Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band. Daß der Herr zu Cana einst verkehrt Flut vom Quelle in den Saft der Trauben! Andre Kinder, eine blasse Brut, Sah ich dort, wo hohe Essen dampften, Wo die Riesenräder in der Glut Einen Tanz im ehrnen Takte stampften. Also grüßlich ruft der Wandrer nicht Unterm Mordstahl durch die macht'ge Oede, Wie der Seele stumme Klage bricht Aus des Kindes Auge, stumpf und blöde. Wo der Seel' ihr erster Lenz geraubt, Gibt'S ein Weh, das nimmermehr zu lindern, Und ich grollte, daß ich dem geglaubt, Der gesagt: das Himmelreich den Kindern! Also ich; da sprach der ernste Mann: Du bist schwach und klein, o lass' Dein Trauern, Was noch nicht an's Licht gedrungen, kann Klaglos fallen in des Morgens Schauern. Sinken Millionen tiefgebettet schmerzvoll, elend in die Nacht des Todes, Wird der kunst'ge Heiland doch gerettet Und entgeht dem Messer deö Herodes. Ob in Armuth und in Frost erstarrt Auch ein Tausend falle und erliege -- Klage nicht -- ein kunst'ger Heiland ward Doch noch nie erdrosselt in der Wiege. Ich darauf: Nicht um die Kleinen traur' ich, Die aus halbem Traum dahin gegangen, Ganzer Völker gräßlich Loos bedaur' ich, Wie es trostlos und von Nacht umfangen. Seh' ich Ohnmacht ringen nach Erkennen, Faßt mich ein unendliches Erbarmen, Und ein Schmerz, mit Worten nicht zu nennen, Schließt mich ein mit seinen blut'gen Armen. Daß der Herr zu Cana einst verkehrt Flut vom Quelle in den Saft der Trauben! Andre Kinder, eine blasse Brut, Sah ich dort, wo hohe Essen dampften, Wo die Riesenräder in der Glut Einen Tanz im ehrnen Takte stampften. Also grüßlich ruft der Wandrer nicht Unterm Mordstahl durch die macht'ge Oede, Wie der Seele stumme Klage bricht Aus des Kindes Auge, stumpf und blöde. Wo der Seel' ihr erster Lenz geraubt, Gibt'S ein Weh, das nimmermehr zu lindern, Und ich grollte, daß ich dem geglaubt, Der gesagt: das Himmelreich den Kindern! Also ich; da sprach der ernste Mann: Du bist schwach und klein, o lass' Dein Trauern, Was noch nicht an's Licht gedrungen, kann Klaglos fallen in des Morgens Schauern. Sinken Millionen tiefgebettet schmerzvoll, elend in die Nacht des Todes, Wird der kunst'ge Heiland doch gerettet Und entgeht dem Messer deö Herodes. Ob in Armuth und in Frost erstarrt Auch ein Tausend falle und erliege — Klage nicht — ein kunst'ger Heiland ward Doch noch nie erdrosselt in der Wiege. Ich darauf: Nicht um die Kleinen traur' ich, Die aus halbem Traum dahin gegangen, Ganzer Völker gräßlich Loos bedaur' ich, Wie es trostlos und von Nacht umfangen. Seh' ich Ohnmacht ringen nach Erkennen, Faßt mich ein unendliches Erbarmen, Und ein Schmerz, mit Worten nicht zu nennen, Schließt mich ein mit seinen blut'gen Armen. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0328" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/180887"/> <lg xml:id="POEMID_10" type="poem"> <l> Daß der Herr zu Cana einst verkehrt<lb/> Flut vom Quelle in den Saft der Trauben!</l> <l> Andre Kinder, eine blasse Brut,<lb/> Sah ich dort, wo hohe Essen dampften,<lb/> Wo die Riesenräder in der Glut<lb/> Einen Tanz im ehrnen Takte stampften.<lb/> Also grüßlich ruft der Wandrer nicht<lb/> Unterm Mordstahl durch die macht'ge Oede,<lb/> Wie der Seele stumme Klage bricht<lb/> Aus des Kindes Auge, stumpf und blöde.<lb/> Wo der Seel' ihr erster Lenz geraubt,<lb/> Gibt'S ein Weh, das nimmermehr zu lindern,<lb/> Und ich grollte, daß ich dem geglaubt,<lb/> Der gesagt: das Himmelreich den Kindern!</l> <l> Also ich; da sprach der ernste Mann:<lb/> Du bist schwach und klein, o lass' Dein Trauern,<lb/> Was noch nicht an's Licht gedrungen, kann<lb/> Klaglos fallen in des Morgens Schauern.<lb/> Sinken Millionen tiefgebettet<lb/> schmerzvoll, elend in die Nacht des Todes,<lb/> Wird der kunst'ge Heiland doch gerettet<lb/> Und entgeht dem Messer deö Herodes.<lb/> Ob in Armuth und in Frost erstarrt<lb/> Auch ein Tausend falle und erliege —<lb/> Klage nicht — ein kunst'ger Heiland ward<lb/> Doch noch nie erdrosselt in der Wiege.</l> <l> Ich darauf: Nicht um die Kleinen traur' ich,<lb/> Die aus halbem Traum dahin gegangen,<lb/> Ganzer Völker gräßlich Loos bedaur' ich,<lb/> Wie es trostlos und von Nacht umfangen.<lb/> Seh' ich Ohnmacht ringen nach Erkennen,<lb/> Faßt mich ein unendliches Erbarmen,<lb/> Und ein Schmerz, mit Worten nicht zu nennen,<lb/> Schließt mich ein mit seinen blut'gen Armen.</l> </lg><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0328]
Daß der Herr zu Cana einst verkehrt
Flut vom Quelle in den Saft der Trauben! Andre Kinder, eine blasse Brut,
Sah ich dort, wo hohe Essen dampften,
Wo die Riesenräder in der Glut
Einen Tanz im ehrnen Takte stampften.
Also grüßlich ruft der Wandrer nicht
Unterm Mordstahl durch die macht'ge Oede,
Wie der Seele stumme Klage bricht
Aus des Kindes Auge, stumpf und blöde.
Wo der Seel' ihr erster Lenz geraubt,
Gibt'S ein Weh, das nimmermehr zu lindern,
Und ich grollte, daß ich dem geglaubt,
Der gesagt: das Himmelreich den Kindern! Also ich; da sprach der ernste Mann:
Du bist schwach und klein, o lass' Dein Trauern,
Was noch nicht an's Licht gedrungen, kann
Klaglos fallen in des Morgens Schauern.
Sinken Millionen tiefgebettet
schmerzvoll, elend in die Nacht des Todes,
Wird der kunst'ge Heiland doch gerettet
Und entgeht dem Messer deö Herodes.
Ob in Armuth und in Frost erstarrt
Auch ein Tausend falle und erliege —
Klage nicht — ein kunst'ger Heiland ward
Doch noch nie erdrosselt in der Wiege. Ich darauf: Nicht um die Kleinen traur' ich,
Die aus halbem Traum dahin gegangen,
Ganzer Völker gräßlich Loos bedaur' ich,
Wie es trostlos und von Nacht umfangen.
Seh' ich Ohnmacht ringen nach Erkennen,
Faßt mich ein unendliches Erbarmen,
Und ein Schmerz, mit Worten nicht zu nennen,
Schließt mich ein mit seinen blut'gen Armen.
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