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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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gehungert. Die Zeitungen waren voll davon. Und König Ludwig gab
zu ihrer Unterstützung hundert Gulden. Das beweist nur, daß er
sich blos als Privatmann bei der Sache betheiligen zu müssen glaubte.
-- An diese große Glocke zu schlagen ist der deutschen Presse nicht
eingefallen. Es ist freilich bequemer, zur Beschönigung des eigenen
Benehmens, den Haß gegen das undankbare, perfide griechische Ge¬
sinde! gewissermaßen als patriotische Pflicht auszutrompeten, wie ein
Münchner Correspondent der Deutschen Allgemeinen in letzter Zeit
gar fleißig gethan hat. Diese Pflicht erfüllt sich ja so leicht und zu¬
gleich treffen die Schmähungen ein "unreifes" Volk, das so frech
war, sich eine Constitution zu erzwingen und dem man dabei die
revolutionärsten, ordnungswidrigsten Absichten nachsagen kann -- zwei
Fliegen mit einer Klappe. Das heißt Nationalgefühl!

Wir übergehen zu einem anderen, weniger bedeutenden, aber eben¬
falls charakteristischen Beispiel. Wir schätzen an Herrn Schuselka nicht
nur die gewandte Feder, sondern vorzüglich seine warme Liebe
und Begeisterung für nationaldeutsches Wesen. Um so mehr möch¬
ten wir ihn warnen, daß er sich in seiner publizistischen Einsamkeit
nicht in Einseitigkeiten verrenne. Er scheint manchmal nicht zu wis¬
sen, wie viel es geschlagen hat; seiner Polemik gegen die Uebergriffe
der panslavistischen Bewegungen kommt der Aufenthalt an slavisch¬
deutschen Grenzen in Oesterreich zu Gute. Nicht so in anderer Hin¬
sicht. Letzthin hatten wir ihn bald für einen Franzosenfresser gehalten.
Er berichtet über die Französische Komödie in Wien und freut sich,
daß die Kenntniß des Französischen unter den guten
Wienern abnehme. (?) Das sind hohle Worte. Wir wünschen,
daß die Wiener eben so gut Französisch lernen, wie Englisch oder Ita¬
lienisch, daß sie aber doch gute Wiener bleiben. Die Engländer trei¬
ben auch viel Französisch und französische Literatur, ohne darum Affen
Frankreichs zu sein. -- Was wäre auch damit gewonnen? Unschuld,
das heißt Unwissenheit, ist keine Tugend, auch keine nationale.




II.
Aus Wie n.

Municipalrcchte. -- Oekonomie. -- Details über das Duell. -- Schönborn
und Goler, Arnstein und Haber. -- Italienische Oper. -- Schneidermeister
Balochino. -- Grillparzer gegen die Berliner.

Ein wichtiger Fortschritt manifestirt sich in Oesterreich durch das
Wiederaufleben des durch lange Jahre eingeschlafenen Municipalgeistes.
Der hiesige Bürgermeister, Herr Ritter von Ezapka, hat bei der Ne-


gehungert. Die Zeitungen waren voll davon. Und König Ludwig gab
zu ihrer Unterstützung hundert Gulden. Das beweist nur, daß er
sich blos als Privatmann bei der Sache betheiligen zu müssen glaubte.
— An diese große Glocke zu schlagen ist der deutschen Presse nicht
eingefallen. Es ist freilich bequemer, zur Beschönigung des eigenen
Benehmens, den Haß gegen das undankbare, perfide griechische Ge¬
sinde! gewissermaßen als patriotische Pflicht auszutrompeten, wie ein
Münchner Correspondent der Deutschen Allgemeinen in letzter Zeit
gar fleißig gethan hat. Diese Pflicht erfüllt sich ja so leicht und zu¬
gleich treffen die Schmähungen ein „unreifes" Volk, das so frech
war, sich eine Constitution zu erzwingen und dem man dabei die
revolutionärsten, ordnungswidrigsten Absichten nachsagen kann — zwei
Fliegen mit einer Klappe. Das heißt Nationalgefühl!

Wir übergehen zu einem anderen, weniger bedeutenden, aber eben¬
falls charakteristischen Beispiel. Wir schätzen an Herrn Schuselka nicht
nur die gewandte Feder, sondern vorzüglich seine warme Liebe
und Begeisterung für nationaldeutsches Wesen. Um so mehr möch¬
ten wir ihn warnen, daß er sich in seiner publizistischen Einsamkeit
nicht in Einseitigkeiten verrenne. Er scheint manchmal nicht zu wis¬
sen, wie viel es geschlagen hat; seiner Polemik gegen die Uebergriffe
der panslavistischen Bewegungen kommt der Aufenthalt an slavisch¬
deutschen Grenzen in Oesterreich zu Gute. Nicht so in anderer Hin¬
sicht. Letzthin hatten wir ihn bald für einen Franzosenfresser gehalten.
Er berichtet über die Französische Komödie in Wien und freut sich,
daß die Kenntniß des Französischen unter den guten
Wienern abnehme. (?) Das sind hohle Worte. Wir wünschen,
daß die Wiener eben so gut Französisch lernen, wie Englisch oder Ita¬
lienisch, daß sie aber doch gute Wiener bleiben. Die Engländer trei¬
ben auch viel Französisch und französische Literatur, ohne darum Affen
Frankreichs zu sein. — Was wäre auch damit gewonnen? Unschuld,
das heißt Unwissenheit, ist keine Tugend, auch keine nationale.




II.
Aus Wie n.

Municipalrcchte. — Oekonomie. — Details über das Duell. — Schönborn
und Goler, Arnstein und Haber. — Italienische Oper. — Schneidermeister
Balochino. — Grillparzer gegen die Berliner.

Ein wichtiger Fortschritt manifestirt sich in Oesterreich durch das
Wiederaufleben des durch lange Jahre eingeschlafenen Municipalgeistes.
Der hiesige Bürgermeister, Herr Ritter von Ezapka, hat bei der Ne-


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[0574] gehungert. Die Zeitungen waren voll davon. Und König Ludwig gab zu ihrer Unterstützung hundert Gulden. Das beweist nur, daß er sich blos als Privatmann bei der Sache betheiligen zu müssen glaubte. — An diese große Glocke zu schlagen ist der deutschen Presse nicht eingefallen. Es ist freilich bequemer, zur Beschönigung des eigenen Benehmens, den Haß gegen das undankbare, perfide griechische Ge¬ sinde! gewissermaßen als patriotische Pflicht auszutrompeten, wie ein Münchner Correspondent der Deutschen Allgemeinen in letzter Zeit gar fleißig gethan hat. Diese Pflicht erfüllt sich ja so leicht und zu¬ gleich treffen die Schmähungen ein „unreifes" Volk, das so frech war, sich eine Constitution zu erzwingen und dem man dabei die revolutionärsten, ordnungswidrigsten Absichten nachsagen kann — zwei Fliegen mit einer Klappe. Das heißt Nationalgefühl! Wir übergehen zu einem anderen, weniger bedeutenden, aber eben¬ falls charakteristischen Beispiel. Wir schätzen an Herrn Schuselka nicht nur die gewandte Feder, sondern vorzüglich seine warme Liebe und Begeisterung für nationaldeutsches Wesen. Um so mehr möch¬ ten wir ihn warnen, daß er sich in seiner publizistischen Einsamkeit nicht in Einseitigkeiten verrenne. Er scheint manchmal nicht zu wis¬ sen, wie viel es geschlagen hat; seiner Polemik gegen die Uebergriffe der panslavistischen Bewegungen kommt der Aufenthalt an slavisch¬ deutschen Grenzen in Oesterreich zu Gute. Nicht so in anderer Hin¬ sicht. Letzthin hatten wir ihn bald für einen Franzosenfresser gehalten. Er berichtet über die Französische Komödie in Wien und freut sich, daß die Kenntniß des Französischen unter den guten Wienern abnehme. (?) Das sind hohle Worte. Wir wünschen, daß die Wiener eben so gut Französisch lernen, wie Englisch oder Ita¬ lienisch, daß sie aber doch gute Wiener bleiben. Die Engländer trei¬ ben auch viel Französisch und französische Literatur, ohne darum Affen Frankreichs zu sein. — Was wäre auch damit gewonnen? Unschuld, das heißt Unwissenheit, ist keine Tugend, auch keine nationale. II. Aus Wie n. Municipalrcchte. — Oekonomie. — Details über das Duell. — Schönborn und Goler, Arnstein und Haber. — Italienische Oper. — Schneidermeister Balochino. — Grillparzer gegen die Berliner. Ein wichtiger Fortschritt manifestirt sich in Oesterreich durch das Wiederaufleben des durch lange Jahre eingeschlafenen Municipalgeistes. Der hiesige Bürgermeister, Herr Ritter von Ezapka, hat bei der Ne-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/574>, abgerufen am 29.06.2024.