einer allgemeinen zusammenflossen, wenn etwa eine Behauptung, ein Scherz, ein Witz lebhafter ausbrach und größeren Antheil weckte. Die Gesellschaft war zu zahlreich und zu belebt, um sie noch in einer Einheit zusammenzuhalten und zu leiten; die Wirthin konnte Nichts thun, als auch ihrerseits mit Einzelnen anknüpfen, aber ich bemerkte wohl, daß sie hierbei stets aufmerksam blieb und immer da einzu¬ wirken wußte, wo stockendes zu beleben, Mißliebiges abzubrechen, Störendes auszugleichen, Angenehmes zu vermitteln war. Auch meine vergebliche Bemühung mit Meyern war ihrem scharfen Blicke nicht entgangen, und ein Wort von ihr hatte Herrn von Schack bestimmt, durch eine Frage über Wien den schroffen Mann zugänglich zu ma¬ chen, der aber auch diesmal seine Antwort so kurz als möglich ein¬ richtete.
Mit Wohlgefallen sah die Wirthin den Abb6 und den bestern¬ ten Diplomaten in abgesonderten Gespräch ganz vertieft. Schack begegnete ihr in diesem^ Bemerken, sie winkte ihm, und ich hörte, daß sie ihm auf den Vorwurf, warum sie ihm nicht erlaubt habe, den Kerl wegzubeißen, voll sanften Eifers antwortete: Ist es denn so nicht besser? Welch Vergnügen, zu sehen, wie die Beiden sich für uns unschädlich machen! Einer schluckt den Andern ein, und ich wette, sie suchen sich bald lieber anderswo auf, und wir sind sie los.
Ich weiß nicht, wer es sich erlaubte, einen in ein ziemlich schmuz- ziges Gewand gekleideten Witz vorzutragen; Niemand wollte lachen, und betroffen über die Unziemlichkeit schwiegen Alle. Doch Demoiselle Levin, die wieder auf dem Sopha Platz genommen, duldete die Pause nicht, in welcher die Unart sich gleichsam fortsetzte; schnell übersah sie das Terrain und löste die eigene und fremde Verlegenheit, strafte und beseitigte die Ungebühr, indem sie plötzlich aus aller Menge un¬ erwartet meinen Meyern mit den Augen fassend und ihm das Wort zuwendend, mit dem Ausruf: Ich weiß auch Saugeschichten! eine noch stärkere, aber schon dadurch unschuldigere Derbheit einleitete und dann unvergleichlich rasch und komisch eine französische Anekdote, ich glaube nach Chamfort, sehr glücklich und schicklich erzählte, mit solcher Anmuth und Gewalt, wie ich Aehnliches nur noch Einmal in meinem Leben, viele Jahre später, von der Frankfurterin B-- leisten sah! Alles fühlte sich wie befreit und lachte aus vollem Herzen, Niemand aber mit solchem Vergnügen und Abandon, wie mein störrischer
einer allgemeinen zusammenflossen, wenn etwa eine Behauptung, ein Scherz, ein Witz lebhafter ausbrach und größeren Antheil weckte. Die Gesellschaft war zu zahlreich und zu belebt, um sie noch in einer Einheit zusammenzuhalten und zu leiten; die Wirthin konnte Nichts thun, als auch ihrerseits mit Einzelnen anknüpfen, aber ich bemerkte wohl, daß sie hierbei stets aufmerksam blieb und immer da einzu¬ wirken wußte, wo stockendes zu beleben, Mißliebiges abzubrechen, Störendes auszugleichen, Angenehmes zu vermitteln war. Auch meine vergebliche Bemühung mit Meyern war ihrem scharfen Blicke nicht entgangen, und ein Wort von ihr hatte Herrn von Schack bestimmt, durch eine Frage über Wien den schroffen Mann zugänglich zu ma¬ chen, der aber auch diesmal seine Antwort so kurz als möglich ein¬ richtete.
Mit Wohlgefallen sah die Wirthin den Abb6 und den bestern¬ ten Diplomaten in abgesonderten Gespräch ganz vertieft. Schack begegnete ihr in diesem^ Bemerken, sie winkte ihm, und ich hörte, daß sie ihm auf den Vorwurf, warum sie ihm nicht erlaubt habe, den Kerl wegzubeißen, voll sanften Eifers antwortete: Ist es denn so nicht besser? Welch Vergnügen, zu sehen, wie die Beiden sich für uns unschädlich machen! Einer schluckt den Andern ein, und ich wette, sie suchen sich bald lieber anderswo auf, und wir sind sie los.
Ich weiß nicht, wer es sich erlaubte, einen in ein ziemlich schmuz- ziges Gewand gekleideten Witz vorzutragen; Niemand wollte lachen, und betroffen über die Unziemlichkeit schwiegen Alle. Doch Demoiselle Levin, die wieder auf dem Sopha Platz genommen, duldete die Pause nicht, in welcher die Unart sich gleichsam fortsetzte; schnell übersah sie das Terrain und löste die eigene und fremde Verlegenheit, strafte und beseitigte die Ungebühr, indem sie plötzlich aus aller Menge un¬ erwartet meinen Meyern mit den Augen fassend und ihm das Wort zuwendend, mit dem Ausruf: Ich weiß auch Saugeschichten! eine noch stärkere, aber schon dadurch unschuldigere Derbheit einleitete und dann unvergleichlich rasch und komisch eine französische Anekdote, ich glaube nach Chamfort, sehr glücklich und schicklich erzählte, mit solcher Anmuth und Gewalt, wie ich Aehnliches nur noch Einmal in meinem Leben, viele Jahre später, von der Frankfurterin B— leisten sah! Alles fühlte sich wie befreit und lachte aus vollem Herzen, Niemand aber mit solchem Vergnügen und Abandon, wie mein störrischer
<TEI><text><body><div><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0742"corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/180455"/><pxml:id="ID_1919"prev="#ID_1918"> einer allgemeinen zusammenflossen, wenn etwa eine Behauptung, ein<lb/>
Scherz, ein Witz lebhafter ausbrach und größeren Antheil weckte.<lb/>
Die Gesellschaft war zu zahlreich und zu belebt, um sie noch in einer<lb/>
Einheit zusammenzuhalten und zu leiten; die Wirthin konnte Nichts<lb/>
thun, als auch ihrerseits mit Einzelnen anknüpfen, aber ich bemerkte<lb/>
wohl, daß sie hierbei stets aufmerksam blieb und immer da einzu¬<lb/>
wirken wußte, wo stockendes zu beleben, Mißliebiges abzubrechen,<lb/>
Störendes auszugleichen, Angenehmes zu vermitteln war. Auch meine<lb/>
vergebliche Bemühung mit Meyern war ihrem scharfen Blicke nicht<lb/>
entgangen, und ein Wort von ihr hatte Herrn von Schack bestimmt,<lb/>
durch eine Frage über Wien den schroffen Mann zugänglich zu ma¬<lb/>
chen, der aber auch diesmal seine Antwort so kurz als möglich ein¬<lb/>
richtete.</p><lb/><pxml:id="ID_1920"> Mit Wohlgefallen sah die Wirthin den Abb6 und den bestern¬<lb/>
ten Diplomaten in abgesonderten Gespräch ganz vertieft. Schack<lb/>
begegnete ihr in diesem^ Bemerken, sie winkte ihm, und ich hörte, daß<lb/>
sie ihm auf den Vorwurf, warum sie ihm nicht erlaubt habe, den<lb/>
Kerl wegzubeißen, voll sanften Eifers antwortete: Ist es denn so<lb/>
nicht besser? Welch Vergnügen, zu sehen, wie die Beiden sich für<lb/>
uns unschädlich machen! Einer schluckt den Andern ein, und ich<lb/>
wette, sie suchen sich bald lieber anderswo auf, und wir sind sie los.</p><lb/><pxml:id="ID_1921"next="#ID_1922"> Ich weiß nicht, wer es sich erlaubte, einen in ein ziemlich schmuz-<lb/>
ziges Gewand gekleideten Witz vorzutragen; Niemand wollte lachen,<lb/>
und betroffen über die Unziemlichkeit schwiegen Alle. Doch Demoiselle<lb/>
Levin, die wieder auf dem Sopha Platz genommen, duldete die Pause<lb/>
nicht, in welcher die Unart sich gleichsam fortsetzte; schnell übersah sie<lb/>
das Terrain und löste die eigene und fremde Verlegenheit, strafte<lb/>
und beseitigte die Ungebühr, indem sie plötzlich aus aller Menge un¬<lb/>
erwartet meinen Meyern mit den Augen fassend und ihm das Wort<lb/>
zuwendend, mit dem Ausruf: Ich weiß auch Saugeschichten! eine<lb/>
noch stärkere, aber schon dadurch unschuldigere Derbheit einleitete und<lb/>
dann unvergleichlich rasch und komisch eine französische Anekdote, ich<lb/>
glaube nach Chamfort, sehr glücklich und schicklich erzählte, mit solcher<lb/>
Anmuth und Gewalt, wie ich Aehnliches nur noch Einmal in meinem<lb/>
Leben, viele Jahre später, von der Frankfurterin B— leisten sah!<lb/>
Alles fühlte sich wie befreit und lachte aus vollem Herzen, Niemand<lb/>
aber mit solchem Vergnügen und Abandon, wie mein störrischer</p><lb/></div></div></div></body></text></TEI>
[0742]
einer allgemeinen zusammenflossen, wenn etwa eine Behauptung, ein
Scherz, ein Witz lebhafter ausbrach und größeren Antheil weckte.
Die Gesellschaft war zu zahlreich und zu belebt, um sie noch in einer
Einheit zusammenzuhalten und zu leiten; die Wirthin konnte Nichts
thun, als auch ihrerseits mit Einzelnen anknüpfen, aber ich bemerkte
wohl, daß sie hierbei stets aufmerksam blieb und immer da einzu¬
wirken wußte, wo stockendes zu beleben, Mißliebiges abzubrechen,
Störendes auszugleichen, Angenehmes zu vermitteln war. Auch meine
vergebliche Bemühung mit Meyern war ihrem scharfen Blicke nicht
entgangen, und ein Wort von ihr hatte Herrn von Schack bestimmt,
durch eine Frage über Wien den schroffen Mann zugänglich zu ma¬
chen, der aber auch diesmal seine Antwort so kurz als möglich ein¬
richtete.
Mit Wohlgefallen sah die Wirthin den Abb6 und den bestern¬
ten Diplomaten in abgesonderten Gespräch ganz vertieft. Schack
begegnete ihr in diesem^ Bemerken, sie winkte ihm, und ich hörte, daß
sie ihm auf den Vorwurf, warum sie ihm nicht erlaubt habe, den
Kerl wegzubeißen, voll sanften Eifers antwortete: Ist es denn so
nicht besser? Welch Vergnügen, zu sehen, wie die Beiden sich für
uns unschädlich machen! Einer schluckt den Andern ein, und ich
wette, sie suchen sich bald lieber anderswo auf, und wir sind sie los.
Ich weiß nicht, wer es sich erlaubte, einen in ein ziemlich schmuz-
ziges Gewand gekleideten Witz vorzutragen; Niemand wollte lachen,
und betroffen über die Unziemlichkeit schwiegen Alle. Doch Demoiselle
Levin, die wieder auf dem Sopha Platz genommen, duldete die Pause
nicht, in welcher die Unart sich gleichsam fortsetzte; schnell übersah sie
das Terrain und löste die eigene und fremde Verlegenheit, strafte
und beseitigte die Ungebühr, indem sie plötzlich aus aller Menge un¬
erwartet meinen Meyern mit den Augen fassend und ihm das Wort
zuwendend, mit dem Ausruf: Ich weiß auch Saugeschichten! eine
noch stärkere, aber schon dadurch unschuldigere Derbheit einleitete und
dann unvergleichlich rasch und komisch eine französische Anekdote, ich
glaube nach Chamfort, sehr glücklich und schicklich erzählte, mit solcher
Anmuth und Gewalt, wie ich Aehnliches nur noch Einmal in meinem
Leben, viele Jahre später, von der Frankfurterin B— leisten sah!
Alles fühlte sich wie befreit und lachte aus vollem Herzen, Niemand
aber mit solchem Vergnügen und Abandon, wie mein störrischer
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:
Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.
Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;
Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/742>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.