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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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von Oranien"') mit vollem Rechte eine Auszeichnung. Hellers
schönes Erzählertalent ist-noch in aufsteigender Linie begriffen, sem
neuer Roman, der einen Abschnitt des niederländischen Aufst-u.dö vc-
handelt (von der Entstehung der Wasscrgeuscn bis zur Belagerung und
Entsetzung von Leyden) ist nicht nur durch künstlerische Anordnung,
sondern auch durch reiche Quellcnstndic" rühmenswerth. Vielleicht hat
der Verfasser durch Letztere sich etwas zu viel aufgeladen. Nach der
Lebendigkeit des erstell Theils erscheinen viele episodische Partien des
zweiten Bandes gedehnt und mitunter überflüssig, und erst >in drittel.
Bande erhebt sich das Interesse wieder lebhafter. Es ist ein sonder¬
bares Ding mit unsern historischen Romanen. Den meisten sieht man
-s an, daß der Verfasser während oder wenigstens kurz vor der Arde.t
steh an das Studium des geschichtliche" Apparats gemacht hat. Da¬
durch tritt oft der Uebelstand ein. daß viele einzelne Details, die für
die Gesammtcomposition, so wie selbst für die Charakteristik der Epoche
unwichtig sind, allzusehr sich aufdringen. Scott, der große Meister
des historischen Romans, wählt- seine Stosse größtentheils aus der
Geschichte seines Landes, deren Geist er voll Jugend auf eingesogen,
deren Romantik bei ih.n in Fleisch und Blut übergegangen war. So
entwickelten sich seine Figuren organisch aus ihrem natürlichen Boden.
Seinen Nachfolgern, die daS historische Rüstzeug erst aus allen veralteten
Chroniken mit saueren Fleiße herbeitragen müssen, wird jede der mnh-
ia"i erworbenen Einzelnheiten ein theures Gut, ein Kind ihrer Schmer¬
ze", das sie nicht leicht von sich werfen, wenn es nicht paßt, ,oildcrn
es beibehalten, auch wenn der Rahme" des Ganzen dadurch zu sprin¬
gen droht. Es ist gerade mit dem historischen Romane, wie mit den
vnsificirten Dramen, worin der Vers meistens den Dichter zur Breite
verlockt und die Diction anf Nebenwege führt. Glücklich der, den
kein natürliches Talent ans dem Labyrinth der Einzelnheiten wieder in
°le Nische Region der Phantasie führt, wie dies bei Heller im drit¬
ten Bande seines Romans der Fall ist, wo sich Alles wieder zusam¬
menfindet, was früher sich zerstreut hat. Der überwiegende Reiz, den
die erfundenen Personen in dem ,Pri"zen von Oranien-' vor den ge¬
gebenen historischen voraushaben,' erregt die Vermuthung, daß Heller
"och einen weit glücklicheren Wurf et'ale, wen" er in seiner nächsten
Production das historische Gebiet verließe und eine" vollständig erdich¬
teten Stoff behandeln würde.

^us einem Privatbricfc erfahren wir, daß die Wiener Bu
händler eine Grcmiumsitzung veranstaltet haben, in welcher der Be,est
gesaßt werden sollte, die bösen Schriften über Oesterreich nicht mehr
beziehen und besonders die Verbindunmtoman" und Campe



') Z Bde. Leipzig, L. Neichnibach I"44.

von Oranien"') mit vollem Rechte eine Auszeichnung. Hellers
schönes Erzählertalent ist-noch in aufsteigender Linie begriffen, sem
neuer Roman, der einen Abschnitt des niederländischen Aufst-u.dö vc-
handelt (von der Entstehung der Wasscrgeuscn bis zur Belagerung und
Entsetzung von Leyden) ist nicht nur durch künstlerische Anordnung,
sondern auch durch reiche Quellcnstndic» rühmenswerth. Vielleicht hat
der Verfasser durch Letztere sich etwas zu viel aufgeladen. Nach der
Lebendigkeit des erstell Theils erscheinen viele episodische Partien des
zweiten Bandes gedehnt und mitunter überflüssig, und erst >in drittel.
Bande erhebt sich das Interesse wieder lebhafter. Es ist ein sonder¬
bares Ding mit unsern historischen Romanen. Den meisten sieht man
-s an, daß der Verfasser während oder wenigstens kurz vor der Arde.t
steh an das Studium des geschichtliche» Apparats gemacht hat. Da¬
durch tritt oft der Uebelstand ein. daß viele einzelne Details, die für
die Gesammtcomposition, so wie selbst für die Charakteristik der Epoche
unwichtig sind, allzusehr sich aufdringen. Scott, der große Meister
des historischen Romans, wählt- seine Stosse größtentheils aus der
Geschichte seines Landes, deren Geist er voll Jugend auf eingesogen,
deren Romantik bei ih.n in Fleisch und Blut übergegangen war. So
entwickelten sich seine Figuren organisch aus ihrem natürlichen Boden.
Seinen Nachfolgern, die daS historische Rüstzeug erst aus allen veralteten
Chroniken mit saueren Fleiße herbeitragen müssen, wird jede der mnh-
ia»i erworbenen Einzelnheiten ein theures Gut, ein Kind ihrer Schmer¬
ze», das sie nicht leicht von sich werfen, wenn es nicht paßt, ,oildcrn
es beibehalten, auch wenn der Rahme» des Ganzen dadurch zu sprin¬
gen droht. Es ist gerade mit dem historischen Romane, wie mit den
vnsificirten Dramen, worin der Vers meistens den Dichter zur Breite
verlockt und die Diction anf Nebenwege führt. Glücklich der, den
kein natürliches Talent ans dem Labyrinth der Einzelnheiten wieder in
°le Nische Region der Phantasie führt, wie dies bei Heller im drit¬
ten Bande seines Romans der Fall ist, wo sich Alles wieder zusam¬
menfindet, was früher sich zerstreut hat. Der überwiegende Reiz, den
die erfundenen Personen in dem ,Pri„zen von Oranien-' vor den ge¬
gebenen historischen voraushaben,' erregt die Vermuthung, daß Heller
»och einen weit glücklicheren Wurf et'ale, wen» er in seiner nächsten
Production das historische Gebiet verließe und eine» vollständig erdich¬
teten Stoff behandeln würde.

^us einem Privatbricfc erfahren wir, daß die Wiener Bu
händler eine Grcmiumsitzung veranstaltet haben, in welcher der Be,est
gesaßt werden sollte, die bösen Schriften über Oesterreich nicht mehr
beziehen und besonders die Verbindunmtoman» und Campe



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[0043] von Oranien"') mit vollem Rechte eine Auszeichnung. Hellers schönes Erzählertalent ist-noch in aufsteigender Linie begriffen, sem neuer Roman, der einen Abschnitt des niederländischen Aufst-u.dö vc- handelt (von der Entstehung der Wasscrgeuscn bis zur Belagerung und Entsetzung von Leyden) ist nicht nur durch künstlerische Anordnung, sondern auch durch reiche Quellcnstndic» rühmenswerth. Vielleicht hat der Verfasser durch Letztere sich etwas zu viel aufgeladen. Nach der Lebendigkeit des erstell Theils erscheinen viele episodische Partien des zweiten Bandes gedehnt und mitunter überflüssig, und erst >in drittel. Bande erhebt sich das Interesse wieder lebhafter. Es ist ein sonder¬ bares Ding mit unsern historischen Romanen. Den meisten sieht man -s an, daß der Verfasser während oder wenigstens kurz vor der Arde.t steh an das Studium des geschichtliche» Apparats gemacht hat. Da¬ durch tritt oft der Uebelstand ein. daß viele einzelne Details, die für die Gesammtcomposition, so wie selbst für die Charakteristik der Epoche unwichtig sind, allzusehr sich aufdringen. Scott, der große Meister des historischen Romans, wählt- seine Stosse größtentheils aus der Geschichte seines Landes, deren Geist er voll Jugend auf eingesogen, deren Romantik bei ih.n in Fleisch und Blut übergegangen war. So entwickelten sich seine Figuren organisch aus ihrem natürlichen Boden. Seinen Nachfolgern, die daS historische Rüstzeug erst aus allen veralteten Chroniken mit saueren Fleiße herbeitragen müssen, wird jede der mnh- ia»i erworbenen Einzelnheiten ein theures Gut, ein Kind ihrer Schmer¬ ze», das sie nicht leicht von sich werfen, wenn es nicht paßt, ,oildcrn es beibehalten, auch wenn der Rahme» des Ganzen dadurch zu sprin¬ gen droht. Es ist gerade mit dem historischen Romane, wie mit den vnsificirten Dramen, worin der Vers meistens den Dichter zur Breite verlockt und die Diction anf Nebenwege führt. Glücklich der, den kein natürliches Talent ans dem Labyrinth der Einzelnheiten wieder in °le Nische Region der Phantasie führt, wie dies bei Heller im drit¬ ten Bande seines Romans der Fall ist, wo sich Alles wieder zusam¬ menfindet, was früher sich zerstreut hat. Der überwiegende Reiz, den die erfundenen Personen in dem ,Pri„zen von Oranien-' vor den ge¬ gebenen historischen voraushaben,' erregt die Vermuthung, daß Heller »och einen weit glücklicheren Wurf et'ale, wen» er in seiner nächsten Production das historische Gebiet verließe und eine» vollständig erdich¬ teten Stoff behandeln würde. ^us einem Privatbricfc erfahren wir, daß die Wiener Bu händler eine Grcmiumsitzung veranstaltet haben, in welcher der Be,est gesaßt werden sollte, die bösen Schriften über Oesterreich nicht mehr beziehen und besonders die Verbindunmtoman» und Campe ') Z Bde. Leipzig, L. Neichnibach I«44.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/43>, abgerufen am 26.06.2024.