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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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Tod man allgemein beklagte, von Righini, dessen Opern damals den
größten Beifall hatten, von Gesellschaftssachen, von den Vorlesungen
August Wilhelm Schlegel'S, denen auch Damen beiwohnten. Die
kühnsten Ideen, die schärfsten Gedanken, der sinnreichste Witz, die
launigsten Spiele der Einbildungskraft wurden hier an dem einfa¬
chen Faden zufälliger und gewöhnlicher Anlässe aufgereiht. Denn
die äußere Gestalt der Unterhaltung war, wie in jeder anderen Ge¬
sellschaft, ohne Zwang und Absicht, Alles knüpfte sich natürlich an
das Interesse des Augenblicks, der Person, des Namens, deren ge¬
rade gedacht wurde. Vieles, was in Anspielungen bestand und ir¬
gend eine Kenntniß voraussetzte, entging mir ganz, Anderes wenig¬
stens theilweise. Doch wenn Friedrich Schlegel seine Meinung sagte,
zwar mühsam und unbeholfen, aber auch tief und gediegen, in der
eigenthümlichsten Werkstätte geschmiedet, so fühlte man gleich, daß
hier kein leichtes Metall ausgegeben werde, fondern ein schweres und
kostbares^- wenn Schack, leicht erzählend, manche Personen, die durch
Rang und Weltstellung bedeutend waren, in pikanter Weise schilderte
wenn er kleine Bemerkungen geschickt einschob, so waren die Vertraut¬
heit und Uebersicht unverkennbar, mit denen er eine unendliche Er¬
fahrung großweltlichen Lebens spielend behandelte. Die Heiterkeit
und Laune der Madame Unzelmann wirkten unaufhörlich belebend
ein. Ludwig Robert und Brinkmann erwiesen sich als echte Gesell¬
schaftskinder. Alle waren auf natürliche Weise thätig, und doch Kei¬
ner aufvringlich, man schien eben so gern zu hören, als zu sprechen
Am merkwürdigsten war Demoiselle Levin selbst. Mit welcher Frei¬
heit und Grazie wußte sie um sich her anzuregen, zu erhellen zu
erwärmen. Man vermochte ihrer Munterkeit nicht zu widerstehen.
Und was sagte sie Alles? Ich fühlte mich wie im Wirbel herumge¬
dreht, und konnte nicht mehr unterscheiden, was in ihren wunderba¬
ren, unerwarteten Aeußerungen Witz, Tiefsinn, Gutdenken, Genie oder
Sonderbarkeit und Grille war. Kolossale Sprüche hörte'ich von ihr,
wahre Inspirationen, oft in wenig Worten, die wie Blitze durch die
Lust fuhren und das innerste Herz trafen. Ueber Goethe sprach sie
Worte der Bewunderung, die Alles übertrafen, was ich je gehört

hatte.Ludwig Robert wurde aufgefordert, seine neuesten Gedichte mit¬
zutheilen. Er ließ sich nicht lange bitten und las ein Paar Elegien


Tod man allgemein beklagte, von Righini, dessen Opern damals den
größten Beifall hatten, von Gesellschaftssachen, von den Vorlesungen
August Wilhelm Schlegel'S, denen auch Damen beiwohnten. Die
kühnsten Ideen, die schärfsten Gedanken, der sinnreichste Witz, die
launigsten Spiele der Einbildungskraft wurden hier an dem einfa¬
chen Faden zufälliger und gewöhnlicher Anlässe aufgereiht. Denn
die äußere Gestalt der Unterhaltung war, wie in jeder anderen Ge¬
sellschaft, ohne Zwang und Absicht, Alles knüpfte sich natürlich an
das Interesse des Augenblicks, der Person, des Namens, deren ge¬
rade gedacht wurde. Vieles, was in Anspielungen bestand und ir¬
gend eine Kenntniß voraussetzte, entging mir ganz, Anderes wenig¬
stens theilweise. Doch wenn Friedrich Schlegel seine Meinung sagte,
zwar mühsam und unbeholfen, aber auch tief und gediegen, in der
eigenthümlichsten Werkstätte geschmiedet, so fühlte man gleich, daß
hier kein leichtes Metall ausgegeben werde, fondern ein schweres und
kostbares^- wenn Schack, leicht erzählend, manche Personen, die durch
Rang und Weltstellung bedeutend waren, in pikanter Weise schilderte
wenn er kleine Bemerkungen geschickt einschob, so waren die Vertraut¬
heit und Uebersicht unverkennbar, mit denen er eine unendliche Er¬
fahrung großweltlichen Lebens spielend behandelte. Die Heiterkeit
und Laune der Madame Unzelmann wirkten unaufhörlich belebend
ein. Ludwig Robert und Brinkmann erwiesen sich als echte Gesell¬
schaftskinder. Alle waren auf natürliche Weise thätig, und doch Kei¬
ner aufvringlich, man schien eben so gern zu hören, als zu sprechen
Am merkwürdigsten war Demoiselle Levin selbst. Mit welcher Frei¬
heit und Grazie wußte sie um sich her anzuregen, zu erhellen zu
erwärmen. Man vermochte ihrer Munterkeit nicht zu widerstehen.
Und was sagte sie Alles? Ich fühlte mich wie im Wirbel herumge¬
dreht, und konnte nicht mehr unterscheiden, was in ihren wunderba¬
ren, unerwarteten Aeußerungen Witz, Tiefsinn, Gutdenken, Genie oder
Sonderbarkeit und Grille war. Kolossale Sprüche hörte'ich von ihr,
wahre Inspirationen, oft in wenig Worten, die wie Blitze durch die
Lust fuhren und das innerste Herz trafen. Ueber Goethe sprach sie
Worte der Bewunderung, die Alles übertrafen, was ich je gehört

hatte.Ludwig Robert wurde aufgefordert, seine neuesten Gedichte mit¬
zutheilen. Er ließ sich nicht lange bitten und las ein Paar Elegien


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[0723] Tod man allgemein beklagte, von Righini, dessen Opern damals den größten Beifall hatten, von Gesellschaftssachen, von den Vorlesungen August Wilhelm Schlegel'S, denen auch Damen beiwohnten. Die kühnsten Ideen, die schärfsten Gedanken, der sinnreichste Witz, die launigsten Spiele der Einbildungskraft wurden hier an dem einfa¬ chen Faden zufälliger und gewöhnlicher Anlässe aufgereiht. Denn die äußere Gestalt der Unterhaltung war, wie in jeder anderen Ge¬ sellschaft, ohne Zwang und Absicht, Alles knüpfte sich natürlich an das Interesse des Augenblicks, der Person, des Namens, deren ge¬ rade gedacht wurde. Vieles, was in Anspielungen bestand und ir¬ gend eine Kenntniß voraussetzte, entging mir ganz, Anderes wenig¬ stens theilweise. Doch wenn Friedrich Schlegel seine Meinung sagte, zwar mühsam und unbeholfen, aber auch tief und gediegen, in der eigenthümlichsten Werkstätte geschmiedet, so fühlte man gleich, daß hier kein leichtes Metall ausgegeben werde, fondern ein schweres und kostbares^- wenn Schack, leicht erzählend, manche Personen, die durch Rang und Weltstellung bedeutend waren, in pikanter Weise schilderte wenn er kleine Bemerkungen geschickt einschob, so waren die Vertraut¬ heit und Uebersicht unverkennbar, mit denen er eine unendliche Er¬ fahrung großweltlichen Lebens spielend behandelte. Die Heiterkeit und Laune der Madame Unzelmann wirkten unaufhörlich belebend ein. Ludwig Robert und Brinkmann erwiesen sich als echte Gesell¬ schaftskinder. Alle waren auf natürliche Weise thätig, und doch Kei¬ ner aufvringlich, man schien eben so gern zu hören, als zu sprechen Am merkwürdigsten war Demoiselle Levin selbst. Mit welcher Frei¬ heit und Grazie wußte sie um sich her anzuregen, zu erhellen zu erwärmen. Man vermochte ihrer Munterkeit nicht zu widerstehen. Und was sagte sie Alles? Ich fühlte mich wie im Wirbel herumge¬ dreht, und konnte nicht mehr unterscheiden, was in ihren wunderba¬ ren, unerwarteten Aeußerungen Witz, Tiefsinn, Gutdenken, Genie oder Sonderbarkeit und Grille war. Kolossale Sprüche hörte'ich von ihr, wahre Inspirationen, oft in wenig Worten, die wie Blitze durch die Lust fuhren und das innerste Herz trafen. Ueber Goethe sprach sie Worte der Bewunderung, die Alles übertrafen, was ich je gehört hatte.Ludwig Robert wurde aufgefordert, seine neuesten Gedichte mit¬ zutheilen. Er ließ sich nicht lange bitten und las ein Paar Elegien

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/723>, abgerufen am 23.12.2024.