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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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mitgliedc" dabei zu lese". Nichts charakterisirt jene Epoche besser.
In einem Zeitraum von drei Monaten sind von zweihundert einund¬
fünfzig Stücken dreiunddreißig verworfen und fünfundzwanzig nur mit
Veränderungen zugelassen worden. Das ganze alte Repertoire wurde
geprüft: die Censur erklärte die Vorwurfsfreiesten Werke für schlecht
z. B. fast alle Komödien von Moliore; die Katastrophe im Bru¬
tus und im Tode Cäsar's mußte umgeändert werden und Ma-
homed wurde untersagt, da er ein Parteichef sei. Dagegen wurden
folgende Stücke autorisire, wir kennen zwar nur die Titel derselben,
aber diese deuten schon zur Genüge den Stoff an: "Der letzte Pfar¬
rer", "Keine Bastarde in Frankreich mehr", "Die Päpstin Johanna",
"Der republikanische Aesop", "Marat'ö Tod", "Der Geist der Prie¬
ster", "Adelsverbrechen" u s. w. Die Theater bemühten sich zu je¬
ner Zeit, selbst diese Verstümmelungen zu machen und kündigten an,
daß man die Qualification verdächtiger Personen in den Stücken
umgeändert haben. Das ^.abi^n t:o,"in"v machte bekannt, daß in
allen alten Stücken auf der Bühne an die Stelle des Wortes j>1n"-
diieur das Wort ,:it,^en gesetzt worden sei.

Während des ganzen Kaiserreiches und unter der Restauration
wurde die Censur auf das Theater ausgeübt und erst nach der
Julirevolution erhoben sich lebhafte Reklamationen gegen dieselbe;
die Regierung zweifelte selbst einen Augenblick an ihrem Rechte dazu.
In Ermangelung der Censur, welche aufgehoben wurde, mußte man
zu Gewaltmaßregeln seine Zuflucht nehmen, willkürliche Verbote aus-
sprechen, sie nöthigenfalls durch Dazwischenkunft der bewaffneten
Macht, unterstützen, und konnte doch nicht Darstellungen verhindern,
welche der bürgerlichen Ordnung wie der allgemeinen Moral zuwi¬
der waren. Unwürdige Entheiligungen fanden auf der Bühne statt;
man sah einen Schauspieler auf der Scene das Crucifir mit Füßen
treten, in dem Drama "der ewige Jude" erschien Christus auf der
Bühne. DaS Gesetz von 1835 hat durch die formelle Wiederherstel¬
lung der Censur diesem schwankenden Zustande ein Ende gemacht.
Seit acht Jahren wird dieses Gesetz in Ausführung gebracht. In
Paris im Ministerium des Innern ist eine Commission von vier
Prüfern eingesetzt, um über die neuen Stücke ihre Stimme abzugeben,
und hat sich dieses schwierigen Auftrages mit Eifer, Pünktlichkeit und
Geschick entledigt. In acht Jahren sind vier tausend einhundert und


mitgliedc» dabei zu lese». Nichts charakterisirt jene Epoche besser.
In einem Zeitraum von drei Monaten sind von zweihundert einund¬
fünfzig Stücken dreiunddreißig verworfen und fünfundzwanzig nur mit
Veränderungen zugelassen worden. Das ganze alte Repertoire wurde
geprüft: die Censur erklärte die Vorwurfsfreiesten Werke für schlecht
z. B. fast alle Komödien von Moliore; die Katastrophe im Bru¬
tus und im Tode Cäsar's mußte umgeändert werden und Ma-
homed wurde untersagt, da er ein Parteichef sei. Dagegen wurden
folgende Stücke autorisire, wir kennen zwar nur die Titel derselben,
aber diese deuten schon zur Genüge den Stoff an: „Der letzte Pfar¬
rer", „Keine Bastarde in Frankreich mehr", „Die Päpstin Johanna",
„Der republikanische Aesop", „Marat'ö Tod", „Der Geist der Prie¬
ster", „Adelsverbrechen" u s. w. Die Theater bemühten sich zu je¬
ner Zeit, selbst diese Verstümmelungen zu machen und kündigten an,
daß man die Qualification verdächtiger Personen in den Stücken
umgeändert haben. Das ^.abi^n t:o,»in»v machte bekannt, daß in
allen alten Stücken auf der Bühne an die Stelle des Wortes j>1n»-
diieur das Wort ,:it,^en gesetzt worden sei.

Während des ganzen Kaiserreiches und unter der Restauration
wurde die Censur auf das Theater ausgeübt und erst nach der
Julirevolution erhoben sich lebhafte Reklamationen gegen dieselbe;
die Regierung zweifelte selbst einen Augenblick an ihrem Rechte dazu.
In Ermangelung der Censur, welche aufgehoben wurde, mußte man
zu Gewaltmaßregeln seine Zuflucht nehmen, willkürliche Verbote aus-
sprechen, sie nöthigenfalls durch Dazwischenkunft der bewaffneten
Macht, unterstützen, und konnte doch nicht Darstellungen verhindern,
welche der bürgerlichen Ordnung wie der allgemeinen Moral zuwi¬
der waren. Unwürdige Entheiligungen fanden auf der Bühne statt;
man sah einen Schauspieler auf der Scene das Crucifir mit Füßen
treten, in dem Drama „der ewige Jude" erschien Christus auf der
Bühne. DaS Gesetz von 1835 hat durch die formelle Wiederherstel¬
lung der Censur diesem schwankenden Zustande ein Ende gemacht.
Seit acht Jahren wird dieses Gesetz in Ausführung gebracht. In
Paris im Ministerium des Innern ist eine Commission von vier
Prüfern eingesetzt, um über die neuen Stücke ihre Stimme abzugeben,
und hat sich dieses schwierigen Auftrages mit Eifer, Pünktlichkeit und
Geschick entledigt. In acht Jahren sind vier tausend einhundert und


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[0783] mitgliedc» dabei zu lese». Nichts charakterisirt jene Epoche besser. In einem Zeitraum von drei Monaten sind von zweihundert einund¬ fünfzig Stücken dreiunddreißig verworfen und fünfundzwanzig nur mit Veränderungen zugelassen worden. Das ganze alte Repertoire wurde geprüft: die Censur erklärte die Vorwurfsfreiesten Werke für schlecht z. B. fast alle Komödien von Moliore; die Katastrophe im Bru¬ tus und im Tode Cäsar's mußte umgeändert werden und Ma- homed wurde untersagt, da er ein Parteichef sei. Dagegen wurden folgende Stücke autorisire, wir kennen zwar nur die Titel derselben, aber diese deuten schon zur Genüge den Stoff an: „Der letzte Pfar¬ rer", „Keine Bastarde in Frankreich mehr", „Die Päpstin Johanna", „Der republikanische Aesop", „Marat'ö Tod", „Der Geist der Prie¬ ster", „Adelsverbrechen" u s. w. Die Theater bemühten sich zu je¬ ner Zeit, selbst diese Verstümmelungen zu machen und kündigten an, daß man die Qualification verdächtiger Personen in den Stücken umgeändert haben. Das ^.abi^n t:o,»in»v machte bekannt, daß in allen alten Stücken auf der Bühne an die Stelle des Wortes j>1n»- diieur das Wort ,:it,^en gesetzt worden sei. Während des ganzen Kaiserreiches und unter der Restauration wurde die Censur auf das Theater ausgeübt und erst nach der Julirevolution erhoben sich lebhafte Reklamationen gegen dieselbe; die Regierung zweifelte selbst einen Augenblick an ihrem Rechte dazu. In Ermangelung der Censur, welche aufgehoben wurde, mußte man zu Gewaltmaßregeln seine Zuflucht nehmen, willkürliche Verbote aus- sprechen, sie nöthigenfalls durch Dazwischenkunft der bewaffneten Macht, unterstützen, und konnte doch nicht Darstellungen verhindern, welche der bürgerlichen Ordnung wie der allgemeinen Moral zuwi¬ der waren. Unwürdige Entheiligungen fanden auf der Bühne statt; man sah einen Schauspieler auf der Scene das Crucifir mit Füßen treten, in dem Drama „der ewige Jude" erschien Christus auf der Bühne. DaS Gesetz von 1835 hat durch die formelle Wiederherstel¬ lung der Censur diesem schwankenden Zustande ein Ende gemacht. Seit acht Jahren wird dieses Gesetz in Ausführung gebracht. In Paris im Ministerium des Innern ist eine Commission von vier Prüfern eingesetzt, um über die neuen Stücke ihre Stimme abzugeben, und hat sich dieses schwierigen Auftrages mit Eifer, Pünktlichkeit und Geschick entledigt. In acht Jahren sind vier tausend einhundert und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/783>, abgerufen am 01.07.2024.