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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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ung und üppige Sinnenlust als die Hauptstadt Oesterreichs. Ist die
Liebe zur Freiheit, der Eifer für sociale Entwickelung, der Ernst der
Wissenschaft darum erschlafft? Am Rheine, wo der fröhlichste, leicht¬
blütigste Volksstamm Deutschlands unter Rebenlauben und Narren-
spielen das Leben in vollen Zügen genießt, am Rheiiie ist die poli¬
tische Regsamkeit am weitesten vorgeschritten in ganz Deutschland.
Die Furcht vor sinnlicher Erschlaffung brauchte Berlin also nicht zu
schrecken, dem Beispiele Wiens zu folgen. Der Schnapsladen und
seine düsteren Freuden sind ein schlimmerer Feind, als alle sinnliche"
Verführungen, denen das Volk in Paris und Wien ausgesetzt ist.
Diesem Feinde gilt es entgegen zu arbeiten. Nachmittagspredigten
und Mäßigkeitsvereine werden nur hier und da einige arme Seelen
fischen. Die Masse wird nur das Eine aufgeben, wenn man ihr
das Andere bietet. Bietet ihr dies Andere. Statt Millionen auf
den Bau eines neuen Prachtdoms zu verwenden, laßt Rosen und
Bäume herbeischleppen, Gärten und Erholungsplätze dem Volke zu
verschaffen, das in Euere Kroll'schen Glanzsäle nicht eintreten kann.
Mit dem theuren Sold müßiger Generalmusikdirectoren könntet Ihr
ein Volkstheater bauen und unterstützen, in welchem der Gemeine
für mäßige Auslagen seinen Feierabend in sittlicher Unterhaltung ge¬
nießen könnte 5). Einige Prachtbauten weniger, einige Volköhallen
mehr. Besteuert den Champagner und entlastet das Bier. Sorgt
etwas weniger für die Schönheit und etwas mehr für die Fröhlich¬
keit der Stadt. Jene genießt nur der Gebildete, diese kommt Allen
zu Gute. Seid erfinderisch in tausend Mitteln. Der Schriftsteller
kann sie nur andeuten: die Männer der Verwaltung müssen sie auf¬
suchen. Jenen treibt der Drang des Herzens: diese ruft die Pflicht!


I. Kuranda. --



Das Königsstädter Theater ist als Volksbühne nicht ausreichend; ei¬
nes Theils ist es von der italienischen Oper zur Hälfte in Beschlag genom¬
men, anderen Theils ist der Eintrittspreis für jenen Theil des Arbeiterstandes,
den wir hier im Auge daven, viel zu hoch angesetzt.

ung und üppige Sinnenlust als die Hauptstadt Oesterreichs. Ist die
Liebe zur Freiheit, der Eifer für sociale Entwickelung, der Ernst der
Wissenschaft darum erschlafft? Am Rheine, wo der fröhlichste, leicht¬
blütigste Volksstamm Deutschlands unter Rebenlauben und Narren-
spielen das Leben in vollen Zügen genießt, am Rheiiie ist die poli¬
tische Regsamkeit am weitesten vorgeschritten in ganz Deutschland.
Die Furcht vor sinnlicher Erschlaffung brauchte Berlin also nicht zu
schrecken, dem Beispiele Wiens zu folgen. Der Schnapsladen und
seine düsteren Freuden sind ein schlimmerer Feind, als alle sinnliche»
Verführungen, denen das Volk in Paris und Wien ausgesetzt ist.
Diesem Feinde gilt es entgegen zu arbeiten. Nachmittagspredigten
und Mäßigkeitsvereine werden nur hier und da einige arme Seelen
fischen. Die Masse wird nur das Eine aufgeben, wenn man ihr
das Andere bietet. Bietet ihr dies Andere. Statt Millionen auf
den Bau eines neuen Prachtdoms zu verwenden, laßt Rosen und
Bäume herbeischleppen, Gärten und Erholungsplätze dem Volke zu
verschaffen, das in Euere Kroll'schen Glanzsäle nicht eintreten kann.
Mit dem theuren Sold müßiger Generalmusikdirectoren könntet Ihr
ein Volkstheater bauen und unterstützen, in welchem der Gemeine
für mäßige Auslagen seinen Feierabend in sittlicher Unterhaltung ge¬
nießen könnte 5). Einige Prachtbauten weniger, einige Volköhallen
mehr. Besteuert den Champagner und entlastet das Bier. Sorgt
etwas weniger für die Schönheit und etwas mehr für die Fröhlich¬
keit der Stadt. Jene genießt nur der Gebildete, diese kommt Allen
zu Gute. Seid erfinderisch in tausend Mitteln. Der Schriftsteller
kann sie nur andeuten: die Männer der Verwaltung müssen sie auf¬
suchen. Jenen treibt der Drang des Herzens: diese ruft die Pflicht!


I. Kuranda. —



Das Königsstädter Theater ist als Volksbühne nicht ausreichend; ei¬
nes Theils ist es von der italienischen Oper zur Hälfte in Beschlag genom¬
men, anderen Theils ist der Eintrittspreis für jenen Theil des Arbeiterstandes,
den wir hier im Auge daven, viel zu hoch angesetzt.
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[0714] ung und üppige Sinnenlust als die Hauptstadt Oesterreichs. Ist die Liebe zur Freiheit, der Eifer für sociale Entwickelung, der Ernst der Wissenschaft darum erschlafft? Am Rheine, wo der fröhlichste, leicht¬ blütigste Volksstamm Deutschlands unter Rebenlauben und Narren- spielen das Leben in vollen Zügen genießt, am Rheiiie ist die poli¬ tische Regsamkeit am weitesten vorgeschritten in ganz Deutschland. Die Furcht vor sinnlicher Erschlaffung brauchte Berlin also nicht zu schrecken, dem Beispiele Wiens zu folgen. Der Schnapsladen und seine düsteren Freuden sind ein schlimmerer Feind, als alle sinnliche» Verführungen, denen das Volk in Paris und Wien ausgesetzt ist. Diesem Feinde gilt es entgegen zu arbeiten. Nachmittagspredigten und Mäßigkeitsvereine werden nur hier und da einige arme Seelen fischen. Die Masse wird nur das Eine aufgeben, wenn man ihr das Andere bietet. Bietet ihr dies Andere. Statt Millionen auf den Bau eines neuen Prachtdoms zu verwenden, laßt Rosen und Bäume herbeischleppen, Gärten und Erholungsplätze dem Volke zu verschaffen, das in Euere Kroll'schen Glanzsäle nicht eintreten kann. Mit dem theuren Sold müßiger Generalmusikdirectoren könntet Ihr ein Volkstheater bauen und unterstützen, in welchem der Gemeine für mäßige Auslagen seinen Feierabend in sittlicher Unterhaltung ge¬ nießen könnte 5). Einige Prachtbauten weniger, einige Volköhallen mehr. Besteuert den Champagner und entlastet das Bier. Sorgt etwas weniger für die Schönheit und etwas mehr für die Fröhlich¬ keit der Stadt. Jene genießt nur der Gebildete, diese kommt Allen zu Gute. Seid erfinderisch in tausend Mitteln. Der Schriftsteller kann sie nur andeuten: die Männer der Verwaltung müssen sie auf¬ suchen. Jenen treibt der Drang des Herzens: diese ruft die Pflicht! I. Kuranda. — Das Königsstädter Theater ist als Volksbühne nicht ausreichend; ei¬ nes Theils ist es von der italienischen Oper zur Hälfte in Beschlag genom¬ men, anderen Theils ist der Eintrittspreis für jenen Theil des Arbeiterstandes, den wir hier im Auge daven, viel zu hoch angesetzt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/714>, abgerufen am 22.12.2024.