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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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dem Himmel! -- Das ist's, Wa6 ich denken kann und sagen. Das
aber möcht' ich wissen, was mein Sohn dort mag denken und träu¬
men? Studirt so lange, selten, daß er lacht mehr, voll Ernst und
Denken immer; -- das möcht' ich wissen, was er mehr weiß als
sein Vater? Ist's der Mühe werth? Woher so viele Dinge, die er
lernt und kann? Und ist's der Zeit und Mühe werth, daß man's
erlernt?--was muß es sein?! Er muß doch auch sehen, was
ich, und hören und fühlen, was ich. -- Wird der Abendschein schö¬
ner, wenn ich darüber denk', und kann ich den Herbst zum Frühling
machen? Was ist's, was er denkt? Wenn's gar viel wäre und wich¬
tig, was man lernen kann und denken -- wenn'S gar viel wäre --
dann mein' ich, ließ es Gott nicht zu, daß wir's vom Land nicht
auch noch lernen müßten. Was? Nun ja. Das möcht' ich wissen...

So denkt unser Vater und bleibt am Baume lehnen.
Im ersten Hofe des nahen Dorfes beginnt eben ein Bursche
zu singen; es ist die einzige Stimme eines Erwachsenen, die singend
zu hören.

Weil jetzt die Straß' durch'n
Wald hinaus g'macht,
Hab' ich zum Mäderl so
Weit nicht bei Nacht.
Zirpe dort im Mauerl drin
Heimlich ein' Grill --
Wie hart ist das Ding, wenn Ein'n
's Mäderl nicht will u. s. s.

Ohne die Terte zum Gesang zu verstehen, hört unser Vater den
Burschen doch singen und denkt sich im Stillen:

-- . . . Mußte jener so viel sehen, denken, erfahren, und hat
seine Freuden verloren. Er ist mein Sohn. Ist der Andere nie mit
viel Denken geplagt gewesen zu Hause, und der ist voll heiterer
Dinge. Auch er ist mein Sohn. Kommt's zum Guten, so viel zu
denken, erfahren -- warum seine Freuden verlieren? Führt's zum
Uebler, so wenig zu lernen -- warum so viel unschuldige Freuden?
Das möcht' ich wissen. Da hab' ich zwei Söhne nun und vergleich
sie zusammen . . .

Denkt so und bleibt am Baume lehnen. Im Dorf hört er den
Burschen singen:


dem Himmel! — Das ist's, Wa6 ich denken kann und sagen. Das
aber möcht' ich wissen, was mein Sohn dort mag denken und träu¬
men? Studirt so lange, selten, daß er lacht mehr, voll Ernst und
Denken immer; — das möcht' ich wissen, was er mehr weiß als
sein Vater? Ist's der Mühe werth? Woher so viele Dinge, die er
lernt und kann? Und ist's der Zeit und Mühe werth, daß man's
erlernt?--was muß es sein?! Er muß doch auch sehen, was
ich, und hören und fühlen, was ich. — Wird der Abendschein schö¬
ner, wenn ich darüber denk', und kann ich den Herbst zum Frühling
machen? Was ist's, was er denkt? Wenn's gar viel wäre und wich¬
tig, was man lernen kann und denken — wenn'S gar viel wäre —
dann mein' ich, ließ es Gott nicht zu, daß wir's vom Land nicht
auch noch lernen müßten. Was? Nun ja. Das möcht' ich wissen...

So denkt unser Vater und bleibt am Baume lehnen.
Im ersten Hofe des nahen Dorfes beginnt eben ein Bursche
zu singen; es ist die einzige Stimme eines Erwachsenen, die singend
zu hören.

Weil jetzt die Straß' durch'n
Wald hinaus g'macht,
Hab' ich zum Mäderl so
Weit nicht bei Nacht.
Zirpe dort im Mauerl drin
Heimlich ein' Grill —
Wie hart ist das Ding, wenn Ein'n
's Mäderl nicht will u. s. s.

Ohne die Terte zum Gesang zu verstehen, hört unser Vater den
Burschen doch singen und denkt sich im Stillen:

— . . . Mußte jener so viel sehen, denken, erfahren, und hat
seine Freuden verloren. Er ist mein Sohn. Ist der Andere nie mit
viel Denken geplagt gewesen zu Hause, und der ist voll heiterer
Dinge. Auch er ist mein Sohn. Kommt's zum Guten, so viel zu
denken, erfahren — warum seine Freuden verlieren? Führt's zum
Uebler, so wenig zu lernen — warum so viel unschuldige Freuden?
Das möcht' ich wissen. Da hab' ich zwei Söhne nun und vergleich
sie zusammen . . .

Denkt so und bleibt am Baume lehnen. Im Dorf hört er den
Burschen singen:


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[0046] dem Himmel! — Das ist's, Wa6 ich denken kann und sagen. Das aber möcht' ich wissen, was mein Sohn dort mag denken und träu¬ men? Studirt so lange, selten, daß er lacht mehr, voll Ernst und Denken immer; — das möcht' ich wissen, was er mehr weiß als sein Vater? Ist's der Mühe werth? Woher so viele Dinge, die er lernt und kann? Und ist's der Zeit und Mühe werth, daß man's erlernt?--was muß es sein?! Er muß doch auch sehen, was ich, und hören und fühlen, was ich. — Wird der Abendschein schö¬ ner, wenn ich darüber denk', und kann ich den Herbst zum Frühling machen? Was ist's, was er denkt? Wenn's gar viel wäre und wich¬ tig, was man lernen kann und denken — wenn'S gar viel wäre — dann mein' ich, ließ es Gott nicht zu, daß wir's vom Land nicht auch noch lernen müßten. Was? Nun ja. Das möcht' ich wissen... So denkt unser Vater und bleibt am Baume lehnen. Im ersten Hofe des nahen Dorfes beginnt eben ein Bursche zu singen; es ist die einzige Stimme eines Erwachsenen, die singend zu hören. Weil jetzt die Straß' durch'n Wald hinaus g'macht, Hab' ich zum Mäderl so Weit nicht bei Nacht. Zirpe dort im Mauerl drin Heimlich ein' Grill — Wie hart ist das Ding, wenn Ein'n 's Mäderl nicht will u. s. s. Ohne die Terte zum Gesang zu verstehen, hört unser Vater den Burschen doch singen und denkt sich im Stillen: — . . . Mußte jener so viel sehen, denken, erfahren, und hat seine Freuden verloren. Er ist mein Sohn. Ist der Andere nie mit viel Denken geplagt gewesen zu Hause, und der ist voll heiterer Dinge. Auch er ist mein Sohn. Kommt's zum Guten, so viel zu denken, erfahren — warum seine Freuden verlieren? Führt's zum Uebler, so wenig zu lernen — warum so viel unschuldige Freuden? Das möcht' ich wissen. Da hab' ich zwei Söhne nun und vergleich sie zusammen . . . Denkt so und bleibt am Baume lehnen. Im Dorf hört er den Burschen singen:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/46>, abgerufen am 26.06.2024.