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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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ohne alle Besorgniß, ob diese Jncriminationen nicht etwa zuletzt einen
Einfluß ausüben möchten, der auf das bisher so ersprießliche Wirken
der Anstalt nachtheilig drücken möchte. Bei solcher Lage der Sachen
war es daher von hoher Bedeutung, daß gestern in der Generalver¬
sammlung des Ferdinandeums der Herr Landesgouverneur, Graf von
Brandes, selbst diese Bestrebungen in's Auge faßte und mit glückli¬
chem Nachdruck sowohl den verkehrten Eifer beleuchtete? mit dem man
den Sachebefund früherer Kirchenvorsteher für irreligiös ausrufen
wollte, als auch in ernsten Worten, die eines tiefen Eindrucks nicht
verfehlten, die Erklärung abgab, daß, so lange er an der Spitze des
Ferdinandeums stehe, der wissenschaftlichen Forschung ihr Recht, die
Wahrheit darzustellen, nicht verkümmert werden solle.


II.
Aus Berlin.

'I't-mpora mutantur. -- Das Berliner Journal des Debars. -- Hermes und
Schulz. -- Ochlenschlägcr in Berlin. -- Döring's Banket.

Wie verschieden die Zeiten sind! Als vor etlichen und zwanzig
Jahren die Verfolgungen gegen die sogenannten Demagogen in Preu¬
ßen betrieben wurden, als Jahr verhaftet, Arndt in Untersuchung,
Wilhelm von Humboldt entlassen war, Görres flüchtig werden mußte,
Varnhagen nach Nordamerika gesandt werden sollte, da lastete auch
auf Schleiermacher, Reimer, Eichhorn und Savigny schwerer Arg¬
wohn und ein feindseliger Hauch streifte über ihre Lebenskreise hin.
Besonders wurde Schleiermacher's Haus, vorher so glänzend und ge¬
sucht, auffallend öde und gemieden, nur ein kleiner Kreis engerer
Freunde harrte aus und bot dem Scheelsehen der Mächtigen ruhig
Trotz. Wie damals die Hofluft, wirkt jetzt in ähnlicher Weise auch
schon die Volksluft, die Macht der aufstrebenden öffentlichen Meinung,
und das zeigt von großer Wandlung der Zeiten! Jetzt kann die Hof-
und Behördengunst diejenigen nicht mehr schützen, welche die gute
Sache des Fortschritts und freien Aufschwungs irgendwie beleidigt,
welche durch unziemliche Erklärungen die eigene Gesinnung geschmäht
haben, jetzt steht man deren Haus veröden und ihren Umgang abneh¬
men. Welche bedeutsame Lehre! welch ernster Fingerzeig! -- Die Pole¬
mik gegen die Preußische Allgemeine Zeitung wird mit jedem Tage
heftiger, um so mehr -- da sie sich in letzterer Zeit es in den Sinn
kommen ließ, die rheinischen Blätter, von denen die meisten (nament¬
lich die Kölnische und die Aachener Zeitung) ihr an Geist und Reich-
haltigkeit überlegen sind, in plumper Manier herunter zu kanzeln.
Die Preußische Allgemeine möchte gerne die Rolle des "Journal des
Debctts" spielen; aber es fehlt ihr vor Allem das Talent dazu. Die


ohne alle Besorgniß, ob diese Jncriminationen nicht etwa zuletzt einen
Einfluß ausüben möchten, der auf das bisher so ersprießliche Wirken
der Anstalt nachtheilig drücken möchte. Bei solcher Lage der Sachen
war es daher von hoher Bedeutung, daß gestern in der Generalver¬
sammlung des Ferdinandeums der Herr Landesgouverneur, Graf von
Brandes, selbst diese Bestrebungen in's Auge faßte und mit glückli¬
chem Nachdruck sowohl den verkehrten Eifer beleuchtete? mit dem man
den Sachebefund früherer Kirchenvorsteher für irreligiös ausrufen
wollte, als auch in ernsten Worten, die eines tiefen Eindrucks nicht
verfehlten, die Erklärung abgab, daß, so lange er an der Spitze des
Ferdinandeums stehe, der wissenschaftlichen Forschung ihr Recht, die
Wahrheit darzustellen, nicht verkümmert werden solle.


II.
Aus Berlin.

'I't-mpora mutantur. — Das Berliner Journal des Debars. — Hermes und
Schulz. — Ochlenschlägcr in Berlin. — Döring's Banket.

Wie verschieden die Zeiten sind! Als vor etlichen und zwanzig
Jahren die Verfolgungen gegen die sogenannten Demagogen in Preu¬
ßen betrieben wurden, als Jahr verhaftet, Arndt in Untersuchung,
Wilhelm von Humboldt entlassen war, Görres flüchtig werden mußte,
Varnhagen nach Nordamerika gesandt werden sollte, da lastete auch
auf Schleiermacher, Reimer, Eichhorn und Savigny schwerer Arg¬
wohn und ein feindseliger Hauch streifte über ihre Lebenskreise hin.
Besonders wurde Schleiermacher's Haus, vorher so glänzend und ge¬
sucht, auffallend öde und gemieden, nur ein kleiner Kreis engerer
Freunde harrte aus und bot dem Scheelsehen der Mächtigen ruhig
Trotz. Wie damals die Hofluft, wirkt jetzt in ähnlicher Weise auch
schon die Volksluft, die Macht der aufstrebenden öffentlichen Meinung,
und das zeigt von großer Wandlung der Zeiten! Jetzt kann die Hof-
und Behördengunst diejenigen nicht mehr schützen, welche die gute
Sache des Fortschritts und freien Aufschwungs irgendwie beleidigt,
welche durch unziemliche Erklärungen die eigene Gesinnung geschmäht
haben, jetzt steht man deren Haus veröden und ihren Umgang abneh¬
men. Welche bedeutsame Lehre! welch ernster Fingerzeig! — Die Pole¬
mik gegen die Preußische Allgemeine Zeitung wird mit jedem Tage
heftiger, um so mehr — da sie sich in letzterer Zeit es in den Sinn
kommen ließ, die rheinischen Blätter, von denen die meisten (nament¬
lich die Kölnische und die Aachener Zeitung) ihr an Geist und Reich-
haltigkeit überlegen sind, in plumper Manier herunter zu kanzeln.
Die Preußische Allgemeine möchte gerne die Rolle des „Journal des
Debctts" spielen; aber es fehlt ihr vor Allem das Talent dazu. Die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/700>, abgerufen am 22.12.2024.