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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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nachzusetzen und sie zurückzuschleppen. So schreiend nun auch solche Ge>
bietsverletzungen oft waren, konnte doch selten eine Genugthuung da"
für erlangt werden. "Gott ist hoch und der Czar weit", sagen die
Russen, wenn sie ausdrücken wollen, daß sie sich Manches erlau¬
ben können, ohne eine Strafe zu befürchten. Wenn in solchen Fallen
diplomatische Reclamationen stattfanden, dann ward freilich eine Un¬
tersuchung angeordnet, aber das Forum der Kosaken befindet sich am
Don, und dort ist man gewöhnlich sehr nachsichtig gegen Fehler, die
am Niemen oder an der Weichsel begangen, und durch die blos ei¬
nige Ausländer beeinträchtigt wurden. Gegenwärtig ist nun aber fest¬
gestellt, daß eine gemischte Commission von Preußen und Russen solche
Gebietsverletzungen sogleich untersuchen und deren strenge Ahndung
bewirken soll. Sie sehen also, die Sache hat auch ihre guten Seiten,
und da es bei dem gegenwärtigen anarchischen Zustand an der Grenze
unmöglich länger bleiben konnte, so liegt jedenfalls ein Verdienst da¬
rin, eine Convention mit so günstigen Bedingungen erwirkt zu haben.

Das berüchtigte Ehescheidungsgesetz ist nun wirklich einstweilen
unter den Tisch gefallen, denn das, was kürzlich in dieser Beziehung
in der Form einer Cabinetsordre veröffentlicht wurde, betrifft nur das
Forum der Ehescheidungsprozesse, welches künftig die Oberlandesgerichte
sein sollen, bei denen zugleich ein -lllvorntus mittiiinnnii, ein Staats¬
anwalt, der die Aufrechthaltung der Ehe zu verfechten hat, angestellt
wird. Von den Zuchthaus- und anderen Strafen, die den schuldigen
Gatten treffen sollten, so wie von dem ungeheueren Einflüsse, der den
Geistlichen eingeräumt war, ist jetzt keine Rede mehr. Hoffentlich
werden auch unsere Provinzialstände, denen anheimgestellt ist, auf
jene Intentionen zurückzukommen, so gescheidt sein, es bei der ictzi-
gcn Ehescheidungsgesetzgebung bewenden zu lassen.
'

Man spricht davon, daß, nachdem Hallers Restaurations-Jdeen
im Berliner politischen Wochenblatt so treffliche Dienste geleistet, der
Nachfolger Haller's in der Schweiz, Herr Friedrich Rohmer, der mit
seinem Freunde Bluntschli die große Entdeckung gemacht, daß der
Organismus des Staates mit dem des Menschen die größte Achnlich-
keit habe und daher eben so vor Erhitzungen, wie vor Erkältungen
behütet werden müsse, hierher berufen worden sei, um an der Stelle
des >>i. Ainkeisen die Redaction der Allgemeinen Preußischen Zeitung
zu übernehmen.

Leopold Schefer, der liebenswürdige Dichter des "Laienbrevicrs",
war aus Muskau hierher gekommen und hat sich einige Tage hier
aufgehalten, um, wie es heißt, eine illustrirte Ausgabe des eben ge¬
nannten Werkes besorgen zu helfen. Obwohl seiner ganzen Aeußer-
lichkeit nach Kleinstädter, lebt doch in dem Innern dieses Mannes die
ganze Welt mit ihren religiösen, politischen und philosophischen Ideen,
die sich auch in allen seinen Dichtungen abspiegeln. Auch als geiht-


nachzusetzen und sie zurückzuschleppen. So schreiend nun auch solche Ge>
bietsverletzungen oft waren, konnte doch selten eine Genugthuung da»
für erlangt werden. „Gott ist hoch und der Czar weit", sagen die
Russen, wenn sie ausdrücken wollen, daß sie sich Manches erlau¬
ben können, ohne eine Strafe zu befürchten. Wenn in solchen Fallen
diplomatische Reclamationen stattfanden, dann ward freilich eine Un¬
tersuchung angeordnet, aber das Forum der Kosaken befindet sich am
Don, und dort ist man gewöhnlich sehr nachsichtig gegen Fehler, die
am Niemen oder an der Weichsel begangen, und durch die blos ei¬
nige Ausländer beeinträchtigt wurden. Gegenwärtig ist nun aber fest¬
gestellt, daß eine gemischte Commission von Preußen und Russen solche
Gebietsverletzungen sogleich untersuchen und deren strenge Ahndung
bewirken soll. Sie sehen also, die Sache hat auch ihre guten Seiten,
und da es bei dem gegenwärtigen anarchischen Zustand an der Grenze
unmöglich länger bleiben konnte, so liegt jedenfalls ein Verdienst da¬
rin, eine Convention mit so günstigen Bedingungen erwirkt zu haben.

Das berüchtigte Ehescheidungsgesetz ist nun wirklich einstweilen
unter den Tisch gefallen, denn das, was kürzlich in dieser Beziehung
in der Form einer Cabinetsordre veröffentlicht wurde, betrifft nur das
Forum der Ehescheidungsprozesse, welches künftig die Oberlandesgerichte
sein sollen, bei denen zugleich ein -lllvorntus mittiiinnnii, ein Staats¬
anwalt, der die Aufrechthaltung der Ehe zu verfechten hat, angestellt
wird. Von den Zuchthaus- und anderen Strafen, die den schuldigen
Gatten treffen sollten, so wie von dem ungeheueren Einflüsse, der den
Geistlichen eingeräumt war, ist jetzt keine Rede mehr. Hoffentlich
werden auch unsere Provinzialstände, denen anheimgestellt ist, auf
jene Intentionen zurückzukommen, so gescheidt sein, es bei der ictzi-
gcn Ehescheidungsgesetzgebung bewenden zu lassen.
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Man spricht davon, daß, nachdem Hallers Restaurations-Jdeen
im Berliner politischen Wochenblatt so treffliche Dienste geleistet, der
Nachfolger Haller's in der Schweiz, Herr Friedrich Rohmer, der mit
seinem Freunde Bluntschli die große Entdeckung gemacht, daß der
Organismus des Staates mit dem des Menschen die größte Achnlich-
keit habe und daher eben so vor Erhitzungen, wie vor Erkältungen
behütet werden müsse, hierher berufen worden sei, um an der Stelle
des >>i. Ainkeisen die Redaction der Allgemeinen Preußischen Zeitung
zu übernehmen.

Leopold Schefer, der liebenswürdige Dichter des „Laienbrevicrs",
war aus Muskau hierher gekommen und hat sich einige Tage hier
aufgehalten, um, wie es heißt, eine illustrirte Ausgabe des eben ge¬
nannten Werkes besorgen zu helfen. Obwohl seiner ganzen Aeußer-
lichkeit nach Kleinstädter, lebt doch in dem Innern dieses Mannes die
ganze Welt mit ihren religiösen, politischen und philosophischen Ideen,
die sich auch in allen seinen Dichtungen abspiegeln. Auch als geiht-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/191>, abgerufen am 23.07.2024.