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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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"Shakspeare und kein Gute.



Kühne hat in diesen Blättern*) der Shakspeare-Philosophie "und
kein Ende" scharfe, beizende Worte zugeworfen. Wer hat sich nicht
daran gelabt? -- Wer sich nicht über jene Philosophasterei geärgerthat.

Und wer hat sich über jenes hochweise Kategorien-Geklapper
nicht geärgert? Wer kein Herz für seine Zeit, kein Herz für die Zu¬
kunft hat. Das ist einerlei Unglück, einerlei Sünde: ob die da Staat
und Leben, oder ob die da Kunst und Poesie so um ein Paar kleine
Jahrhunderte zurückmcmövriren wollen. Beide sind Sünder, weil
beide ohne Glauben sind, der einmal doch immer allein selig macht.
Man verzeihe mir eine kleine biblische Wendung; da heißt es irgend¬
wo: der Glaube ist eine gewisse Zuversicht dessen, was man hofft >
und nicht zweifelt an dem, was man nicht sieht. Friedrich Bischer
gehört zu diesen ungläubigen, hoffnungslosen, gottarmen, wortreichen
und "geistvollen Docenten", die aus der Hegel'schen Weltanschauung,
deren Triumph die Verklärung der Welt in heilige Idealität sein
wollte, eine kalte, leere, erdige, schmutzige Philosophie der Handgreif¬
lichkeit gemacht haben. Für Hegel sollte die Philosophie die Zeit,
in Gedanken ausgedrückt, sein. Für seine ihn und die Welt hofmei¬
sternden Schüler besteht das philosophische Meisterstück darin, die Zeit
und die Zukunft in die Kategorien der Vergangenheit einzuhaspeln;
lediglich die Zukunft ist es, von der und in der wir allein nur le¬
ben können, so wahr jeder frische Athemzug ein Act vorwärts ist.
Es ist nicht wahr, daß wir an der Vergangenheit leben oder gar
wieder aufleben können. Die Vergangenheit ist todt, nur ein schon
Lebendiger, ein Auferstandener kann auch sie aus den Gräbern fus-



*) Siehe den vorigen Jahrgang der Grenzboten Ur. 48.
Gr-nzbotcn II. 37
„Shakspeare und kein Gute.



Kühne hat in diesen Blättern*) der Shakspeare-Philosophie „und
kein Ende" scharfe, beizende Worte zugeworfen. Wer hat sich nicht
daran gelabt? — Wer sich nicht über jene Philosophasterei geärgerthat.

Und wer hat sich über jenes hochweise Kategorien-Geklapper
nicht geärgert? Wer kein Herz für seine Zeit, kein Herz für die Zu¬
kunft hat. Das ist einerlei Unglück, einerlei Sünde: ob die da Staat
und Leben, oder ob die da Kunst und Poesie so um ein Paar kleine
Jahrhunderte zurückmcmövriren wollen. Beide sind Sünder, weil
beide ohne Glauben sind, der einmal doch immer allein selig macht.
Man verzeihe mir eine kleine biblische Wendung; da heißt es irgend¬
wo: der Glaube ist eine gewisse Zuversicht dessen, was man hofft >
und nicht zweifelt an dem, was man nicht sieht. Friedrich Bischer
gehört zu diesen ungläubigen, hoffnungslosen, gottarmen, wortreichen
und „geistvollen Docenten", die aus der Hegel'schen Weltanschauung,
deren Triumph die Verklärung der Welt in heilige Idealität sein
wollte, eine kalte, leere, erdige, schmutzige Philosophie der Handgreif¬
lichkeit gemacht haben. Für Hegel sollte die Philosophie die Zeit,
in Gedanken ausgedrückt, sein. Für seine ihn und die Welt hofmei¬
sternden Schüler besteht das philosophische Meisterstück darin, die Zeit
und die Zukunft in die Kategorien der Vergangenheit einzuhaspeln;
lediglich die Zukunft ist es, von der und in der wir allein nur le¬
ben können, so wahr jeder frische Athemzug ein Act vorwärts ist.
Es ist nicht wahr, daß wir an der Vergangenheit leben oder gar
wieder aufleben können. Die Vergangenheit ist todt, nur ein schon
Lebendiger, ein Auferstandener kann auch sie aus den Gräbern fus-



*) Siehe den vorigen Jahrgang der Grenzboten Ur. 48.
Gr-nzbotcn II. 37
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[0297] „Shakspeare und kein Gute. Kühne hat in diesen Blättern*) der Shakspeare-Philosophie „und kein Ende" scharfe, beizende Worte zugeworfen. Wer hat sich nicht daran gelabt? — Wer sich nicht über jene Philosophasterei geärgerthat. Und wer hat sich über jenes hochweise Kategorien-Geklapper nicht geärgert? Wer kein Herz für seine Zeit, kein Herz für die Zu¬ kunft hat. Das ist einerlei Unglück, einerlei Sünde: ob die da Staat und Leben, oder ob die da Kunst und Poesie so um ein Paar kleine Jahrhunderte zurückmcmövriren wollen. Beide sind Sünder, weil beide ohne Glauben sind, der einmal doch immer allein selig macht. Man verzeihe mir eine kleine biblische Wendung; da heißt es irgend¬ wo: der Glaube ist eine gewisse Zuversicht dessen, was man hofft > und nicht zweifelt an dem, was man nicht sieht. Friedrich Bischer gehört zu diesen ungläubigen, hoffnungslosen, gottarmen, wortreichen und „geistvollen Docenten", die aus der Hegel'schen Weltanschauung, deren Triumph die Verklärung der Welt in heilige Idealität sein wollte, eine kalte, leere, erdige, schmutzige Philosophie der Handgreif¬ lichkeit gemacht haben. Für Hegel sollte die Philosophie die Zeit, in Gedanken ausgedrückt, sein. Für seine ihn und die Welt hofmei¬ sternden Schüler besteht das philosophische Meisterstück darin, die Zeit und die Zukunft in die Kategorien der Vergangenheit einzuhaspeln; lediglich die Zukunft ist es, von der und in der wir allein nur le¬ ben können, so wahr jeder frische Athemzug ein Act vorwärts ist. Es ist nicht wahr, daß wir an der Vergangenheit leben oder gar wieder aufleben können. Die Vergangenheit ist todt, nur ein schon Lebendiger, ein Auferstandener kann auch sie aus den Gräbern fus- *) Siehe den vorigen Jahrgang der Grenzboten Ur. 48. Gr-nzbotcn II. 37

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/297>, abgerufen am 03.07.2024.