Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

sollte mich auch hin und wieder die zum Sprichwort gewordene schle-
sische Einfachheit und Biederkeit bestochen haben, so bin ich mir doch
bewußt, daß ich auf der anderen Seite eben so die Bemühungen der
Regierung für das Wohl ihrer Unterthanen erkannte, wenn jich
auch die Mittel nicht immer dem Zwecke entsprechend fand.

Uebermuth, wie Einige denken, kann die Unruhen unmöglich
hervorgerufen haben, da selbst die Baumwollenweber in Peterswaldcm
und Langenbielau, obgleich viel besser gestellt, als die armen Leinen¬
weber höher im Gebirge, noch immer vor dem Zustande des Ueber-
müthigseins, oder -- wie der Schlesier sagt -- des vom "Haberge-
stochenwcrdens" bewahrt sind.

Eben so wenig trägt das moderne Sündenböcklein: die leidige
Presse, der man so gern jeden preßhaften Zustand aufbürden möchte,
die Schuld. Gesetzt, die armen Weber hätten sogar die Schriften
Treumund Welp'S gelesen; -- wozu es ihnen nicht blos an Zeit
und Geld, sondern auch an Geduld und Athem zu den etwas lan¬
gen Perioden dieses Schriftstellers fehlen dürste; -- sie wären davon
dennoch nicht verführt worden. Die Herren, die das Volk nicht ken¬
nen und selbst nur unter papiernen Himmel und in bücherstaubiger
Atmosphäre leben, -- sowohl die Schriftsteller-, wie die Beamtenfe¬
dern -- stellen sich überhaupt die Wirkung der Presse etwas gar zu
unmittelbar und schießpulverartig vor; sie meinen, weil Beides, Schie߬
pulver und Druckerschwärze, in demselben Jahrhundert aufgekommen,
sei Beides eine ähnliche Waffe. Wäre dies wirklich der Fall, so hätte
die Presse eine größere Macht für den Augenblick, als alle Armeen
Europas, und nicht die mindeste nachhaltige Wirkung. Die Erfah¬
rung aber lehrt das Gegentheil. Wo wären wir jetzt in Europa,
wenn Alles das, was seit hundert Jahren, trotz der schärfsten Ne-
gierungsmaßregeln, gedruckt worden ist, unmittelbar gewirkt hätte!
Mußten wir nicht schon längst, mit allem Bestehenden, in die Luft
gesprengt sein? Die am meisten tncriminirten Schriften beweisen oft
in der Länge der Zeit, daß ihre Wirkung eine ganz andere, als die
erwartete ist, und daß nur Das eindringt, was nach langer Bespre¬
chung und Prüfung die Probe des praktischen Lebens bestanden hat.
So hat man gegen die angeblich aufregenden Tendenzen Welp's ge¬
schrien, und es ist nicht zu läugnen, daß dieser Volksmann, bei dem
besten Willen, in blinder Energie oft viel zu weit geht; aber Welp


sollte mich auch hin und wieder die zum Sprichwort gewordene schle-
sische Einfachheit und Biederkeit bestochen haben, so bin ich mir doch
bewußt, daß ich auf der anderen Seite eben so die Bemühungen der
Regierung für das Wohl ihrer Unterthanen erkannte, wenn jich
auch die Mittel nicht immer dem Zwecke entsprechend fand.

Uebermuth, wie Einige denken, kann die Unruhen unmöglich
hervorgerufen haben, da selbst die Baumwollenweber in Peterswaldcm
und Langenbielau, obgleich viel besser gestellt, als die armen Leinen¬
weber höher im Gebirge, noch immer vor dem Zustande des Ueber-
müthigseins, oder — wie der Schlesier sagt — des vom „Haberge-
stochenwcrdens" bewahrt sind.

Eben so wenig trägt das moderne Sündenböcklein: die leidige
Presse, der man so gern jeden preßhaften Zustand aufbürden möchte,
die Schuld. Gesetzt, die armen Weber hätten sogar die Schriften
Treumund Welp'S gelesen; — wozu es ihnen nicht blos an Zeit
und Geld, sondern auch an Geduld und Athem zu den etwas lan¬
gen Perioden dieses Schriftstellers fehlen dürste; — sie wären davon
dennoch nicht verführt worden. Die Herren, die das Volk nicht ken¬
nen und selbst nur unter papiernen Himmel und in bücherstaubiger
Atmosphäre leben, — sowohl die Schriftsteller-, wie die Beamtenfe¬
dern — stellen sich überhaupt die Wirkung der Presse etwas gar zu
unmittelbar und schießpulverartig vor; sie meinen, weil Beides, Schie߬
pulver und Druckerschwärze, in demselben Jahrhundert aufgekommen,
sei Beides eine ähnliche Waffe. Wäre dies wirklich der Fall, so hätte
die Presse eine größere Macht für den Augenblick, als alle Armeen
Europas, und nicht die mindeste nachhaltige Wirkung. Die Erfah¬
rung aber lehrt das Gegentheil. Wo wären wir jetzt in Europa,
wenn Alles das, was seit hundert Jahren, trotz der schärfsten Ne-
gierungsmaßregeln, gedruckt worden ist, unmittelbar gewirkt hätte!
Mußten wir nicht schon längst, mit allem Bestehenden, in die Luft
gesprengt sein? Die am meisten tncriminirten Schriften beweisen oft
in der Länge der Zeit, daß ihre Wirkung eine ganz andere, als die
erwartete ist, und daß nur Das eindringt, was nach langer Bespre¬
chung und Prüfung die Probe des praktischen Lebens bestanden hat.
So hat man gegen die angeblich aufregenden Tendenzen Welp's ge¬
schrien, und es ist nicht zu läugnen, daß dieser Volksmann, bei dem
besten Willen, in blinder Energie oft viel zu weit geht; aber Welp


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0226" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/180785"/>
          <p xml:id="ID_516" prev="#ID_515"> sollte mich auch hin und wieder die zum Sprichwort gewordene schle-<lb/>
sische Einfachheit und Biederkeit bestochen haben, so bin ich mir doch<lb/>
bewußt, daß ich auf der anderen Seite eben so die Bemühungen der<lb/>
Regierung für das Wohl ihrer Unterthanen erkannte, wenn jich<lb/>
auch die Mittel nicht immer dem Zwecke entsprechend fand.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_517"> Uebermuth, wie Einige denken, kann die Unruhen unmöglich<lb/>
hervorgerufen haben, da selbst die Baumwollenweber in Peterswaldcm<lb/>
und Langenbielau, obgleich viel besser gestellt, als die armen Leinen¬<lb/>
weber höher im Gebirge, noch immer vor dem Zustande des Ueber-<lb/>
müthigseins, oder &#x2014; wie der Schlesier sagt &#x2014; des vom &#x201E;Haberge-<lb/>
stochenwcrdens" bewahrt sind.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_518" next="#ID_519"> Eben so wenig trägt das moderne Sündenböcklein: die leidige<lb/>
Presse, der man so gern jeden preßhaften Zustand aufbürden möchte,<lb/>
die Schuld. Gesetzt, die armen Weber hätten sogar die Schriften<lb/>
Treumund Welp'S gelesen; &#x2014; wozu es ihnen nicht blos an Zeit<lb/>
und Geld, sondern auch an Geduld und Athem zu den etwas lan¬<lb/>
gen Perioden dieses Schriftstellers fehlen dürste; &#x2014; sie wären davon<lb/>
dennoch nicht verführt worden. Die Herren, die das Volk nicht ken¬<lb/>
nen und selbst nur unter papiernen Himmel und in bücherstaubiger<lb/>
Atmosphäre leben, &#x2014; sowohl die Schriftsteller-, wie die Beamtenfe¬<lb/>
dern &#x2014; stellen sich überhaupt die Wirkung der Presse etwas gar zu<lb/>
unmittelbar und schießpulverartig vor; sie meinen, weil Beides, Schie߬<lb/>
pulver und Druckerschwärze, in demselben Jahrhundert aufgekommen,<lb/>
sei Beides eine ähnliche Waffe. Wäre dies wirklich der Fall, so hätte<lb/>
die Presse eine größere Macht für den Augenblick, als alle Armeen<lb/>
Europas, und nicht die mindeste nachhaltige Wirkung. Die Erfah¬<lb/>
rung aber lehrt das Gegentheil. Wo wären wir jetzt in Europa,<lb/>
wenn Alles das, was seit hundert Jahren, trotz der schärfsten Ne-<lb/>
gierungsmaßregeln, gedruckt worden ist, unmittelbar gewirkt hätte!<lb/>
Mußten wir nicht schon längst, mit allem Bestehenden, in die Luft<lb/>
gesprengt sein? Die am meisten tncriminirten Schriften beweisen oft<lb/>
in der Länge der Zeit, daß ihre Wirkung eine ganz andere, als die<lb/>
erwartete ist, und daß nur Das eindringt, was nach langer Bespre¬<lb/>
chung und Prüfung die Probe des praktischen Lebens bestanden hat.<lb/>
So hat man gegen die angeblich aufregenden Tendenzen Welp's ge¬<lb/>
schrien, und es ist nicht zu läugnen, daß dieser Volksmann, bei dem<lb/>
besten Willen, in blinder Energie oft viel zu weit geht; aber Welp</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0226] sollte mich auch hin und wieder die zum Sprichwort gewordene schle- sische Einfachheit und Biederkeit bestochen haben, so bin ich mir doch bewußt, daß ich auf der anderen Seite eben so die Bemühungen der Regierung für das Wohl ihrer Unterthanen erkannte, wenn jich auch die Mittel nicht immer dem Zwecke entsprechend fand. Uebermuth, wie Einige denken, kann die Unruhen unmöglich hervorgerufen haben, da selbst die Baumwollenweber in Peterswaldcm und Langenbielau, obgleich viel besser gestellt, als die armen Leinen¬ weber höher im Gebirge, noch immer vor dem Zustande des Ueber- müthigseins, oder — wie der Schlesier sagt — des vom „Haberge- stochenwcrdens" bewahrt sind. Eben so wenig trägt das moderne Sündenböcklein: die leidige Presse, der man so gern jeden preßhaften Zustand aufbürden möchte, die Schuld. Gesetzt, die armen Weber hätten sogar die Schriften Treumund Welp'S gelesen; — wozu es ihnen nicht blos an Zeit und Geld, sondern auch an Geduld und Athem zu den etwas lan¬ gen Perioden dieses Schriftstellers fehlen dürste; — sie wären davon dennoch nicht verführt worden. Die Herren, die das Volk nicht ken¬ nen und selbst nur unter papiernen Himmel und in bücherstaubiger Atmosphäre leben, — sowohl die Schriftsteller-, wie die Beamtenfe¬ dern — stellen sich überhaupt die Wirkung der Presse etwas gar zu unmittelbar und schießpulverartig vor; sie meinen, weil Beides, Schie߬ pulver und Druckerschwärze, in demselben Jahrhundert aufgekommen, sei Beides eine ähnliche Waffe. Wäre dies wirklich der Fall, so hätte die Presse eine größere Macht für den Augenblick, als alle Armeen Europas, und nicht die mindeste nachhaltige Wirkung. Die Erfah¬ rung aber lehrt das Gegentheil. Wo wären wir jetzt in Europa, wenn Alles das, was seit hundert Jahren, trotz der schärfsten Ne- gierungsmaßregeln, gedruckt worden ist, unmittelbar gewirkt hätte! Mußten wir nicht schon längst, mit allem Bestehenden, in die Luft gesprengt sein? Die am meisten tncriminirten Schriften beweisen oft in der Länge der Zeit, daß ihre Wirkung eine ganz andere, als die erwartete ist, und daß nur Das eindringt, was nach langer Bespre¬ chung und Prüfung die Probe des praktischen Lebens bestanden hat. So hat man gegen die angeblich aufregenden Tendenzen Welp's ge¬ schrien, und es ist nicht zu läugnen, daß dieser Volksmann, bei dem besten Willen, in blinder Energie oft viel zu weit geht; aber Welp

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/226
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/226>, abgerufen am 22.12.2024.