Berdrüßlichkeit über diese Störung zu verdrängen.
Es war, als wenn die nächtliche Stille, der brausende Sturm und
die menschenleeren Straßen ihn immer gemüthlicher und zutraulicher
stimmten. Wir gingen die Lindenstraße herauf bis zum Branden¬
burger Thor; ich hüllte mich fest in meinen Mantel, der Alte aber
schritt in seinem dünnen Röckchen einher, als berühre ihn die schnei¬
dende Luft gar nicht. Seit dreizehn Jahren, sagte er endlich, habe
ich mich an diesen nächtlichen Spaziergang gewöhnt, den ich in jeder
Jahreszeit und bei jeder möglichen Witterung mache. Seit dieser
Zeit bin ich auch nie am Tage aus dem Zimmer gegangen, außer
am Sonntag zu einem Verwandten. Sonst besuche und spreche ich
keinen Menschen; der Lärm und das Geräusch der Welt hat mich
längst müde gemacht und ist mir zum Ekel geworden, ich mag von
ihrem Treiben Nichts mehr sehen und hören. Als ich ihn darauf
frug, ob er sich denn nicht langweile, den ganzen Tag so allein auf
dem Zimmer zu sein, sagte er halblaut und in feierlichem Tone:
Nein, meine Beschäftigung ist die Poesie, ich lese und schreibe.
Schon längst hatte ich hinter der Manier und Ausdrucksweise dieses
Greises etwas Ungewöhnliches gesucht, das mich mit immer neuem
Interesse zu ihm hinzog; er war also Poet, seine Schreibereien Pro¬
duktionen. — Und Sie haben noch Nichts von Ihren Arbeiten ver¬
öffentlicht? frug ich weiter.—Nein, ich schreibe Nichts für die Welt,
die nicht werth ist, daß man für sie schreibt. Erj sagte das mit ei¬
nem Tone von Bitterkeit, der auf Unglück schließen ließ, das er, ver¬
dient oder unverdient, mit seinen Productionen gehabt. Nachdem wir
wieder eine Zeit stumm und nachdenkend neben einander gegangen
waren, fuhr er fort: Die Beschäftigung mit der Poesie ist mir nicht
Arbeit, sondern Erholung von den Mühen und Leiden eines langen,
schicksalerfüllten Lebens. Sie war der Sturm und Drang, das Feuer
und die Kraft meiner Jugend, sie ist noch die Freude, das unschul¬
dige Spielzeug meines hohen Alters, das Einzige, was mir aus ei¬
ner schmerzensreichem Vergangenheit übrig geblieben ist, mich in mei-


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[0365] ten und stürmischen Januarnacht, als ich einst dort wieder mit ihm zusammentraf. Ob er denn heute auch noch nicht nach Hause gehen und das Bett suchen mag? dachte ich mir. Ich wartete, bis er den Hut nahm, und suchte mit ihm zugleich zur Thüre hinauszugehen. Nicht ohne viele Mühe gelang es mir endlich, ihn zu begleiten und seine anfängliche Berdrüßlichkeit über diese Störung zu verdrängen. Es war, als wenn die nächtliche Stille, der brausende Sturm und die menschenleeren Straßen ihn immer gemüthlicher und zutraulicher stimmten. Wir gingen die Lindenstraße herauf bis zum Branden¬ burger Thor; ich hüllte mich fest in meinen Mantel, der Alte aber schritt in seinem dünnen Röckchen einher, als berühre ihn die schnei¬ dende Luft gar nicht. Seit dreizehn Jahren, sagte er endlich, habe ich mich an diesen nächtlichen Spaziergang gewöhnt, den ich in jeder Jahreszeit und bei jeder möglichen Witterung mache. Seit dieser Zeit bin ich auch nie am Tage aus dem Zimmer gegangen, außer am Sonntag zu einem Verwandten. Sonst besuche und spreche ich keinen Menschen; der Lärm und das Geräusch der Welt hat mich längst müde gemacht und ist mir zum Ekel geworden, ich mag von ihrem Treiben Nichts mehr sehen und hören. Als ich ihn darauf frug, ob er sich denn nicht langweile, den ganzen Tag so allein auf dem Zimmer zu sein, sagte er halblaut und in feierlichem Tone: Nein, meine Beschäftigung ist die Poesie, ich lese und schreibe. Schon längst hatte ich hinter der Manier und Ausdrucksweise dieses Greises etwas Ungewöhnliches gesucht, das mich mit immer neuem Interesse zu ihm hinzog; er war also Poet, seine Schreibereien Pro¬ duktionen. — Und Sie haben noch Nichts von Ihren Arbeiten ver¬ öffentlicht? frug ich weiter.—Nein, ich schreibe Nichts für die Welt, die nicht werth ist, daß man für sie schreibt. Erj sagte das mit ei¬ nem Tone von Bitterkeit, der auf Unglück schließen ließ, das er, ver¬ dient oder unverdient, mit seinen Productionen gehabt. Nachdem wir wieder eine Zeit stumm und nachdenkend neben einander gegangen waren, fuhr er fort: Die Beschäftigung mit der Poesie ist mir nicht Arbeit, sondern Erholung von den Mühen und Leiden eines langen, schicksalerfüllten Lebens. Sie war der Sturm und Drang, das Feuer und die Kraft meiner Jugend, sie ist noch die Freude, das unschul¬ dige Spielzeug meines hohen Alters, das Einzige, was mir aus ei¬ ner schmerzensreichem Vergangenheit übrig geblieben ist, mich in mei-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/365>, abgerufen am 22.12.2024.