Glücke des ThurtilltheaterS, das unaufhörlich die blutigsten Dramen darstellt. Dabei hat es den Anschein, als ob während der Ent¬ würdigung der großen Theater die Theater zweiten Ranges einen höheren Charakter annähmen; vor dreißig, vierzig Jahren noch gab man daselbst Stücke, wie sie kaum auf den Brettergerüsten der Jahrmarkt- bühnen geduldet werden. Seitdem haben sich indeß die Autoren minder scrupulös, die Direktoren strenger gegen ihr Repertoire gezeigt und manche Stücke haben Erfolg genug gehabt, bei den großen Thea¬ tern Neid zu erregen, welche sich derselben bemächtigt haben und in der Aufführung derselben concurriren.
Allen Bestrebungen aber zum Trotz scheint das Publicum sich immer mehr vom Theater zu entfernen. Früher ließ der König und seine Familie ihm anerkannte Protection zu Theil werden, sie wohn¬ ten mindestens einer Vorstellung wöchentlich bei, und der Hof ahmte ihrem Beispiele nach. Diese Sitte eristirt nicht mehr, die Hinaus¬ schiebung der Stunde des Diners hält die Aristokraten und die rei¬ chen Klassen der Gesellschaft in ihren Häusern zurück; um ihren Ge¬ wohnheiten sich anzubequemen, müßte man um zehn Uhr die Vor¬ stellungen beginnen, aber dann würden die unteren Klassen dabei wieder fehlen. Daher ist es in der vornehmeren Gesellschaft Mode, nicht in's Theater zu gehen; man wohnt den Morgenconcerten bei, liest zu Hause bei sich die beliebten Stücke und wünscht gar nicht, sie spielen zu sehen; die Schaulust des Publicums, sagt man, ist er¬ kaltet. Andere Hemmnisse legt der Sectengeist und Rigorismus der Sitten in den Weg, die Theater werden häufig aus Religionsmoti- vcn geschlossen. In Cambridge konnte lange Jahre hindurch kein Theater Erlaubniß bekommen, selbst nur während der UniversMöfe- rien und zum ausschließlichen Vergnügen der Einwohner der Stadt zu spielen. Nach Kean's Ansicht sind die Engländer keine Theäter- nation, und die Kunst ist mehr als jemals in Verfall. Die Autoren gehen von edlen und erhabenen Stoffen ab, um secundäre Fächer zu bearbeiten, oder verzichten ganz auf'ö Theater, zu Gunsten der perio¬ dischen Presse oder der Romane.
Folgender Art ist also im Ganzen der Zustand des Theaters in England: keine Bühne wird ohne obrigkeitliche Autorisation dem
Glücke des ThurtilltheaterS, das unaufhörlich die blutigsten Dramen darstellt. Dabei hat es den Anschein, als ob während der Ent¬ würdigung der großen Theater die Theater zweiten Ranges einen höheren Charakter annähmen; vor dreißig, vierzig Jahren noch gab man daselbst Stücke, wie sie kaum auf den Brettergerüsten der Jahrmarkt- bühnen geduldet werden. Seitdem haben sich indeß die Autoren minder scrupulös, die Direktoren strenger gegen ihr Repertoire gezeigt und manche Stücke haben Erfolg genug gehabt, bei den großen Thea¬ tern Neid zu erregen, welche sich derselben bemächtigt haben und in der Aufführung derselben concurriren.
Allen Bestrebungen aber zum Trotz scheint das Publicum sich immer mehr vom Theater zu entfernen. Früher ließ der König und seine Familie ihm anerkannte Protection zu Theil werden, sie wohn¬ ten mindestens einer Vorstellung wöchentlich bei, und der Hof ahmte ihrem Beispiele nach. Diese Sitte eristirt nicht mehr, die Hinaus¬ schiebung der Stunde des Diners hält die Aristokraten und die rei¬ chen Klassen der Gesellschaft in ihren Häusern zurück; um ihren Ge¬ wohnheiten sich anzubequemen, müßte man um zehn Uhr die Vor¬ stellungen beginnen, aber dann würden die unteren Klassen dabei wieder fehlen. Daher ist es in der vornehmeren Gesellschaft Mode, nicht in's Theater zu gehen; man wohnt den Morgenconcerten bei, liest zu Hause bei sich die beliebten Stücke und wünscht gar nicht, sie spielen zu sehen; die Schaulust des Publicums, sagt man, ist er¬ kaltet. Andere Hemmnisse legt der Sectengeist und Rigorismus der Sitten in den Weg, die Theater werden häufig aus Religionsmoti- vcn geschlossen. In Cambridge konnte lange Jahre hindurch kein Theater Erlaubniß bekommen, selbst nur während der UniversMöfe- rien und zum ausschließlichen Vergnügen der Einwohner der Stadt zu spielen. Nach Kean's Ansicht sind die Engländer keine Theäter- nation, und die Kunst ist mehr als jemals in Verfall. Die Autoren gehen von edlen und erhabenen Stoffen ab, um secundäre Fächer zu bearbeiten, oder verzichten ganz auf'ö Theater, zu Gunsten der perio¬ dischen Presse oder der Romane.
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Glücke des ThurtilltheaterS, das unaufhörlich die blutigsten Dramen
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höheren Charakter annähmen; vor dreißig, vierzig Jahren noch gab man
daselbst Stücke, wie sie kaum auf den Brettergerüsten der Jahrmarkt-
bühnen geduldet werden. Seitdem haben sich indeß die Autoren
minder scrupulös, die Direktoren strenger gegen ihr Repertoire gezeigt
und manche Stücke haben Erfolg genug gehabt, bei den großen Thea¬
tern Neid zu erregen, welche sich derselben bemächtigt haben und in
der Aufführung derselben concurriren.
Allen Bestrebungen aber zum Trotz scheint das Publicum sich
immer mehr vom Theater zu entfernen. Früher ließ der König und
seine Familie ihm anerkannte Protection zu Theil werden, sie wohn¬
ten mindestens einer Vorstellung wöchentlich bei, und der Hof ahmte
ihrem Beispiele nach. Diese Sitte eristirt nicht mehr, die Hinaus¬
schiebung der Stunde des Diners hält die Aristokraten und die rei¬
chen Klassen der Gesellschaft in ihren Häusern zurück; um ihren Ge¬
wohnheiten sich anzubequemen, müßte man um zehn Uhr die Vor¬
stellungen beginnen, aber dann würden die unteren Klassen dabei
wieder fehlen. Daher ist es in der vornehmeren Gesellschaft Mode,
nicht in's Theater zu gehen; man wohnt den Morgenconcerten bei,
liest zu Hause bei sich die beliebten Stücke und wünscht gar nicht,
sie spielen zu sehen; die Schaulust des Publicums, sagt man, ist er¬
kaltet. Andere Hemmnisse legt der Sectengeist und Rigorismus der
Sitten in den Weg, die Theater werden häufig aus Religionsmoti-
vcn geschlossen. In Cambridge konnte lange Jahre hindurch kein
Theater Erlaubniß bekommen, selbst nur während der UniversMöfe-
rien und zum ausschließlichen Vergnügen der Einwohner der Stadt
zu spielen. Nach Kean's Ansicht sind die Engländer keine Theäter-
nation, und die Kunst ist mehr als jemals in Verfall. Die Autoren
gehen von edlen und erhabenen Stoffen ab, um secundäre Fächer zu
bearbeiten, oder verzichten ganz auf'ö Theater, zu Gunsten der perio¬
dischen Presse oder der Romane.
Folgender Art ist also im Ganzen der Zustand des Theaters in
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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/771>, abgerufen am 22.12.2024.
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