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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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Fürst ausgefahren, aber Paris war weniger erstaunt, den Tod des
hochbetagten Mannes zu erfahren, als die Nachricht, daß der ehe¬
malige Bischof von Autun, der eine constitutionelle Messe auf dem
Marsfelde gelesen, Minister der Republik, des Kaiserthums, und
Oberstkammerherr der Restauration gewesen war, mit der Kirche ve"
söhnt und mit ihren Gnadenmitteln in der letzten Oelung versehe",
starb. Die Kirche ist nicht unversöhnlich und gewährt der vollen
Reue volle Vergebung, auch mußte ihr an der Bekehrung eines so
weltberühmten Abtrünnigen besonders gelegen sein; allerdings wußte
man, daß der Fürst in der letzten Zeit sich seinem Seelenheile zuge¬
wendet hatte, aber man wunderte sich, daß er durchgedrungen war
bis zur vollen Hingebung in das, was die Kirche nothwendig von
ihm hatte fordern müssen. Er hatte sich übrigens auch nicht mit
dem entscheidenden Schritte übereilt, sondern erst am Morgen
seines Todestages die Schriften unterzeichnet, welche die Kirche voll¬
ständig befriedigten. Als man am Tage vorher in ihn drang, es zu
thun, verschob er es bis den folgenden Tag mit den Worten: "Ich
habe mich mein Leben lang nicht übereilt und bin doch immer zur
rechten Zeit gekommen." Der alte Diplomat war auch in diesem
letzten Schritte geleitet worden von dem feinen Takt, mit dem er sich
durch alle Windungen eines langen und oft tückisch genug gewürfel¬
ten Lebens herausgefühlt hatte. Er wollte mit der Kirche versöhnt
sterben, weil das die Welt Nichts anging, aber er wollte nicht un¬
schicklicherweise als ein durch den Widerruf seines ganzen Lebens
Begnadigter lebendig in der Welt auftreten. Darum fragte er seine
Aerzte- "Kann ich davon kommen?" und vernahm mit vollkommener
Gelassenheit ihre Aufforderung, alle seine Geschäfte zu beenden, um
sich fortan nur zu beschäftigen mit seiner Gesundheit -- das heißt
mit dem Tode, wie Talleyrand sehr gut wußte, der sich auch von der
Diplomatie der Aerzte nicht täuschen ließ. Auch dann behielt er
Geistesgegenwart und Willenskraft genug, um sich nicht voreilig sei¬
nem Beichtvater zu übergeben, dem Geueralvikar Abb"- Dupanloup,
der nach dem Urtheilspruch der Aerzte vollen Anspruch an ihn zu
haben glaubte. Erst am folgenden Morgen unterschrieb er die Ur¬
kunden, in denen er sich selbst der Kirche, unterwarf, und damit sei¬
nen eigenen Todesschein mit vollen Schriftzügen und voller Fassung,
wie er denn bis zum letzten Augenblick das Bewußtsein behielt. Er


88 -i-

Fürst ausgefahren, aber Paris war weniger erstaunt, den Tod des
hochbetagten Mannes zu erfahren, als die Nachricht, daß der ehe¬
malige Bischof von Autun, der eine constitutionelle Messe auf dem
Marsfelde gelesen, Minister der Republik, des Kaiserthums, und
Oberstkammerherr der Restauration gewesen war, mit der Kirche ve»
söhnt und mit ihren Gnadenmitteln in der letzten Oelung versehe»,
starb. Die Kirche ist nicht unversöhnlich und gewährt der vollen
Reue volle Vergebung, auch mußte ihr an der Bekehrung eines so
weltberühmten Abtrünnigen besonders gelegen sein; allerdings wußte
man, daß der Fürst in der letzten Zeit sich seinem Seelenheile zuge¬
wendet hatte, aber man wunderte sich, daß er durchgedrungen war
bis zur vollen Hingebung in das, was die Kirche nothwendig von
ihm hatte fordern müssen. Er hatte sich übrigens auch nicht mit
dem entscheidenden Schritte übereilt, sondern erst am Morgen
seines Todestages die Schriften unterzeichnet, welche die Kirche voll¬
ständig befriedigten. Als man am Tage vorher in ihn drang, es zu
thun, verschob er es bis den folgenden Tag mit den Worten: „Ich
habe mich mein Leben lang nicht übereilt und bin doch immer zur
rechten Zeit gekommen." Der alte Diplomat war auch in diesem
letzten Schritte geleitet worden von dem feinen Takt, mit dem er sich
durch alle Windungen eines langen und oft tückisch genug gewürfel¬
ten Lebens herausgefühlt hatte. Er wollte mit der Kirche versöhnt
sterben, weil das die Welt Nichts anging, aber er wollte nicht un¬
schicklicherweise als ein durch den Widerruf seines ganzen Lebens
Begnadigter lebendig in der Welt auftreten. Darum fragte er seine
Aerzte- „Kann ich davon kommen?" und vernahm mit vollkommener
Gelassenheit ihre Aufforderung, alle seine Geschäfte zu beenden, um
sich fortan nur zu beschäftigen mit seiner Gesundheit — das heißt
mit dem Tode, wie Talleyrand sehr gut wußte, der sich auch von der
Diplomatie der Aerzte nicht täuschen ließ. Auch dann behielt er
Geistesgegenwart und Willenskraft genug, um sich nicht voreilig sei¬
nem Beichtvater zu übergeben, dem Geueralvikar Abb«- Dupanloup,
der nach dem Urtheilspruch der Aerzte vollen Anspruch an ihn zu
haben glaubte. Erst am folgenden Morgen unterschrieb er die Ur¬
kunden, in denen er sich selbst der Kirche, unterwarf, und damit sei¬
nen eigenen Todesschein mit vollen Schriftzügen und voller Fassung,
wie er denn bis zum letzten Augenblick das Bewußtsein behielt. Er


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[0687] Fürst ausgefahren, aber Paris war weniger erstaunt, den Tod des hochbetagten Mannes zu erfahren, als die Nachricht, daß der ehe¬ malige Bischof von Autun, der eine constitutionelle Messe auf dem Marsfelde gelesen, Minister der Republik, des Kaiserthums, und Oberstkammerherr der Restauration gewesen war, mit der Kirche ve» söhnt und mit ihren Gnadenmitteln in der letzten Oelung versehe», starb. Die Kirche ist nicht unversöhnlich und gewährt der vollen Reue volle Vergebung, auch mußte ihr an der Bekehrung eines so weltberühmten Abtrünnigen besonders gelegen sein; allerdings wußte man, daß der Fürst in der letzten Zeit sich seinem Seelenheile zuge¬ wendet hatte, aber man wunderte sich, daß er durchgedrungen war bis zur vollen Hingebung in das, was die Kirche nothwendig von ihm hatte fordern müssen. Er hatte sich übrigens auch nicht mit dem entscheidenden Schritte übereilt, sondern erst am Morgen seines Todestages die Schriften unterzeichnet, welche die Kirche voll¬ ständig befriedigten. Als man am Tage vorher in ihn drang, es zu thun, verschob er es bis den folgenden Tag mit den Worten: „Ich habe mich mein Leben lang nicht übereilt und bin doch immer zur rechten Zeit gekommen." Der alte Diplomat war auch in diesem letzten Schritte geleitet worden von dem feinen Takt, mit dem er sich durch alle Windungen eines langen und oft tückisch genug gewürfel¬ ten Lebens herausgefühlt hatte. Er wollte mit der Kirche versöhnt sterben, weil das die Welt Nichts anging, aber er wollte nicht un¬ schicklicherweise als ein durch den Widerruf seines ganzen Lebens Begnadigter lebendig in der Welt auftreten. Darum fragte er seine Aerzte- „Kann ich davon kommen?" und vernahm mit vollkommener Gelassenheit ihre Aufforderung, alle seine Geschäfte zu beenden, um sich fortan nur zu beschäftigen mit seiner Gesundheit — das heißt mit dem Tode, wie Talleyrand sehr gut wußte, der sich auch von der Diplomatie der Aerzte nicht täuschen ließ. Auch dann behielt er Geistesgegenwart und Willenskraft genug, um sich nicht voreilig sei¬ nem Beichtvater zu übergeben, dem Geueralvikar Abb«- Dupanloup, der nach dem Urtheilspruch der Aerzte vollen Anspruch an ihn zu haben glaubte. Erst am folgenden Morgen unterschrieb er die Ur¬ kunden, in denen er sich selbst der Kirche, unterwarf, und damit sei¬ nen eigenen Todesschein mit vollen Schriftzügen und voller Fassung, wie er denn bis zum letzten Augenblick das Bewußtsein behielt. Er 88 -i-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/687>, abgerufen am 01.07.2024.