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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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kratie sich nicht eben mit mittelalterlicher Unabhängigkeit gegenüber¬
stellt, zugegeben würde. Aber nein, es ist bloße Abenteuerlust, blos
ritterlicher Sinn, was unsere Paladine in's Feld ruft; denn es sind
sogar liberale Aristokraten unter ihnen. Wenn man diese Herren un¬
ter den Fahnen des Don Carlos erblickte, so mochten sie sagen und
sagten's auch: Wir sind auf dieser Seite, nicht um für Inquisition
und Despotismus zu kämpfen, sondern weil hier am meisten altspa¬
nische Romantik ist, weil hier ein ritterliches Gebirgsvolk für seine
nationalen Freiheiten streitet. -- Wie kommt es aber, daß die jungen
preußischen Adeligen, die bis jetzt nach dem Kaukasus gingen, immer
nur auf der russischen Seite standen? Sind die Tscherkessen nicht
ritterlicher, als die russischen Rekruten- und Strafregimentcr? O meine
Herren, sein Sie überzeugt, Sie können unter den Helden des Kau¬
kasus viel romantischere und gefährlichere Abenteuer bestehen, als in
den Reihen der Kosaken. Der Begriff: ritterlich, muß in der moder¬
nen Epauletten-Zeit sich doch wesentlich verändert haben. Es ist al¬
lerdings möglich, daß religiöse Rücksichten diesen jungen Nachwuchs
des Ritterthums in die russischen Reihen führen; man ist da gewisser¬
maßen militärischer Missionär, moderner Kreuzfahrer und trägt mittel¬
bar zur Verbreitung des Christenthums bei. Das wird am Ende
auch den barocken baierischen Freiherrn bestimmt haben; es wäre nur
zu wünschen, daß er seine Pläne selbst ausführte und sich mit dem
ebenfalls ergrauten, wirklich freien Herrn Schamvl persönlich mes¬
sen könnte/ Das wäre Romantik.

-- Die deutsche Einheit ist schon wieder auf eine bedauerliche
Weise gestört worden, und zwar, wie von jeher, nur durch die In¬
triguen des Reichs- und Erbfeindes, durch Frankreich. Wer könnte so
blind sein, um nicht einzusehen, daß der Mi til-ittor in keiner andern
Absicht geschrieben ist, als um einen Erisapfel zwischen die Vorfechter
deutscher Einheit zu werfen? Sieht man nicht an dem wüsten, plan¬
los hingeworfenen Unsinn der Anfangscapitcl, daß es Sue gar nicht
darum zu thun ist, einen Roman zu schreiben? Der jun vri-und mag
literarisch ausfallen, wie er will: seinen politischen Zweck hat er be¬
reits nur zu gut erreicht. Der tieser Blickende wird es keineswegs
für einen Zufall halten, daß Sue's Buch im Constitutionnel, in dem
alten Organ des eingefleischtesten Deutschfeindes, Thiers, abgedruckt
ist, und man wird sich das riesenhafte Honorar erklären können, wel¬
ches der Autor im Voraus erhielt; ein Honorar, welches bei uns
kaum ein -- scher oder -- scher Premierminister für den gelungensten
diplomatischen c">>w, in auswärtigen oder inwendigen Verlegenheiten,
erhalten dürfte. Das Unheil besteht nicht blos darin, daß die Unzahl
der Uebersetzungen inneren Zwiespalt und Neid, Concurrenz, Bankerotte
und Pauperismus herbeiführen muß; nicht darin, daß eine Masse begabter
Köpfe, am Narrenseil des juif vrrimt festgehalten, von der Verfechtung


kratie sich nicht eben mit mittelalterlicher Unabhängigkeit gegenüber¬
stellt, zugegeben würde. Aber nein, es ist bloße Abenteuerlust, blos
ritterlicher Sinn, was unsere Paladine in's Feld ruft; denn es sind
sogar liberale Aristokraten unter ihnen. Wenn man diese Herren un¬
ter den Fahnen des Don Carlos erblickte, so mochten sie sagen und
sagten's auch: Wir sind auf dieser Seite, nicht um für Inquisition
und Despotismus zu kämpfen, sondern weil hier am meisten altspa¬
nische Romantik ist, weil hier ein ritterliches Gebirgsvolk für seine
nationalen Freiheiten streitet. — Wie kommt es aber, daß die jungen
preußischen Adeligen, die bis jetzt nach dem Kaukasus gingen, immer
nur auf der russischen Seite standen? Sind die Tscherkessen nicht
ritterlicher, als die russischen Rekruten- und Strafregimentcr? O meine
Herren, sein Sie überzeugt, Sie können unter den Helden des Kau¬
kasus viel romantischere und gefährlichere Abenteuer bestehen, als in
den Reihen der Kosaken. Der Begriff: ritterlich, muß in der moder¬
nen Epauletten-Zeit sich doch wesentlich verändert haben. Es ist al¬
lerdings möglich, daß religiöse Rücksichten diesen jungen Nachwuchs
des Ritterthums in die russischen Reihen führen; man ist da gewisser¬
maßen militärischer Missionär, moderner Kreuzfahrer und trägt mittel¬
bar zur Verbreitung des Christenthums bei. Das wird am Ende
auch den barocken baierischen Freiherrn bestimmt haben; es wäre nur
zu wünschen, daß er seine Pläne selbst ausführte und sich mit dem
ebenfalls ergrauten, wirklich freien Herrn Schamvl persönlich mes¬
sen könnte/ Das wäre Romantik.

— Die deutsche Einheit ist schon wieder auf eine bedauerliche
Weise gestört worden, und zwar, wie von jeher, nur durch die In¬
triguen des Reichs- und Erbfeindes, durch Frankreich. Wer könnte so
blind sein, um nicht einzusehen, daß der Mi til-ittor in keiner andern
Absicht geschrieben ist, als um einen Erisapfel zwischen die Vorfechter
deutscher Einheit zu werfen? Sieht man nicht an dem wüsten, plan¬
los hingeworfenen Unsinn der Anfangscapitcl, daß es Sue gar nicht
darum zu thun ist, einen Roman zu schreiben? Der jun vri-und mag
literarisch ausfallen, wie er will: seinen politischen Zweck hat er be¬
reits nur zu gut erreicht. Der tieser Blickende wird es keineswegs
für einen Zufall halten, daß Sue's Buch im Constitutionnel, in dem
alten Organ des eingefleischtesten Deutschfeindes, Thiers, abgedruckt
ist, und man wird sich das riesenhafte Honorar erklären können, wel¬
ches der Autor im Voraus erhielt; ein Honorar, welches bei uns
kaum ein — scher oder — scher Premierminister für den gelungensten
diplomatischen c«>>w, in auswärtigen oder inwendigen Verlegenheiten,
erhalten dürfte. Das Unheil besteht nicht blos darin, daß die Unzahl
der Uebersetzungen inneren Zwiespalt und Neid, Concurrenz, Bankerotte
und Pauperismus herbeiführen muß; nicht darin, daß eine Masse begabter
Köpfe, am Narrenseil des juif vrrimt festgehalten, von der Verfechtung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/199>, abgerufen am 23.07.2024.