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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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Richtplatze Babeufs im vorigen Jahrhundert bis zu der Mißgestalt,
in welcher sie jetzt wieder sich heraufwühlcn will; er hat Blut und
Gut gegen ihre Zerstörungswuth eingesetzt; er hat sie gesehen und
erkannt, als man seine Warnung für ein Hirngespinst erklärte, sie
verdächtigte als eine List, um der kleinbürgerlichen Beschränktheit Angst
einzujagen. Hat etwa Jemand eine fertige Vorschrift, wie eine un¬
zweifelhafte Erledigung herbeigeführt werden könne, ohne die Nerven
unseres gesellschaftlichen Verbandes zu zerreißen? Und haben die Par¬
teien, die sich dem König entgegenstellen, dafür etwas Anderes als
Zugeständnisse, die den lästigen Mahner nur kühner machen, ohne ihn
zufrieden zu stellen; wie erweiterte oder gar unbedingte Wahlberech¬
tigung, Zerbrechung der Einheit Frankreichs durch einen Föderalis¬
mus der Provinzen, Beschränkung der Gewerbefreiheit durch eine
Begrenzung, gegenüber welcher der Zunftzwang goldene Freiheit ist,
eine Organisation der Arbeit, die, wie sie bis jetzt vorgebracht wurde,
immer noch nicht mehr ist, als ein socialistischer, wenn auch wohl¬
gemeinter Traum -- oder -- und das ist die geheime Hoffnung bei
allen diesen Vorschlägen -- Ableitung nach Außen durch Ueberfluth.
ung Europas in einem Kriege, der für Grenzen begänne, um gren¬
zenlos zu werven? Und ist in allen diesen Anschlägen etwas Anderes
gewiß, als der Ruin des Bestehenden? In Auffassung der wahren
Factoren der europäischen Gesellschaft, in Voraussicht ochsen, was
das geistige Auge aus künftigen Gestaltungen zu erkennen vermag,
steht der König Keinem nach. Oder wo ist der Staatsmann, dessen
durch Thaten erprobter Einsicht er sich nicht ebenbürtig bewiesen hätte?
Aber er ahmt nicht denen nach, die sich Propheten einer neuen Zeit
nennen, die sie bereiten wollen, indem sie das leichte Werk des Zer¬
störers übernehmen und den Nachkommen überweisen, den Schutt
ihrer hinterlassenen Ruinen hinwegzuräumen, um nach Belieben zu
bauen. Ludwig Philipp ist ein zu erfahrener Schiffer auf dem po¬
litischen Ocean, um auf ruhige See zu rechnen; er hat schlimme
Stürme bestanden und kennt die Tücke der Elemente; aber wenn der
Seemann dem Unwetter nicht vorbeugen kann,. so thut er, was er
vermag, er rüstet sein Schiff mit Umsicht, macht es stark und bieg¬
sam, daß es widerstehen und nachgeben kann, waffnet sein Auge und
schärft seinen Sinn, um die Richtung einhalten zu können, wenn auch
die Wogen schäumend im wilden Gewirre sich erheben. Der König
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Artnzbvtc" I8ii. I. 88

Richtplatze Babeufs im vorigen Jahrhundert bis zu der Mißgestalt,
in welcher sie jetzt wieder sich heraufwühlcn will; er hat Blut und
Gut gegen ihre Zerstörungswuth eingesetzt; er hat sie gesehen und
erkannt, als man seine Warnung für ein Hirngespinst erklärte, sie
verdächtigte als eine List, um der kleinbürgerlichen Beschränktheit Angst
einzujagen. Hat etwa Jemand eine fertige Vorschrift, wie eine un¬
zweifelhafte Erledigung herbeigeführt werden könne, ohne die Nerven
unseres gesellschaftlichen Verbandes zu zerreißen? Und haben die Par¬
teien, die sich dem König entgegenstellen, dafür etwas Anderes als
Zugeständnisse, die den lästigen Mahner nur kühner machen, ohne ihn
zufrieden zu stellen; wie erweiterte oder gar unbedingte Wahlberech¬
tigung, Zerbrechung der Einheit Frankreichs durch einen Föderalis¬
mus der Provinzen, Beschränkung der Gewerbefreiheit durch eine
Begrenzung, gegenüber welcher der Zunftzwang goldene Freiheit ist,
eine Organisation der Arbeit, die, wie sie bis jetzt vorgebracht wurde,
immer noch nicht mehr ist, als ein socialistischer, wenn auch wohl¬
gemeinter Traum — oder — und das ist die geheime Hoffnung bei
allen diesen Vorschlägen — Ableitung nach Außen durch Ueberfluth.
ung Europas in einem Kriege, der für Grenzen begänne, um gren¬
zenlos zu werven? Und ist in allen diesen Anschlägen etwas Anderes
gewiß, als der Ruin des Bestehenden? In Auffassung der wahren
Factoren der europäischen Gesellschaft, in Voraussicht ochsen, was
das geistige Auge aus künftigen Gestaltungen zu erkennen vermag,
steht der König Keinem nach. Oder wo ist der Staatsmann, dessen
durch Thaten erprobter Einsicht er sich nicht ebenbürtig bewiesen hätte?
Aber er ahmt nicht denen nach, die sich Propheten einer neuen Zeit
nennen, die sie bereiten wollen, indem sie das leichte Werk des Zer¬
störers übernehmen und den Nachkommen überweisen, den Schutt
ihrer hinterlassenen Ruinen hinwegzuräumen, um nach Belieben zu
bauen. Ludwig Philipp ist ein zu erfahrener Schiffer auf dem po¬
litischen Ocean, um auf ruhige See zu rechnen; er hat schlimme
Stürme bestanden und kennt die Tücke der Elemente; aber wenn der
Seemann dem Unwetter nicht vorbeugen kann,. so thut er, was er
vermag, er rüstet sein Schiff mit Umsicht, macht es stark und bieg¬
sam, daß es widerstehen und nachgeben kann, waffnet sein Auge und
schärft seinen Sinn, um die Richtung einhalten zu können, wenn auch
die Wogen schäumend im wilden Gewirre sich erheben. Der König
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[0685] Richtplatze Babeufs im vorigen Jahrhundert bis zu der Mißgestalt, in welcher sie jetzt wieder sich heraufwühlcn will; er hat Blut und Gut gegen ihre Zerstörungswuth eingesetzt; er hat sie gesehen und erkannt, als man seine Warnung für ein Hirngespinst erklärte, sie verdächtigte als eine List, um der kleinbürgerlichen Beschränktheit Angst einzujagen. Hat etwa Jemand eine fertige Vorschrift, wie eine un¬ zweifelhafte Erledigung herbeigeführt werden könne, ohne die Nerven unseres gesellschaftlichen Verbandes zu zerreißen? Und haben die Par¬ teien, die sich dem König entgegenstellen, dafür etwas Anderes als Zugeständnisse, die den lästigen Mahner nur kühner machen, ohne ihn zufrieden zu stellen; wie erweiterte oder gar unbedingte Wahlberech¬ tigung, Zerbrechung der Einheit Frankreichs durch einen Föderalis¬ mus der Provinzen, Beschränkung der Gewerbefreiheit durch eine Begrenzung, gegenüber welcher der Zunftzwang goldene Freiheit ist, eine Organisation der Arbeit, die, wie sie bis jetzt vorgebracht wurde, immer noch nicht mehr ist, als ein socialistischer, wenn auch wohl¬ gemeinter Traum — oder — und das ist die geheime Hoffnung bei allen diesen Vorschlägen — Ableitung nach Außen durch Ueberfluth. ung Europas in einem Kriege, der für Grenzen begänne, um gren¬ zenlos zu werven? Und ist in allen diesen Anschlägen etwas Anderes gewiß, als der Ruin des Bestehenden? In Auffassung der wahren Factoren der europäischen Gesellschaft, in Voraussicht ochsen, was das geistige Auge aus künftigen Gestaltungen zu erkennen vermag, steht der König Keinem nach. Oder wo ist der Staatsmann, dessen durch Thaten erprobter Einsicht er sich nicht ebenbürtig bewiesen hätte? Aber er ahmt nicht denen nach, die sich Propheten einer neuen Zeit nennen, die sie bereiten wollen, indem sie das leichte Werk des Zer¬ störers übernehmen und den Nachkommen überweisen, den Schutt ihrer hinterlassenen Ruinen hinwegzuräumen, um nach Belieben zu bauen. Ludwig Philipp ist ein zu erfahrener Schiffer auf dem po¬ litischen Ocean, um auf ruhige See zu rechnen; er hat schlimme Stürme bestanden und kennt die Tücke der Elemente; aber wenn der Seemann dem Unwetter nicht vorbeugen kann,. so thut er, was er vermag, er rüstet sein Schiff mit Umsicht, macht es stark und bieg¬ sam, daß es widerstehen und nachgeben kann, waffnet sein Auge und schärft seinen Sinn, um die Richtung einhalten zu können, wenn auch die Wogen schäumend im wilden Gewirre sich erheben. Der König - Artnzbvtc» I8ii. I. 88

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/685>, abgerufen am 01.07.2024.