Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

mit einem Gefühl, dessen Natur ich nicht kannte, oder noch besser ge¬
sagt, ohne alles Gefühl aus der Kaserne hinaus. -- Ich war mit
mir uneins, ob ich recht oder unrecht gehandelt, -- meine Hand¬
lung war nicht das Resultat meiner Ueberlegung, sie war die Frucht
der momentanen Ueberraschung, mein Gefühl übermannte meine Ver¬
nunft. -- Mein erster Gang war zu einem Freunde, um sein Urtheil
über das so eben Vorgefallene zu hören; aber ich fand keinen Trost.
-- Die Geschichte wurde in der ganzen Garnison binnen wenigen
Stunden ruchbar, und ich fand unter allen meinen Bekannten nur
einen einzigen Hauptmann, der mir einen guten Ausgang prophe¬
zeite und meinen Muth mit dem Beisatze aufrichtete, indem er
mir sagte: Und wenn es wider besseres Hoffen mit Ihnen nicht gut
ausfallen sollte, so entschädigt Sie vollkommen das Bewußtsein, daß
Sie einen solchen Entschluß fassen und ihn ausführen konnten! --
Bei meiner Nachhausekunft fand ich ein Aviso, daß ich den folgen¬
den Tag beim Stabsrapport zu erscheinen habe, welches vorauszu¬
sehen war. In der Frühe überbrachte mir der Korporal den Früh¬
rapport, in welchem der gestrige Vorfall mit folgenden Worten ge¬
meldet war: Kanonier N. sollte vermöge löblichen Compagniebefehls
wegen Nachlässigkeit im Dienste mit fünfundzwanzig Stockstreichen
bestraft werden, es wurde jedoch nur der Befehl vorgelesen, und die
Strafe auf Befehl des Herrn Jnspcctionsoffiziers nicht vollzogen. --
Diesen Rapport mußte ich unterschreiben. Als ich beim Compagnie¬
rapport erschien, wurde von Seite des Hauptmanns der Vorfall
gar nicht erwähnt, sondern blos als der Kanonier seinen Dank we¬
gen der gnädigen Strafe ausdrücken wollte, befahl er demselben spöt¬
tisch, sich bei mir zu bedanken, welches derselbe auch that und ich
annahm. -- Nach dem Rapport ging ich und der Hauptmann zum
Major, welcher mir mein unüberlegtes Handeln vorstellte und mich
schon im Voraus wegen des Verlustes meiner Charge bedauerte. Von
da ging es zum Commandanten. -- Der Commandant fand durch¬
aus keinen Ausdruck, um mein Vergehen zu bezeichnen. Ich diene
bereits sechsundvierzig Jahre, sagte er, und ein solcher Fall
ist mir noch nicht vorgekommen. Zwei solche Offiziere in der Armee,
wie Sie sind, würden alle Disciplin über den Haufen werfen, da¬
her müssen Sie sich es selbst zuschreiben, wenn Sie ein Erempel statui-


mit einem Gefühl, dessen Natur ich nicht kannte, oder noch besser ge¬
sagt, ohne alles Gefühl aus der Kaserne hinaus. — Ich war mit
mir uneins, ob ich recht oder unrecht gehandelt, — meine Hand¬
lung war nicht das Resultat meiner Ueberlegung, sie war die Frucht
der momentanen Ueberraschung, mein Gefühl übermannte meine Ver¬
nunft. — Mein erster Gang war zu einem Freunde, um sein Urtheil
über das so eben Vorgefallene zu hören; aber ich fand keinen Trost.
— Die Geschichte wurde in der ganzen Garnison binnen wenigen
Stunden ruchbar, und ich fand unter allen meinen Bekannten nur
einen einzigen Hauptmann, der mir einen guten Ausgang prophe¬
zeite und meinen Muth mit dem Beisatze aufrichtete, indem er
mir sagte: Und wenn es wider besseres Hoffen mit Ihnen nicht gut
ausfallen sollte, so entschädigt Sie vollkommen das Bewußtsein, daß
Sie einen solchen Entschluß fassen und ihn ausführen konnten! —
Bei meiner Nachhausekunft fand ich ein Aviso, daß ich den folgen¬
den Tag beim Stabsrapport zu erscheinen habe, welches vorauszu¬
sehen war. In der Frühe überbrachte mir der Korporal den Früh¬
rapport, in welchem der gestrige Vorfall mit folgenden Worten ge¬
meldet war: Kanonier N. sollte vermöge löblichen Compagniebefehls
wegen Nachlässigkeit im Dienste mit fünfundzwanzig Stockstreichen
bestraft werden, es wurde jedoch nur der Befehl vorgelesen, und die
Strafe auf Befehl des Herrn Jnspcctionsoffiziers nicht vollzogen. —
Diesen Rapport mußte ich unterschreiben. Als ich beim Compagnie¬
rapport erschien, wurde von Seite des Hauptmanns der Vorfall
gar nicht erwähnt, sondern blos als der Kanonier seinen Dank we¬
gen der gnädigen Strafe ausdrücken wollte, befahl er demselben spöt¬
tisch, sich bei mir zu bedanken, welches derselbe auch that und ich
annahm. — Nach dem Rapport ging ich und der Hauptmann zum
Major, welcher mir mein unüberlegtes Handeln vorstellte und mich
schon im Voraus wegen des Verlustes meiner Charge bedauerte. Von
da ging es zum Commandanten. — Der Commandant fand durch¬
aus keinen Ausdruck, um mein Vergehen zu bezeichnen. Ich diene
bereits sechsundvierzig Jahre, sagte er, und ein solcher Fall
ist mir noch nicht vorgekommen. Zwei solche Offiziere in der Armee,
wie Sie sind, würden alle Disciplin über den Haufen werfen, da¬
her müssen Sie sich es selbst zuschreiben, wenn Sie ein Erempel statui-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0208" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/180767"/>
            <p xml:id="ID_477" prev="#ID_476" next="#ID_478"> mit einem Gefühl, dessen Natur ich nicht kannte, oder noch besser ge¬<lb/>
sagt, ohne alles Gefühl aus der Kaserne hinaus. &#x2014; Ich war mit<lb/>
mir uneins, ob ich recht oder unrecht gehandelt, &#x2014; meine Hand¬<lb/>
lung war nicht das Resultat meiner Ueberlegung, sie war die Frucht<lb/>
der momentanen Ueberraschung, mein Gefühl übermannte meine Ver¬<lb/>
nunft. &#x2014; Mein erster Gang war zu einem Freunde, um sein Urtheil<lb/>
über das so eben Vorgefallene zu hören; aber ich fand keinen Trost.<lb/>
&#x2014; Die Geschichte wurde in der ganzen Garnison binnen wenigen<lb/>
Stunden ruchbar, und ich fand unter allen meinen Bekannten nur<lb/>
einen einzigen Hauptmann, der mir einen guten Ausgang prophe¬<lb/>
zeite und meinen Muth mit dem Beisatze aufrichtete, indem er<lb/>
mir sagte: Und wenn es wider besseres Hoffen mit Ihnen nicht gut<lb/>
ausfallen sollte, so entschädigt Sie vollkommen das Bewußtsein, daß<lb/>
Sie einen solchen Entschluß fassen und ihn ausführen konnten! &#x2014;<lb/>
Bei meiner Nachhausekunft fand ich ein Aviso, daß ich den folgen¬<lb/>
den Tag beim Stabsrapport zu erscheinen habe, welches vorauszu¬<lb/>
sehen war. In der Frühe überbrachte mir der Korporal den Früh¬<lb/>
rapport, in welchem der gestrige Vorfall mit folgenden Worten ge¬<lb/>
meldet war: Kanonier N. sollte vermöge löblichen Compagniebefehls<lb/>
wegen Nachlässigkeit im Dienste mit fünfundzwanzig Stockstreichen<lb/>
bestraft werden, es wurde jedoch nur der Befehl vorgelesen, und die<lb/>
Strafe auf Befehl des Herrn Jnspcctionsoffiziers nicht vollzogen. &#x2014;<lb/>
Diesen Rapport mußte ich unterschreiben. Als ich beim Compagnie¬<lb/>
rapport erschien, wurde von Seite des Hauptmanns der Vorfall<lb/>
gar nicht erwähnt, sondern blos als der Kanonier seinen Dank we¬<lb/>
gen der gnädigen Strafe ausdrücken wollte, befahl er demselben spöt¬<lb/>
tisch, sich bei mir zu bedanken, welches derselbe auch that und ich<lb/>
annahm. &#x2014; Nach dem Rapport ging ich und der Hauptmann zum<lb/>
Major, welcher mir mein unüberlegtes Handeln vorstellte und mich<lb/>
schon im Voraus wegen des Verlustes meiner Charge bedauerte. Von<lb/>
da ging es zum Commandanten. &#x2014; Der Commandant fand durch¬<lb/>
aus keinen Ausdruck, um mein Vergehen zu bezeichnen. Ich diene<lb/>
bereits sechsundvierzig Jahre, sagte er, und ein solcher Fall<lb/>
ist mir noch nicht vorgekommen. Zwei solche Offiziere in der Armee,<lb/>
wie Sie sind, würden alle Disciplin über den Haufen werfen, da¬<lb/>
her müssen Sie sich es selbst zuschreiben, wenn Sie ein Erempel statui-</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0208] mit einem Gefühl, dessen Natur ich nicht kannte, oder noch besser ge¬ sagt, ohne alles Gefühl aus der Kaserne hinaus. — Ich war mit mir uneins, ob ich recht oder unrecht gehandelt, — meine Hand¬ lung war nicht das Resultat meiner Ueberlegung, sie war die Frucht der momentanen Ueberraschung, mein Gefühl übermannte meine Ver¬ nunft. — Mein erster Gang war zu einem Freunde, um sein Urtheil über das so eben Vorgefallene zu hören; aber ich fand keinen Trost. — Die Geschichte wurde in der ganzen Garnison binnen wenigen Stunden ruchbar, und ich fand unter allen meinen Bekannten nur einen einzigen Hauptmann, der mir einen guten Ausgang prophe¬ zeite und meinen Muth mit dem Beisatze aufrichtete, indem er mir sagte: Und wenn es wider besseres Hoffen mit Ihnen nicht gut ausfallen sollte, so entschädigt Sie vollkommen das Bewußtsein, daß Sie einen solchen Entschluß fassen und ihn ausführen konnten! — Bei meiner Nachhausekunft fand ich ein Aviso, daß ich den folgen¬ den Tag beim Stabsrapport zu erscheinen habe, welches vorauszu¬ sehen war. In der Frühe überbrachte mir der Korporal den Früh¬ rapport, in welchem der gestrige Vorfall mit folgenden Worten ge¬ meldet war: Kanonier N. sollte vermöge löblichen Compagniebefehls wegen Nachlässigkeit im Dienste mit fünfundzwanzig Stockstreichen bestraft werden, es wurde jedoch nur der Befehl vorgelesen, und die Strafe auf Befehl des Herrn Jnspcctionsoffiziers nicht vollzogen. — Diesen Rapport mußte ich unterschreiben. Als ich beim Compagnie¬ rapport erschien, wurde von Seite des Hauptmanns der Vorfall gar nicht erwähnt, sondern blos als der Kanonier seinen Dank we¬ gen der gnädigen Strafe ausdrücken wollte, befahl er demselben spöt¬ tisch, sich bei mir zu bedanken, welches derselbe auch that und ich annahm. — Nach dem Rapport ging ich und der Hauptmann zum Major, welcher mir mein unüberlegtes Handeln vorstellte und mich schon im Voraus wegen des Verlustes meiner Charge bedauerte. Von da ging es zum Commandanten. — Der Commandant fand durch¬ aus keinen Ausdruck, um mein Vergehen zu bezeichnen. Ich diene bereits sechsundvierzig Jahre, sagte er, und ein solcher Fall ist mir noch nicht vorgekommen. Zwei solche Offiziere in der Armee, wie Sie sind, würden alle Disciplin über den Haufen werfen, da¬ her müssen Sie sich es selbst zuschreiben, wenn Sie ein Erempel statui-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/208
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/208>, abgerufen am 22.12.2024.