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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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manche lauern, "reiche dringend Abhilfe heischen, soll der alterthüm--
liebe Ball deö Erbstaates nicht aus den Fugen weichen.

Der Kitt aber des modernen Staates kann sein entweder Na-
tionaleinheit, oder freie Institutionen, oder endlich materielle Macht.

Oesterreich entbehrt aber, wie Jedermann weiß, sowohl der
Nationaleinheit, als der Nepräsentativ-Verfassung, und dort, wo noch
Volksfreiheit gilt, entwickelt sich gerade im Schutz dieser Freiheit das
Bestreben der Lostrennung vom fremden Stamm. Es bleibt also
der Regierung blos das Dritte, nämlich die materielle Macht, und
dieser widmet sie nun, als dem eigenen Rettungsanker des Staates,
ihre volle Thatkraft, und sie übersieht keine Erscheinung der Zeit,
welche diese Macht fördern und heben kann, ohne sie zu dem Gegen¬
stand ihrer Prüfung und mit raschem Entschluß zu ihrem Eigenthum
zu machen. Vielen ist die Entschiedenheit, womit der verschuldete
Staat sich zum Bau colossaler Eisenbahnlinien entschloß, unerwartet
gewesen, allein diese kennen Oesterreich nur oberflächlich; sonst wür¬
den sie recht gut wissen, daß man daselbst in derlei Dingen eine
Energie entwickelt, die oft zur Kühnheit wird, und die man in sei¬
nem Verfahren gegen Außen, zumal gegen Rußland, freilich nicht
gewohnt ist/

Seit jenen siegreichen Feldzügen, durch welche Eugen voll Sa-
voyen die Monarchie nach Osten ausrundete und den kaiserlichen
Adler bis nach Belgrad trug, haben alle Kriege Oesterreichs den
Charakter der Vertheidigung; jene unüberwindliche Zähigkeit, welche
den Besitz zu retten sucht, aber auch jene energielose Schwerfälligkeit,
welche allen Defensivbewegungcn anzuhaften pflegt. Mit diesem Feld¬
herrn hat Oesterreich aufgehört, erobernd zu sein, sein Bild ist der
Grenzgott im Buche der österreichischen Geschichte, das eine jugend¬
liche Gesicht vom Januskopf des großen Staatencompleres, der sich
an der mittlern Donau gelagert hat.

Durch eine seltsame Fügung des ironischen Zufalls hat die Hof¬
kammer die Gemächer eines Palastes inne, den der letzte österreichi¬
sche Eroberer, dem die schönsten und großartigsten Gebäude der Re¬
sidenz ihren Ursprung verdanken, sich in der Himmelpfortgasse erbaute.
Ein würdiges Aeußere, wie es der Geschmack, und eine solide Pracht,
wie es der Reichthum eines Prinzen erwarten ließ, der das Lustschloß
Belvedere und den Palast, welcher nun dem Kriegsministerium über-


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manche lauern, »reiche dringend Abhilfe heischen, soll der alterthüm--
liebe Ball deö Erbstaates nicht aus den Fugen weichen.

Der Kitt aber des modernen Staates kann sein entweder Na-
tionaleinheit, oder freie Institutionen, oder endlich materielle Macht.

Oesterreich entbehrt aber, wie Jedermann weiß, sowohl der
Nationaleinheit, als der Nepräsentativ-Verfassung, und dort, wo noch
Volksfreiheit gilt, entwickelt sich gerade im Schutz dieser Freiheit das
Bestreben der Lostrennung vom fremden Stamm. Es bleibt also
der Regierung blos das Dritte, nämlich die materielle Macht, und
dieser widmet sie nun, als dem eigenen Rettungsanker des Staates,
ihre volle Thatkraft, und sie übersieht keine Erscheinung der Zeit,
welche diese Macht fördern und heben kann, ohne sie zu dem Gegen¬
stand ihrer Prüfung und mit raschem Entschluß zu ihrem Eigenthum
zu machen. Vielen ist die Entschiedenheit, womit der verschuldete
Staat sich zum Bau colossaler Eisenbahnlinien entschloß, unerwartet
gewesen, allein diese kennen Oesterreich nur oberflächlich; sonst wür¬
den sie recht gut wissen, daß man daselbst in derlei Dingen eine
Energie entwickelt, die oft zur Kühnheit wird, und die man in sei¬
nem Verfahren gegen Außen, zumal gegen Rußland, freilich nicht
gewohnt ist/

Seit jenen siegreichen Feldzügen, durch welche Eugen voll Sa-
voyen die Monarchie nach Osten ausrundete und den kaiserlichen
Adler bis nach Belgrad trug, haben alle Kriege Oesterreichs den
Charakter der Vertheidigung; jene unüberwindliche Zähigkeit, welche
den Besitz zu retten sucht, aber auch jene energielose Schwerfälligkeit,
welche allen Defensivbewegungcn anzuhaften pflegt. Mit diesem Feld¬
herrn hat Oesterreich aufgehört, erobernd zu sein, sein Bild ist der
Grenzgott im Buche der österreichischen Geschichte, das eine jugend¬
liche Gesicht vom Januskopf des großen Staatencompleres, der sich
an der mittlern Donau gelagert hat.

Durch eine seltsame Fügung des ironischen Zufalls hat die Hof¬
kammer die Gemächer eines Palastes inne, den der letzte österreichi¬
sche Eroberer, dem die schönsten und großartigsten Gebäude der Re¬
sidenz ihren Ursprung verdanken, sich in der Himmelpfortgasse erbaute.
Ein würdiges Aeußere, wie es der Geschmack, und eine solide Pracht,
wie es der Reichthum eines Prinzen erwarten ließ, der das Lustschloß
Belvedere und den Palast, welcher nun dem Kriegsministerium über-


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[0163] manche lauern, »reiche dringend Abhilfe heischen, soll der alterthüm-- liebe Ball deö Erbstaates nicht aus den Fugen weichen. Der Kitt aber des modernen Staates kann sein entweder Na- tionaleinheit, oder freie Institutionen, oder endlich materielle Macht. Oesterreich entbehrt aber, wie Jedermann weiß, sowohl der Nationaleinheit, als der Nepräsentativ-Verfassung, und dort, wo noch Volksfreiheit gilt, entwickelt sich gerade im Schutz dieser Freiheit das Bestreben der Lostrennung vom fremden Stamm. Es bleibt also der Regierung blos das Dritte, nämlich die materielle Macht, und dieser widmet sie nun, als dem eigenen Rettungsanker des Staates, ihre volle Thatkraft, und sie übersieht keine Erscheinung der Zeit, welche diese Macht fördern und heben kann, ohne sie zu dem Gegen¬ stand ihrer Prüfung und mit raschem Entschluß zu ihrem Eigenthum zu machen. Vielen ist die Entschiedenheit, womit der verschuldete Staat sich zum Bau colossaler Eisenbahnlinien entschloß, unerwartet gewesen, allein diese kennen Oesterreich nur oberflächlich; sonst wür¬ den sie recht gut wissen, daß man daselbst in derlei Dingen eine Energie entwickelt, die oft zur Kühnheit wird, und die man in sei¬ nem Verfahren gegen Außen, zumal gegen Rußland, freilich nicht gewohnt ist/ Seit jenen siegreichen Feldzügen, durch welche Eugen voll Sa- voyen die Monarchie nach Osten ausrundete und den kaiserlichen Adler bis nach Belgrad trug, haben alle Kriege Oesterreichs den Charakter der Vertheidigung; jene unüberwindliche Zähigkeit, welche den Besitz zu retten sucht, aber auch jene energielose Schwerfälligkeit, welche allen Defensivbewegungcn anzuhaften pflegt. Mit diesem Feld¬ herrn hat Oesterreich aufgehört, erobernd zu sein, sein Bild ist der Grenzgott im Buche der österreichischen Geschichte, das eine jugend¬ liche Gesicht vom Januskopf des großen Staatencompleres, der sich an der mittlern Donau gelagert hat. Durch eine seltsame Fügung des ironischen Zufalls hat die Hof¬ kammer die Gemächer eines Palastes inne, den der letzte österreichi¬ sche Eroberer, dem die schönsten und großartigsten Gebäude der Re¬ sidenz ihren Ursprung verdanken, sich in der Himmelpfortgasse erbaute. Ein würdiges Aeußere, wie es der Geschmack, und eine solide Pracht, wie es der Reichthum eines Prinzen erwarten ließ, der das Lustschloß Belvedere und den Palast, welcher nun dem Kriegsministerium über- 20 »

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/163>, abgerufen am 23.07.2024.