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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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sich fächelnd sagte: DaS Einzige, worauf ich mich in Nußland freue,
ist, daß ich ein Mal wieder frieren kann!

Sie erinnern sich gewiß noch der jungen Dame, welche die Für¬
stin zu sich genommen, auch eine Russin, die mit einem vortheilhaf-
ten Aeußern so viel Talent und Bescheidenheit verband? Diese Arme
hat mit dem Tode ihrer Wohlthäterin gleichfalls Alles verloren und
geht jetzt -- mich schaudert mitten im warmen Italien -- nach
Jrkutzk in Sibirien, wo Vater und Bruder von ihr als Verbannte
leben und eine Schule errichtet haben sollen. Ich verdanke diese
Notizen der Gräfin M., welche jüngst von Petersburg hier einge¬
troffen ist. Ihr Fürwort hat dem verlassenen Mädchen dort viel ge¬
nützt, auch würde sie ihr leicht eine Stelle als Erzieherin verschafft
haben, wenn nicht ihr Entschluß so fest gestanden. In der That ein
schönes Opfer kindlicher Liebe! --

Fürst Thomas Martini zog gleich, nachdem er die Todespost
empfing, aus der Stadt auf seine Villa ti Castcllo, wo er noch ver¬
weilt. Vor Kurzem speiste ich mit ihm und seinen jüngeren Söh¬
nen in der Nachbarschaft. Sie waren Alle in tiefer Trauer, schienen
aber doch bereits ziemlich getröstet.

Der alte Herr will die Leiche der verstorbenen Gemahlin hier¬
her in's Erbbegräbniß kommen lassen, es scheint mir übrigens ganz
so, als nähme er, trotz seiner fünfundstebenzig Jahre, noch die dritte
Frau, wenn sich eine reiche dazu fände. Er sieht in der That für
sein Alter noch jugendlich kräftig aus und befleißigt sich der galan¬
testen Manieren.

Von Don Thomas" und Don Lorenzo hat Fama auch allerlei,
wenn nicht gerade in die Posaune gestoßen, doch gelispelt. Sie
kennen schon die Art und Weise der hiesigen vornehmen Welt, den
Leuten hinter die Schliche zu kommen. Wirklich, "Geheimnisse von
Florenz" gibt's gar nicht, oder es bedarf wenigstens nicht des Preß-
bengels, um sie an's Licht zu ziehen, da hier mit Auge und Ohr
Alles ergründet und besprochen wird. Es leben die Canaans! was
sollten auch italienische und selbst deutsche Edelleute ohne sie beginnen?

So soll denn zuerst Don Lorenzo, dessen lange treue Liebe zu
der schönen Marianna Ricci als etwas nie Vorgekommenes früher
allgemein Erstaunen erregte, seit die junge Dame Florenz verlassen,
von einer reizenden Löwin aus Wien erobert worden sein, die von


sich fächelnd sagte: DaS Einzige, worauf ich mich in Nußland freue,
ist, daß ich ein Mal wieder frieren kann!

Sie erinnern sich gewiß noch der jungen Dame, welche die Für¬
stin zu sich genommen, auch eine Russin, die mit einem vortheilhaf-
ten Aeußern so viel Talent und Bescheidenheit verband? Diese Arme
hat mit dem Tode ihrer Wohlthäterin gleichfalls Alles verloren und
geht jetzt — mich schaudert mitten im warmen Italien — nach
Jrkutzk in Sibirien, wo Vater und Bruder von ihr als Verbannte
leben und eine Schule errichtet haben sollen. Ich verdanke diese
Notizen der Gräfin M., welche jüngst von Petersburg hier einge¬
troffen ist. Ihr Fürwort hat dem verlassenen Mädchen dort viel ge¬
nützt, auch würde sie ihr leicht eine Stelle als Erzieherin verschafft
haben, wenn nicht ihr Entschluß so fest gestanden. In der That ein
schönes Opfer kindlicher Liebe! —

Fürst Thomas Martini zog gleich, nachdem er die Todespost
empfing, aus der Stadt auf seine Villa ti Castcllo, wo er noch ver¬
weilt. Vor Kurzem speiste ich mit ihm und seinen jüngeren Söh¬
nen in der Nachbarschaft. Sie waren Alle in tiefer Trauer, schienen
aber doch bereits ziemlich getröstet.

Der alte Herr will die Leiche der verstorbenen Gemahlin hier¬
her in's Erbbegräbniß kommen lassen, es scheint mir übrigens ganz
so, als nähme er, trotz seiner fünfundstebenzig Jahre, noch die dritte
Frau, wenn sich eine reiche dazu fände. Er sieht in der That für
sein Alter noch jugendlich kräftig aus und befleißigt sich der galan¬
testen Manieren.

Von Don Thomas» und Don Lorenzo hat Fama auch allerlei,
wenn nicht gerade in die Posaune gestoßen, doch gelispelt. Sie
kennen schon die Art und Weise der hiesigen vornehmen Welt, den
Leuten hinter die Schliche zu kommen. Wirklich, „Geheimnisse von
Florenz" gibt's gar nicht, oder es bedarf wenigstens nicht des Preß-
bengels, um sie an's Licht zu ziehen, da hier mit Auge und Ohr
Alles ergründet und besprochen wird. Es leben die Canaans! was
sollten auch italienische und selbst deutsche Edelleute ohne sie beginnen?

So soll denn zuerst Don Lorenzo, dessen lange treue Liebe zu
der schönen Marianna Ricci als etwas nie Vorgekommenes früher
allgemein Erstaunen erregte, seit die junge Dame Florenz verlassen,
von einer reizenden Löwin aus Wien erobert worden sein, die von


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[0312] sich fächelnd sagte: DaS Einzige, worauf ich mich in Nußland freue, ist, daß ich ein Mal wieder frieren kann! Sie erinnern sich gewiß noch der jungen Dame, welche die Für¬ stin zu sich genommen, auch eine Russin, die mit einem vortheilhaf- ten Aeußern so viel Talent und Bescheidenheit verband? Diese Arme hat mit dem Tode ihrer Wohlthäterin gleichfalls Alles verloren und geht jetzt — mich schaudert mitten im warmen Italien — nach Jrkutzk in Sibirien, wo Vater und Bruder von ihr als Verbannte leben und eine Schule errichtet haben sollen. Ich verdanke diese Notizen der Gräfin M., welche jüngst von Petersburg hier einge¬ troffen ist. Ihr Fürwort hat dem verlassenen Mädchen dort viel ge¬ nützt, auch würde sie ihr leicht eine Stelle als Erzieherin verschafft haben, wenn nicht ihr Entschluß so fest gestanden. In der That ein schönes Opfer kindlicher Liebe! — Fürst Thomas Martini zog gleich, nachdem er die Todespost empfing, aus der Stadt auf seine Villa ti Castcllo, wo er noch ver¬ weilt. Vor Kurzem speiste ich mit ihm und seinen jüngeren Söh¬ nen in der Nachbarschaft. Sie waren Alle in tiefer Trauer, schienen aber doch bereits ziemlich getröstet. Der alte Herr will die Leiche der verstorbenen Gemahlin hier¬ her in's Erbbegräbniß kommen lassen, es scheint mir übrigens ganz so, als nähme er, trotz seiner fünfundstebenzig Jahre, noch die dritte Frau, wenn sich eine reiche dazu fände. Er sieht in der That für sein Alter noch jugendlich kräftig aus und befleißigt sich der galan¬ testen Manieren. Von Don Thomas» und Don Lorenzo hat Fama auch allerlei, wenn nicht gerade in die Posaune gestoßen, doch gelispelt. Sie kennen schon die Art und Weise der hiesigen vornehmen Welt, den Leuten hinter die Schliche zu kommen. Wirklich, „Geheimnisse von Florenz" gibt's gar nicht, oder es bedarf wenigstens nicht des Preß- bengels, um sie an's Licht zu ziehen, da hier mit Auge und Ohr Alles ergründet und besprochen wird. Es leben die Canaans! was sollten auch italienische und selbst deutsche Edelleute ohne sie beginnen? So soll denn zuerst Don Lorenzo, dessen lange treue Liebe zu der schönen Marianna Ricci als etwas nie Vorgekommenes früher allgemein Erstaunen erregte, seit die junge Dame Florenz verlassen, von einer reizenden Löwin aus Wien erobert worden sein, die von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/312>, abgerufen am 03.07.2024.