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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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tillerie -- Bombardier-Corps ausgenommen -- die Disciplin mit
dem Stocke mehr, als in einem wallachischen Regiments gehandhabt
wird. Wird man eS wohl glauben, daß von den weltberühmten
österreichischen Kanoniers wenigstens der zehnte Theil wegen Tabak¬
rauchens im freien Felde, wegen AufHängens des Stockes auf den
Säbel, wegen vorschriftswidrigen Aufsehens des Hutes, wegen kleiner
Verspätung nach dem Zapfenstreich und wegen anderer ähnlichen dem
Dienste unschädlichen Kleinigkeiten zu Krüppeln geschlagen und zu
ehrlosen Menschen geprügelt werden? -- Auch ich würde gewiß nie
geglaubt haben, daß diese empörende Willkür in der Artillerie herrsche,
wenn ich nicht zu meinem eigenen Leidwesen ein Augenzeuge man¬
cher Erecution gewesen wäre, deren bloße Erinnerung mein Inneres
mit Indignation erfüllt. Damit sich ein Jeder von der Bestrafungs¬
weise einen Begriff machen könne, will ich nur einige wahre Fälle
hier citiren! Bevor ich jedoch die Erzählung dieser speciellen Falle
beginne, kann ich unmöglich einige Reflexionen unterdrücken.

Ich war, wie ich schon erwähnte, nach meiner Assentirung nicht
beim Negimentsstabe, sondern einige Stunden davon casernirt. Bei¬
läufig mochte ich zehn Tage in kaiserlichen Diensten gestanden haben,
als der Regimentsbefehl verlesen wurde, daß den folgenden Tag
alle neuen Leute zum Stäbe abgesendet werden sollen, nachdem da¬
selbst eine große Erecution stattfinden werde. Gleich nach dem Be¬
fehlausgeben belehrte mich ein Kamerad, weshalb diese neuen Leute,
worunter auch ich einbegriffen war, bei dieser Erecution zu erschei¬
nen hätten. "Daß die neuen Leute solchen Erecutionen beiwohnen,"
sagte er, "geschieht darum, damit sie sich daran gewöhnen, bevor sie
selbst zubauen müssen; denn es gibt darunter immer welche, die so
dumm sind, daß sie Anfangs dem Spitzruthenlaufen ohne "Neuigkei¬
ten" (Ohnmachten) nicht einmal zusehen, geschweige erst zubauen
können. Wenn Sie daher, er meinte mich, morgen bei dieser Ere¬
cution nur durch Mienen ein Mitleid verrathen, so müssen Sie das
nächste Mal wieder zum Stäbe zum Zuschauen ausrücken." Es
war eine sehr große und sehr lange Erecution. Beiläufig fünf oder
sechs wurden wegen Desertion zum drei- bis sechsmaligen, ein Dieb
zum achtmaligen Gassenlaufen abgeurtheilt und auch abgestraft. Wäh¬
rend diese Unglücklichen die fürchterliche Gasse, in welcher dem ent¬
blößten Dulder die drohenden Geißclruthen auf seinem martervollen


tillerie — Bombardier-Corps ausgenommen — die Disciplin mit
dem Stocke mehr, als in einem wallachischen Regiments gehandhabt
wird. Wird man eS wohl glauben, daß von den weltberühmten
österreichischen Kanoniers wenigstens der zehnte Theil wegen Tabak¬
rauchens im freien Felde, wegen AufHängens des Stockes auf den
Säbel, wegen vorschriftswidrigen Aufsehens des Hutes, wegen kleiner
Verspätung nach dem Zapfenstreich und wegen anderer ähnlichen dem
Dienste unschädlichen Kleinigkeiten zu Krüppeln geschlagen und zu
ehrlosen Menschen geprügelt werden? — Auch ich würde gewiß nie
geglaubt haben, daß diese empörende Willkür in der Artillerie herrsche,
wenn ich nicht zu meinem eigenen Leidwesen ein Augenzeuge man¬
cher Erecution gewesen wäre, deren bloße Erinnerung mein Inneres
mit Indignation erfüllt. Damit sich ein Jeder von der Bestrafungs¬
weise einen Begriff machen könne, will ich nur einige wahre Fälle
hier citiren! Bevor ich jedoch die Erzählung dieser speciellen Falle
beginne, kann ich unmöglich einige Reflexionen unterdrücken.

Ich war, wie ich schon erwähnte, nach meiner Assentirung nicht
beim Negimentsstabe, sondern einige Stunden davon casernirt. Bei¬
läufig mochte ich zehn Tage in kaiserlichen Diensten gestanden haben,
als der Regimentsbefehl verlesen wurde, daß den folgenden Tag
alle neuen Leute zum Stäbe abgesendet werden sollen, nachdem da¬
selbst eine große Erecution stattfinden werde. Gleich nach dem Be¬
fehlausgeben belehrte mich ein Kamerad, weshalb diese neuen Leute,
worunter auch ich einbegriffen war, bei dieser Erecution zu erschei¬
nen hätten. „Daß die neuen Leute solchen Erecutionen beiwohnen,"
sagte er, „geschieht darum, damit sie sich daran gewöhnen, bevor sie
selbst zubauen müssen; denn es gibt darunter immer welche, die so
dumm sind, daß sie Anfangs dem Spitzruthenlaufen ohne „Neuigkei¬
ten" (Ohnmachten) nicht einmal zusehen, geschweige erst zubauen
können. Wenn Sie daher, er meinte mich, morgen bei dieser Ere¬
cution nur durch Mienen ein Mitleid verrathen, so müssen Sie das
nächste Mal wieder zum Stäbe zum Zuschauen ausrücken." Es
war eine sehr große und sehr lange Erecution. Beiläufig fünf oder
sechs wurden wegen Desertion zum drei- bis sechsmaligen, ein Dieb
zum achtmaligen Gassenlaufen abgeurtheilt und auch abgestraft. Wäh¬
rend diese Unglücklichen die fürchterliche Gasse, in welcher dem ent¬
blößten Dulder die drohenden Geißclruthen auf seinem martervollen


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[0106] tillerie — Bombardier-Corps ausgenommen — die Disciplin mit dem Stocke mehr, als in einem wallachischen Regiments gehandhabt wird. Wird man eS wohl glauben, daß von den weltberühmten österreichischen Kanoniers wenigstens der zehnte Theil wegen Tabak¬ rauchens im freien Felde, wegen AufHängens des Stockes auf den Säbel, wegen vorschriftswidrigen Aufsehens des Hutes, wegen kleiner Verspätung nach dem Zapfenstreich und wegen anderer ähnlichen dem Dienste unschädlichen Kleinigkeiten zu Krüppeln geschlagen und zu ehrlosen Menschen geprügelt werden? — Auch ich würde gewiß nie geglaubt haben, daß diese empörende Willkür in der Artillerie herrsche, wenn ich nicht zu meinem eigenen Leidwesen ein Augenzeuge man¬ cher Erecution gewesen wäre, deren bloße Erinnerung mein Inneres mit Indignation erfüllt. Damit sich ein Jeder von der Bestrafungs¬ weise einen Begriff machen könne, will ich nur einige wahre Fälle hier citiren! Bevor ich jedoch die Erzählung dieser speciellen Falle beginne, kann ich unmöglich einige Reflexionen unterdrücken. Ich war, wie ich schon erwähnte, nach meiner Assentirung nicht beim Negimentsstabe, sondern einige Stunden davon casernirt. Bei¬ läufig mochte ich zehn Tage in kaiserlichen Diensten gestanden haben, als der Regimentsbefehl verlesen wurde, daß den folgenden Tag alle neuen Leute zum Stäbe abgesendet werden sollen, nachdem da¬ selbst eine große Erecution stattfinden werde. Gleich nach dem Be¬ fehlausgeben belehrte mich ein Kamerad, weshalb diese neuen Leute, worunter auch ich einbegriffen war, bei dieser Erecution zu erschei¬ nen hätten. „Daß die neuen Leute solchen Erecutionen beiwohnen," sagte er, „geschieht darum, damit sie sich daran gewöhnen, bevor sie selbst zubauen müssen; denn es gibt darunter immer welche, die so dumm sind, daß sie Anfangs dem Spitzruthenlaufen ohne „Neuigkei¬ ten" (Ohnmachten) nicht einmal zusehen, geschweige erst zubauen können. Wenn Sie daher, er meinte mich, morgen bei dieser Ere¬ cution nur durch Mienen ein Mitleid verrathen, so müssen Sie das nächste Mal wieder zum Stäbe zum Zuschauen ausrücken." Es war eine sehr große und sehr lange Erecution. Beiläufig fünf oder sechs wurden wegen Desertion zum drei- bis sechsmaligen, ein Dieb zum achtmaligen Gassenlaufen abgeurtheilt und auch abgestraft. Wäh¬ rend diese Unglücklichen die fürchterliche Gasse, in welcher dem ent¬ blößten Dulder die drohenden Geißclruthen auf seinem martervollen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/106>, abgerufen am 22.12.2024.