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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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amtlichen Vertheilung der eingegangenen milden Gaben an die
Weber die rückständigen Steuern davon in Abzug gebracht. -- So
wenig sich diese Härte von der Negierung glauben läßt, so ist es
doch möglich, daß übertriebene Beamtenbeflissenheit sich dergleichen zu
Schulden kommen ließ. Vielleicht ist aber auch gar nichts Wahres
daran, was ja leicht durch eine Untersuchung sich ergeben müßte. --
Dieses Gerücht hätte aber gar nicht Raum finden können, wenn ein
offener Thatbestand mitgetheilt worden wäre.

Daß die Webernoth gerade jetzt den Höhepunkt erreicht hat,
davon scheint mir der Grund zumeist in dem, etwa in den letzten
zehn bis fünfzehn Jahren im Gebirge überHand genommenen Colo-
nisiren zu liegen. Gutsbesitzer, die bei den besten Holzpreisen ihre
Forste abholzten, fanden es dann leichter und einträglicher, den Bo¬
den in Erbpacht zu geben und Colonien anzulegen, als wie ihn selbst
zu bebauen.

Dadurch wurde es den Armen scheinbar sehr leicht gemacht,
eigenes Besitzthum zu erwerben. Für das wenige Land wurde ge¬
wöhnlich zwanzig Silbergroschen bis ein Thaler Erbpacht angesetzt.
Wie verlockend war es da nicht sür den armen Weber, der sich schon
lange nach eigenem Herde sehnte, schnell zuzugreifen! Da wurden
die kleinen Ersparnisse überzahlt, die etwaige geringe Erbschaft
noch dazu geschlagen, zur Noth noch auf Freunde, die doch auch
helfen würden, gerechnet, und ein Stück Land, gewöhnlich von vier
bis acht Morgen an sich gebracht. Vor Allem mußte nun eine Hütte
oder wenigstens ein Obdach gebaut werden. Der Gutsbesitzer war
so menschenfreundlich, das Holz dazu herzugeben und die Hälfte des
Betrages zu stunden. Damit wurden denn aber auch gewöhnlich fast
alle Mittel aufgerieben, der arme Mann hatte dann kein Geld mehr
zum Ausbau, und noch weniger welches, um sich Vieh anzuschaffen.
Was sollte er nun anfangen? Zu seiner Arbeit zurückkehren, oder den
zumeist noch mit Stöcken und Steinen übersäeten Boden ausroden
und urbar machen? Gewöhnlich versuchte er Beides und vernach¬
lässigte, wie natürlich, Beides; und so kam es fast immer, daß
nach Jahr und Tag diese Stelle, die endlich etwas Wirth- und nutz¬
bar zu werden begann, vom Gericht wegen rückständigen Grundzin¬
ses, Holzgeldeö, sonstiger Schulden, dabei sogar auch Steuern und


amtlichen Vertheilung der eingegangenen milden Gaben an die
Weber die rückständigen Steuern davon in Abzug gebracht. — So
wenig sich diese Härte von der Negierung glauben läßt, so ist es
doch möglich, daß übertriebene Beamtenbeflissenheit sich dergleichen zu
Schulden kommen ließ. Vielleicht ist aber auch gar nichts Wahres
daran, was ja leicht durch eine Untersuchung sich ergeben müßte. —
Dieses Gerücht hätte aber gar nicht Raum finden können, wenn ein
offener Thatbestand mitgetheilt worden wäre.

Daß die Webernoth gerade jetzt den Höhepunkt erreicht hat,
davon scheint mir der Grund zumeist in dem, etwa in den letzten
zehn bis fünfzehn Jahren im Gebirge überHand genommenen Colo-
nisiren zu liegen. Gutsbesitzer, die bei den besten Holzpreisen ihre
Forste abholzten, fanden es dann leichter und einträglicher, den Bo¬
den in Erbpacht zu geben und Colonien anzulegen, als wie ihn selbst
zu bebauen.

Dadurch wurde es den Armen scheinbar sehr leicht gemacht,
eigenes Besitzthum zu erwerben. Für das wenige Land wurde ge¬
wöhnlich zwanzig Silbergroschen bis ein Thaler Erbpacht angesetzt.
Wie verlockend war es da nicht sür den armen Weber, der sich schon
lange nach eigenem Herde sehnte, schnell zuzugreifen! Da wurden
die kleinen Ersparnisse überzahlt, die etwaige geringe Erbschaft
noch dazu geschlagen, zur Noth noch auf Freunde, die doch auch
helfen würden, gerechnet, und ein Stück Land, gewöhnlich von vier
bis acht Morgen an sich gebracht. Vor Allem mußte nun eine Hütte
oder wenigstens ein Obdach gebaut werden. Der Gutsbesitzer war
so menschenfreundlich, das Holz dazu herzugeben und die Hälfte des
Betrages zu stunden. Damit wurden denn aber auch gewöhnlich fast
alle Mittel aufgerieben, der arme Mann hatte dann kein Geld mehr
zum Ausbau, und noch weniger welches, um sich Vieh anzuschaffen.
Was sollte er nun anfangen? Zu seiner Arbeit zurückkehren, oder den
zumeist noch mit Stöcken und Steinen übersäeten Boden ausroden
und urbar machen? Gewöhnlich versuchte er Beides und vernach¬
lässigte, wie natürlich, Beides; und so kam es fast immer, daß
nach Jahr und Tag diese Stelle, die endlich etwas Wirth- und nutz¬
bar zu werden begann, vom Gericht wegen rückständigen Grundzin¬
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[0228] amtlichen Vertheilung der eingegangenen milden Gaben an die Weber die rückständigen Steuern davon in Abzug gebracht. — So wenig sich diese Härte von der Negierung glauben läßt, so ist es doch möglich, daß übertriebene Beamtenbeflissenheit sich dergleichen zu Schulden kommen ließ. Vielleicht ist aber auch gar nichts Wahres daran, was ja leicht durch eine Untersuchung sich ergeben müßte. — Dieses Gerücht hätte aber gar nicht Raum finden können, wenn ein offener Thatbestand mitgetheilt worden wäre. Daß die Webernoth gerade jetzt den Höhepunkt erreicht hat, davon scheint mir der Grund zumeist in dem, etwa in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren im Gebirge überHand genommenen Colo- nisiren zu liegen. Gutsbesitzer, die bei den besten Holzpreisen ihre Forste abholzten, fanden es dann leichter und einträglicher, den Bo¬ den in Erbpacht zu geben und Colonien anzulegen, als wie ihn selbst zu bebauen. Dadurch wurde es den Armen scheinbar sehr leicht gemacht, eigenes Besitzthum zu erwerben. Für das wenige Land wurde ge¬ wöhnlich zwanzig Silbergroschen bis ein Thaler Erbpacht angesetzt. Wie verlockend war es da nicht sür den armen Weber, der sich schon lange nach eigenem Herde sehnte, schnell zuzugreifen! Da wurden die kleinen Ersparnisse überzahlt, die etwaige geringe Erbschaft noch dazu geschlagen, zur Noth noch auf Freunde, die doch auch helfen würden, gerechnet, und ein Stück Land, gewöhnlich von vier bis acht Morgen an sich gebracht. Vor Allem mußte nun eine Hütte oder wenigstens ein Obdach gebaut werden. Der Gutsbesitzer war so menschenfreundlich, das Holz dazu herzugeben und die Hälfte des Betrages zu stunden. Damit wurden denn aber auch gewöhnlich fast alle Mittel aufgerieben, der arme Mann hatte dann kein Geld mehr zum Ausbau, und noch weniger welches, um sich Vieh anzuschaffen. Was sollte er nun anfangen? Zu seiner Arbeit zurückkehren, oder den zumeist noch mit Stöcken und Steinen übersäeten Boden ausroden und urbar machen? Gewöhnlich versuchte er Beides und vernach¬ lässigte, wie natürlich, Beides; und so kam es fast immer, daß nach Jahr und Tag diese Stelle, die endlich etwas Wirth- und nutz¬ bar zu werden begann, vom Gericht wegen rückständigen Grundzin¬ ses, Holzgeldeö, sonstiger Schulden, dabei sogar auch Steuern und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/228>, abgerufen am 23.12.2024.