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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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Wenn wir einen Spaziergang durch die schwedische Residenz
unternehmen, werden wir jedenfalls vom Schlosse ausgehen, denn
wie Delphi bei den Griechen ein Mittelpunkt der Erde war, eben so
ist dies der Mittelpunkt von Stockholm. Von welcher Gegend man
auch kommen mqg, überall bebt es sich groß, schon und gewaltig em¬
por, den Compaß bildend, der den Fremden in diesem Straßenlaby¬
rinth führt. Graf Nikodemus Tessin, gewiß ein kräftiger Geist, hat
den Plan dazu entworfen, und unter Karl XII. begann der Bau.
Nach Osten kehrt es dem Hafen seine breiten Flügel zu und schaut
hoch auf das Gewühl der Schiffe hinab. Des Prachtbaus südliche
Fa?abe steht in reinster Kunstvollendung, und, mit herrlichen Tro¬
phäen geschmückt, berührt sie ein Bergplateau, worauf sich ein Ode^-
list erhebt. Auch die westliche Fronte ist nicht ohne architektonische"
Schönheit, ihr Anblick wird nur verkümmert, weil es an Raum ge¬
bricht, doch gegen Norden tritt das Schloß wieder in überwiegender
Freiheit empor. Von hier senkt sich, in colossalen Formen aus ge¬
hauenen Granit erbaut, eine Rampe hinunter und sie wird Lejom-
backe, der Löwenberg, genannt, weil zwei erzene Riesenlöwen aus der¬
selben ruhen.

Folgen wir dem prachtvollen Wege, so mündet er in eine kühne
Quaderbrücke aus, welche den breiten Arm des Mälar überwölbt.
Zur Linken ist sie mit Bazars eingefaßt, während zur Rechten der
Blick frei über Stadt, Landschaft und See hinausfliegt. Unter der
Brücke liegt ein elegantes Kaffeehaus, das Strom-Parterre, von dem
sich eine kleine Insel mit hohen schattigen Baumpartien in die Fluch
erstreckt. Hier lustwandeln die Stockholmer Schönheiten gern, trin¬
ken Kaffee oder Sodawasser und erwarten das kleine Dampfboot,
welches zu festen Stunden anlangt, um nach dem Thiergarten zu
fahren.

Drüben, den Gustav-Aoolphs-Markt, säumen zwei Gebäude ein,
die in der Architectur durchaus übereinstimmend sind, ohne daßj man ih¬
nen jedoch eine edle Ausführung nachrühmen kann.- Links liegt der
crbprinzliche Palast und rechts das Opernhaus mit der Inschrift:
"?!>trÜ8 Nusis."

Gustqv der Dritte hat es erbaut und wurde darin von An-
karström's meuchlerischer Kugel getroffen. Ost stand ich vor demsel¬
ben still, das Schicksal dieses Fürsten überdenkend. Er war ein mun-


Grcnzbotm 1844. II. ZZ

Wenn wir einen Spaziergang durch die schwedische Residenz
unternehmen, werden wir jedenfalls vom Schlosse ausgehen, denn
wie Delphi bei den Griechen ein Mittelpunkt der Erde war, eben so
ist dies der Mittelpunkt von Stockholm. Von welcher Gegend man
auch kommen mqg, überall bebt es sich groß, schon und gewaltig em¬
por, den Compaß bildend, der den Fremden in diesem Straßenlaby¬
rinth führt. Graf Nikodemus Tessin, gewiß ein kräftiger Geist, hat
den Plan dazu entworfen, und unter Karl XII. begann der Bau.
Nach Osten kehrt es dem Hafen seine breiten Flügel zu und schaut
hoch auf das Gewühl der Schiffe hinab. Des Prachtbaus südliche
Fa?abe steht in reinster Kunstvollendung, und, mit herrlichen Tro¬
phäen geschmückt, berührt sie ein Bergplateau, worauf sich ein Ode^-
list erhebt. Auch die westliche Fronte ist nicht ohne architektonische"
Schönheit, ihr Anblick wird nur verkümmert, weil es an Raum ge¬
bricht, doch gegen Norden tritt das Schloß wieder in überwiegender
Freiheit empor. Von hier senkt sich, in colossalen Formen aus ge¬
hauenen Granit erbaut, eine Rampe hinunter und sie wird Lejom-
backe, der Löwenberg, genannt, weil zwei erzene Riesenlöwen aus der¬
selben ruhen.

Folgen wir dem prachtvollen Wege, so mündet er in eine kühne
Quaderbrücke aus, welche den breiten Arm des Mälar überwölbt.
Zur Linken ist sie mit Bazars eingefaßt, während zur Rechten der
Blick frei über Stadt, Landschaft und See hinausfliegt. Unter der
Brücke liegt ein elegantes Kaffeehaus, das Strom-Parterre, von dem
sich eine kleine Insel mit hohen schattigen Baumpartien in die Fluch
erstreckt. Hier lustwandeln die Stockholmer Schönheiten gern, trin¬
ken Kaffee oder Sodawasser und erwarten das kleine Dampfboot,
welches zu festen Stunden anlangt, um nach dem Thiergarten zu
fahren.

Drüben, den Gustav-Aoolphs-Markt, säumen zwei Gebäude ein,
die in der Architectur durchaus übereinstimmend sind, ohne daßj man ih¬
nen jedoch eine edle Ausführung nachrühmen kann.- Links liegt der
crbprinzliche Palast und rechts das Opernhaus mit der Inschrift:
„?!>trÜ8 Nusis."

Gustqv der Dritte hat es erbaut und wurde darin von An-
karström's meuchlerischer Kugel getroffen. Ost stand ich vor demsel¬
ben still, das Schicksal dieses Fürsten überdenkend. Er war ein mun-


Grcnzbotm 1844. II. ZZ
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[0265] Wenn wir einen Spaziergang durch die schwedische Residenz unternehmen, werden wir jedenfalls vom Schlosse ausgehen, denn wie Delphi bei den Griechen ein Mittelpunkt der Erde war, eben so ist dies der Mittelpunkt von Stockholm. Von welcher Gegend man auch kommen mqg, überall bebt es sich groß, schon und gewaltig em¬ por, den Compaß bildend, der den Fremden in diesem Straßenlaby¬ rinth führt. Graf Nikodemus Tessin, gewiß ein kräftiger Geist, hat den Plan dazu entworfen, und unter Karl XII. begann der Bau. Nach Osten kehrt es dem Hafen seine breiten Flügel zu und schaut hoch auf das Gewühl der Schiffe hinab. Des Prachtbaus südliche Fa?abe steht in reinster Kunstvollendung, und, mit herrlichen Tro¬ phäen geschmückt, berührt sie ein Bergplateau, worauf sich ein Ode^- list erhebt. Auch die westliche Fronte ist nicht ohne architektonische" Schönheit, ihr Anblick wird nur verkümmert, weil es an Raum ge¬ bricht, doch gegen Norden tritt das Schloß wieder in überwiegender Freiheit empor. Von hier senkt sich, in colossalen Formen aus ge¬ hauenen Granit erbaut, eine Rampe hinunter und sie wird Lejom- backe, der Löwenberg, genannt, weil zwei erzene Riesenlöwen aus der¬ selben ruhen. Folgen wir dem prachtvollen Wege, so mündet er in eine kühne Quaderbrücke aus, welche den breiten Arm des Mälar überwölbt. Zur Linken ist sie mit Bazars eingefaßt, während zur Rechten der Blick frei über Stadt, Landschaft und See hinausfliegt. Unter der Brücke liegt ein elegantes Kaffeehaus, das Strom-Parterre, von dem sich eine kleine Insel mit hohen schattigen Baumpartien in die Fluch erstreckt. Hier lustwandeln die Stockholmer Schönheiten gern, trin¬ ken Kaffee oder Sodawasser und erwarten das kleine Dampfboot, welches zu festen Stunden anlangt, um nach dem Thiergarten zu fahren. Drüben, den Gustav-Aoolphs-Markt, säumen zwei Gebäude ein, die in der Architectur durchaus übereinstimmend sind, ohne daßj man ih¬ nen jedoch eine edle Ausführung nachrühmen kann.- Links liegt der crbprinzliche Palast und rechts das Opernhaus mit der Inschrift: „?!>trÜ8 Nusis." Gustqv der Dritte hat es erbaut und wurde darin von An- karström's meuchlerischer Kugel getroffen. Ost stand ich vor demsel¬ ben still, das Schicksal dieses Fürsten überdenkend. Er war ein mun- Grcnzbotm 1844. II. ZZ

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/265>, abgerufen am 23.12.2024.