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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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um, den größten Effect mit den größten Mitteln hervorzubringen,
ohne auf die Wahl der Mittel, ach die Wahrheit oder die Dauer
des Effects zu sehen. Bei Beiden findet man endlich mit derselben
Neuerungswuth denselben Mangel an wirklicher Originalität ver¬
einigt; denn ebenso wie aus Haß gegen die ererbten Institutionen
die Revolutionäre von I793> Neues in einem Plagiat von Rom
oder Sparta suchten, schienen auch die dramatischen Revolutionäre von
1830 in ihrem Eifer der Reaction gegen die ceremoniösen Formen
deo Racine'schen Tragödie bereit, unter dem Vorwande des Fort¬
schritts die Bühne zu den Mysterien des 12. Jahrhunderts zurück¬
zuführen.

Diese revolutionäre Krisis des französischen Theaters hatte als
Hauptrepräsentanten zwei Männer, Wctor Hugo> und Alexander Du.
mas, von denen uns hier nur der Letztere beschäftigen soll, der, wenn
er auch als Dichter und Nomanschriftstellev weit unter Victor Hugo
steht, ihn nach unserer Meinung als Dramatiker übertrifft. Dumas
hatte vom Himmel einige Eigenschaften empfangerr, die sich nicht
anlernen lassen : eine glühende Phantasie,, eine unbestrittene Kraft
der Erfindung, der Anordnung, und vor Allem der theatralischen-
Darstellung, Gefühl für die Contraste und eine ziemlich genaue
Kenntniß gewisser Bewegungen des menschlichen Herzens; aber ihm
fehlten verschiedene kostbare Eigenschaften, die allein den andern
Kraft und Leben verleihen. Er hatte keinen Styl, der, ohne die wesent¬
lichste Eigenschaft eines Werkes zu sein, doch gewiß eine der wichtig¬
sten ist. Der Styl erlernt sich zwar bis zu einem gewissen Grade durch
Uebung; aber ihm fehlten vor Allem noch die wesentlichen Eigen¬
schaften der großen Anschauung, der Tiefe, der Wahrheit, des Maßes
und der Harmonie, welche sich nicht aus der künstlichen Gluth einer
fieberhaften Inspiration erzeugen, sondern in der eifrigen Arbeit des.
Gedankens, der sich bald auf sich selbst zurückzieht, bald hinausgeht,
um in dem Studium der Vergangenheit- und der Beobachtung der
Gegenwart sein eignes Maß, seine Stütz- und Vergleichungspunkte
zu finden. Mit einem Worte, Alerander Dumas hatte zwischen der
Reflnion und der Improvisation zu wählen;, er zog die Improvisa¬
tion vor und improvisirte ein Theater, wie man 1793. eine Regie-
rmrg improvisirte. Er glaubte mit einem Schubsack voll Verbrechen
von allen möglichen Farben und Großem, voll Dolchen, Schaffottm,


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um, den größten Effect mit den größten Mitteln hervorzubringen,
ohne auf die Wahl der Mittel, ach die Wahrheit oder die Dauer
des Effects zu sehen. Bei Beiden findet man endlich mit derselben
Neuerungswuth denselben Mangel an wirklicher Originalität ver¬
einigt; denn ebenso wie aus Haß gegen die ererbten Institutionen
die Revolutionäre von I793> Neues in einem Plagiat von Rom
oder Sparta suchten, schienen auch die dramatischen Revolutionäre von
1830 in ihrem Eifer der Reaction gegen die ceremoniösen Formen
deo Racine'schen Tragödie bereit, unter dem Vorwande des Fort¬
schritts die Bühne zu den Mysterien des 12. Jahrhunderts zurück¬
zuführen.

Diese revolutionäre Krisis des französischen Theaters hatte als
Hauptrepräsentanten zwei Männer, Wctor Hugo> und Alexander Du.
mas, von denen uns hier nur der Letztere beschäftigen soll, der, wenn
er auch als Dichter und Nomanschriftstellev weit unter Victor Hugo
steht, ihn nach unserer Meinung als Dramatiker übertrifft. Dumas
hatte vom Himmel einige Eigenschaften empfangerr, die sich nicht
anlernen lassen : eine glühende Phantasie,, eine unbestrittene Kraft
der Erfindung, der Anordnung, und vor Allem der theatralischen-
Darstellung, Gefühl für die Contraste und eine ziemlich genaue
Kenntniß gewisser Bewegungen des menschlichen Herzens; aber ihm
fehlten verschiedene kostbare Eigenschaften, die allein den andern
Kraft und Leben verleihen. Er hatte keinen Styl, der, ohne die wesent¬
lichste Eigenschaft eines Werkes zu sein, doch gewiß eine der wichtig¬
sten ist. Der Styl erlernt sich zwar bis zu einem gewissen Grade durch
Uebung; aber ihm fehlten vor Allem noch die wesentlichen Eigen¬
schaften der großen Anschauung, der Tiefe, der Wahrheit, des Maßes
und der Harmonie, welche sich nicht aus der künstlichen Gluth einer
fieberhaften Inspiration erzeugen, sondern in der eifrigen Arbeit des.
Gedankens, der sich bald auf sich selbst zurückzieht, bald hinausgeht,
um in dem Studium der Vergangenheit- und der Beobachtung der
Gegenwart sein eignes Maß, seine Stütz- und Vergleichungspunkte
zu finden. Mit einem Worte, Alerander Dumas hatte zwischen der
Reflnion und der Improvisation zu wählen;, er zog die Improvisa¬
tion vor und improvisirte ein Theater, wie man 1793. eine Regie-
rmrg improvisirte. Er glaubte mit einem Schubsack voll Verbrechen
von allen möglichen Farben und Großem, voll Dolchen, Schaffottm,


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[0275] um, den größten Effect mit den größten Mitteln hervorzubringen, ohne auf die Wahl der Mittel, ach die Wahrheit oder die Dauer des Effects zu sehen. Bei Beiden findet man endlich mit derselben Neuerungswuth denselben Mangel an wirklicher Originalität ver¬ einigt; denn ebenso wie aus Haß gegen die ererbten Institutionen die Revolutionäre von I793> Neues in einem Plagiat von Rom oder Sparta suchten, schienen auch die dramatischen Revolutionäre von 1830 in ihrem Eifer der Reaction gegen die ceremoniösen Formen deo Racine'schen Tragödie bereit, unter dem Vorwande des Fort¬ schritts die Bühne zu den Mysterien des 12. Jahrhunderts zurück¬ zuführen. Diese revolutionäre Krisis des französischen Theaters hatte als Hauptrepräsentanten zwei Männer, Wctor Hugo> und Alexander Du. mas, von denen uns hier nur der Letztere beschäftigen soll, der, wenn er auch als Dichter und Nomanschriftstellev weit unter Victor Hugo steht, ihn nach unserer Meinung als Dramatiker übertrifft. Dumas hatte vom Himmel einige Eigenschaften empfangerr, die sich nicht anlernen lassen : eine glühende Phantasie,, eine unbestrittene Kraft der Erfindung, der Anordnung, und vor Allem der theatralischen- Darstellung, Gefühl für die Contraste und eine ziemlich genaue Kenntniß gewisser Bewegungen des menschlichen Herzens; aber ihm fehlten verschiedene kostbare Eigenschaften, die allein den andern Kraft und Leben verleihen. Er hatte keinen Styl, der, ohne die wesent¬ lichste Eigenschaft eines Werkes zu sein, doch gewiß eine der wichtig¬ sten ist. Der Styl erlernt sich zwar bis zu einem gewissen Grade durch Uebung; aber ihm fehlten vor Allem noch die wesentlichen Eigen¬ schaften der großen Anschauung, der Tiefe, der Wahrheit, des Maßes und der Harmonie, welche sich nicht aus der künstlichen Gluth einer fieberhaften Inspiration erzeugen, sondern in der eifrigen Arbeit des. Gedankens, der sich bald auf sich selbst zurückzieht, bald hinausgeht, um in dem Studium der Vergangenheit- und der Beobachtung der Gegenwart sein eignes Maß, seine Stütz- und Vergleichungspunkte zu finden. Mit einem Worte, Alerander Dumas hatte zwischen der Reflnion und der Improvisation zu wählen;, er zog die Improvisa¬ tion vor und improvisirte ein Theater, wie man 1793. eine Regie- rmrg improvisirte. Er glaubte mit einem Schubsack voll Verbrechen von allen möglichen Farben und Großem, voll Dolchen, Schaffottm, 34 -i-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/275>, abgerufen am 23.07.2024.