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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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der eine sehr ausführliche geographische Abhandlung über dieses Land
enthält, um dann zu sagen, von einer aetolischen Kunstschule wisse
man Nichts, und nur ein einziger Künstler dieses Landes sei bekannt;
oder Afghanistan, mit der schwerlich hierher gehörigen Erzählung der
neuesten englischen Katastrophe; auch den Artikeln Aeschylus und
Agathokles in demselben Hefte möchte man dasselbe vorwerfen können.
Andere Artikel dagegen, wie Altdeutsche, Aeginetische, Aegyptische Kunst,
mehrere Artikel über einzelne Kunstwerke entsprechen allen billigen An¬
forderungen. Die zahlreichen eingedruckten Holzschnitte lassen in
Auswahl, Ausführung und Druck wenig zu wünschen übrig.

-- Böhmen ist plötzlich in Paris populär geworden. Dies Er¬
eignis; ist weder durch die Schriften der jungen Czechomanen, noch
durch den neubelebten Prager Landtag herbeigeführt worden. Die
Pariser verehren Böhmen, weil es das Vaterland der Polka ist.
Wer in Paris nicht Polka tanzen kann, ist jetzt ein verlorener Mensch.
Wenn früher die Deutschen nach Paris wanderten, um dort Sprach¬
unterricht zu ertheilen, werden die Böhmen jetzt dorthin emigriren,
um Tanzunterricht zu ertheilen. Man spricht sogar schon von Be¬
gründung eines böhmisch-französischen Journals (nach dem Muster
der Ruge-Marrschen Zeitschrift), welches den Zweck haben soll, die
Sympathien der czechischen und französischen Füße zu vereinen. Mon¬
sieur I^ritpilL und Alnnsieiir I?rim"Ms, die zwei, radikalsten Pari¬
ser Tanzmeister, haben dem Redacteur des neuen Journals ihre
Mitwirkung zugesagt. Wenn sie nur nicht nach dem Beispiele von
Lamartine und Lammenais (gegenüber von Rüge) ihr Wort zurück¬
nehmen. Die Polka hat eine große politische Bedeutung, denn sie
ist ein Bauerntanz; eine Bewegung des Proletariats, und da sie die
aristokratische Quadrille zu verdrängen droht, so fürchtet man die
Fortschritte dieser gefährlichen Propaganda; die preußische Gesandtschaft
in Paris soll bereits ernsthafte Instruktionen erhalten haben.

-- Glücklich zu sterben ist ein so beneidenswerthes Loos, als
glücklich zu leben. Thorwaldsen genoß Beides.- Der Tod kam ihm, dem
dreiundstebzigjährigen Greis, so freundlich plötzlich entgegen, wie das
Glück dem dreiundzwanzigjährigen Jüngling. Man weiß die Art, wie
Thorwaldsen in Rom sein erstes Glück gemacht. Er hatte das Mo¬
dell seines Jason vollendet; aber trotz des vielen Lobes, das man ihm
spendete, fand sich Keiner, der es ausführen lassen wollte. Trostlos und der
Dürftigkeit preisgegeben, will Thorwaldsen nach Kopenhagen zurück¬
reisen. Schon am anderen Morgen will er den Wanderstab ergrei¬
fen, da führt im letzten Augenblick der Zufall den reichen Holländer
Hoppe in die Stube des jungen Künstlers; er sieht das Modell, be¬
wundert es, bestellt die Ausführung -- Thorwaldsen bleibt, sein Glück,


der eine sehr ausführliche geographische Abhandlung über dieses Land
enthält, um dann zu sagen, von einer aetolischen Kunstschule wisse
man Nichts, und nur ein einziger Künstler dieses Landes sei bekannt;
oder Afghanistan, mit der schwerlich hierher gehörigen Erzählung der
neuesten englischen Katastrophe; auch den Artikeln Aeschylus und
Agathokles in demselben Hefte möchte man dasselbe vorwerfen können.
Andere Artikel dagegen, wie Altdeutsche, Aeginetische, Aegyptische Kunst,
mehrere Artikel über einzelne Kunstwerke entsprechen allen billigen An¬
forderungen. Die zahlreichen eingedruckten Holzschnitte lassen in
Auswahl, Ausführung und Druck wenig zu wünschen übrig.

— Böhmen ist plötzlich in Paris populär geworden. Dies Er¬
eignis; ist weder durch die Schriften der jungen Czechomanen, noch
durch den neubelebten Prager Landtag herbeigeführt worden. Die
Pariser verehren Böhmen, weil es das Vaterland der Polka ist.
Wer in Paris nicht Polka tanzen kann, ist jetzt ein verlorener Mensch.
Wenn früher die Deutschen nach Paris wanderten, um dort Sprach¬
unterricht zu ertheilen, werden die Böhmen jetzt dorthin emigriren,
um Tanzunterricht zu ertheilen. Man spricht sogar schon von Be¬
gründung eines böhmisch-französischen Journals (nach dem Muster
der Ruge-Marrschen Zeitschrift), welches den Zweck haben soll, die
Sympathien der czechischen und französischen Füße zu vereinen. Mon¬
sieur I^ritpilL und Alnnsieiir I?rim«Ms, die zwei, radikalsten Pari¬
ser Tanzmeister, haben dem Redacteur des neuen Journals ihre
Mitwirkung zugesagt. Wenn sie nur nicht nach dem Beispiele von
Lamartine und Lammenais (gegenüber von Rüge) ihr Wort zurück¬
nehmen. Die Polka hat eine große politische Bedeutung, denn sie
ist ein Bauerntanz; eine Bewegung des Proletariats, und da sie die
aristokratische Quadrille zu verdrängen droht, so fürchtet man die
Fortschritte dieser gefährlichen Propaganda; die preußische Gesandtschaft
in Paris soll bereits ernsthafte Instruktionen erhalten haben.

— Glücklich zu sterben ist ein so beneidenswerthes Loos, als
glücklich zu leben. Thorwaldsen genoß Beides.- Der Tod kam ihm, dem
dreiundstebzigjährigen Greis, so freundlich plötzlich entgegen, wie das
Glück dem dreiundzwanzigjährigen Jüngling. Man weiß die Art, wie
Thorwaldsen in Rom sein erstes Glück gemacht. Er hatte das Mo¬
dell seines Jason vollendet; aber trotz des vielen Lobes, das man ihm
spendete, fand sich Keiner, der es ausführen lassen wollte. Trostlos und der
Dürftigkeit preisgegeben, will Thorwaldsen nach Kopenhagen zurück¬
reisen. Schon am anderen Morgen will er den Wanderstab ergrei¬
fen, da führt im letzten Augenblick der Zufall den reichen Holländer
Hoppe in die Stube des jungen Künstlers; er sieht das Modell, be¬
wundert es, bestellt die Ausführung — Thorwaldsen bleibt, sein Glück,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/485>, abgerufen am 29.06.2024.