Nun reiste er nach Kopenhagen, um eine Anstellung beim Thea¬ ter zu suchen. Seine Kasse bestand aus dreizehn Reichsthalern, und er erreichte an einem Septembermcrgen 1819 die Residenz. Ueberall wies man ihn zurück, seine Baarschaft schwand dahin, und er machte den Versuch, bei einem Tischler zu arbeiten, gab ihn aber bald wie¬ der auf. Weil er eine helle, wohlklingende Stimme besaß, ging er zum Professor Siboni, einem gebornen Italiener, der damals Direk¬ tor des königlichen Conservatoriums war; ihm wollte er sein Schick¬ sal vertrauen. Dieser hatte just eine muntere Tischgesellschaft bei sich, worunter sich auch Baggesen und der joviale Komponist Weyse be¬ fanden. Man ließ Andersen ein und lachte anfangs über den un¬ schönen Knaben, der zu declamiren und zu singen anfing. Als er > jedoch mit Thränen im Auge seine traurige Geschichte vortrug, da wurden Alle ergriffen. Weyse brachte durch eine Collecte sogleich siebzig Thaler für ihn zusammen, und Siboni versprach, seinen Ge¬ sang auszubilden.
Zwar verlor Andersen die Stimme während des Unterrichts, doch wohlthätige Menschen nahmen sich seiner an. Der Dichter Gnldberg gab dem vernachlässigten Knaben Unterricht in der däni¬ schen und deutschen Sprache, der Schauspieler Lindgren ertheilte ihm Anleitung zur dramatischen Kunst und ein Solotänzer führte ihn in die Tanzschule. Er trat in einigen Ballets auf, sang auch im Chöre mit und schrieb nebenbei noch Trauerspiele. Der Conferenzrath Col- lin, ein vortrefflicher Mann, wurde Theaterdirector und merkte bald, daß Andersen mehr Anlage zum Dichter, als zum Schauspieler hatte. Er brachte ihn auf's Gymnasium, wo der siebzehnjährige junge Mensch neben kleinen Knaben sitzen mußte, doch gelangte er im Jahre 1828 zum Eramen und wurde Student.
Mit einem kleinen humoristischen Gemälde: "Die Fußreise nach Anack" begann er nun die literarische Laufbahn; bald steigerte sich die Theilnahme für seine Leistungen, und die lyrischen Gedichte (1830) sowohl, als die Phantasien und Skizzen (1831) fanden lebhaften Anklang. Andersen unternahm eine Reise nach dem Harz und der sächsischen Schweiz, wobei er die Bekanntschaft mehrerer deutschen Dichter machte. Auch Chamisso war darunter, und dieser sagte von ihm: "Mit Witz, Laune, Humor und volksthümlicher Naivetät be¬ gabt, hat Andersen auch tieferen Nachhall erweckende Töne in seiner
Nun reiste er nach Kopenhagen, um eine Anstellung beim Thea¬ ter zu suchen. Seine Kasse bestand aus dreizehn Reichsthalern, und er erreichte an einem Septembermcrgen 1819 die Residenz. Ueberall wies man ihn zurück, seine Baarschaft schwand dahin, und er machte den Versuch, bei einem Tischler zu arbeiten, gab ihn aber bald wie¬ der auf. Weil er eine helle, wohlklingende Stimme besaß, ging er zum Professor Siboni, einem gebornen Italiener, der damals Direk¬ tor des königlichen Conservatoriums war; ihm wollte er sein Schick¬ sal vertrauen. Dieser hatte just eine muntere Tischgesellschaft bei sich, worunter sich auch Baggesen und der joviale Komponist Weyse be¬ fanden. Man ließ Andersen ein und lachte anfangs über den un¬ schönen Knaben, der zu declamiren und zu singen anfing. Als er > jedoch mit Thränen im Auge seine traurige Geschichte vortrug, da wurden Alle ergriffen. Weyse brachte durch eine Collecte sogleich siebzig Thaler für ihn zusammen, und Siboni versprach, seinen Ge¬ sang auszubilden.
Zwar verlor Andersen die Stimme während des Unterrichts, doch wohlthätige Menschen nahmen sich seiner an. Der Dichter Gnldberg gab dem vernachlässigten Knaben Unterricht in der däni¬ schen und deutschen Sprache, der Schauspieler Lindgren ertheilte ihm Anleitung zur dramatischen Kunst und ein Solotänzer führte ihn in die Tanzschule. Er trat in einigen Ballets auf, sang auch im Chöre mit und schrieb nebenbei noch Trauerspiele. Der Conferenzrath Col- lin, ein vortrefflicher Mann, wurde Theaterdirector und merkte bald, daß Andersen mehr Anlage zum Dichter, als zum Schauspieler hatte. Er brachte ihn auf's Gymnasium, wo der siebzehnjährige junge Mensch neben kleinen Knaben sitzen mußte, doch gelangte er im Jahre 1828 zum Eramen und wurde Student.
Mit einem kleinen humoristischen Gemälde: „Die Fußreise nach Anack" begann er nun die literarische Laufbahn; bald steigerte sich die Theilnahme für seine Leistungen, und die lyrischen Gedichte (1830) sowohl, als die Phantasien und Skizzen (1831) fanden lebhaften Anklang. Andersen unternahm eine Reise nach dem Harz und der sächsischen Schweiz, wobei er die Bekanntschaft mehrerer deutschen Dichter machte. Auch Chamisso war darunter, und dieser sagte von ihm: „Mit Witz, Laune, Humor und volksthümlicher Naivetät be¬ gabt, hat Andersen auch tieferen Nachhall erweckende Töne in seiner
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Nun reiste er nach Kopenhagen, um eine Anstellung beim Thea¬
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er erreichte an einem Septembermcrgen 1819 die Residenz. Ueberall
wies man ihn zurück, seine Baarschaft schwand dahin, und er machte
den Versuch, bei einem Tischler zu arbeiten, gab ihn aber bald wie¬
der auf. Weil er eine helle, wohlklingende Stimme besaß, ging er
zum Professor Siboni, einem gebornen Italiener, der damals Direk¬
tor des königlichen Conservatoriums war; ihm wollte er sein Schick¬
sal vertrauen. Dieser hatte just eine muntere Tischgesellschaft bei sich,
worunter sich auch Baggesen und der joviale Komponist Weyse be¬
fanden. Man ließ Andersen ein und lachte anfangs über den un¬
schönen Knaben, der zu declamiren und zu singen anfing. Als er >
jedoch mit Thränen im Auge seine traurige Geschichte vortrug, da
wurden Alle ergriffen. Weyse brachte durch eine Collecte sogleich
siebzig Thaler für ihn zusammen, und Siboni versprach, seinen Ge¬
sang auszubilden.
Zwar verlor Andersen die Stimme während des Unterrichts,
doch wohlthätige Menschen nahmen sich seiner an. Der Dichter
Gnldberg gab dem vernachlässigten Knaben Unterricht in der däni¬
schen und deutschen Sprache, der Schauspieler Lindgren ertheilte ihm
Anleitung zur dramatischen Kunst und ein Solotänzer führte ihn in
die Tanzschule. Er trat in einigen Ballets auf, sang auch im Chöre
mit und schrieb nebenbei noch Trauerspiele. Der Conferenzrath Col-
lin, ein vortrefflicher Mann, wurde Theaterdirector und merkte bald,
daß Andersen mehr Anlage zum Dichter, als zum Schauspieler hatte.
Er brachte ihn auf's Gymnasium, wo der siebzehnjährige junge Mensch
neben kleinen Knaben sitzen mußte, doch gelangte er im Jahre 1828
zum Eramen und wurde Student.
Mit einem kleinen humoristischen Gemälde: „Die Fußreise nach
Anack" begann er nun die literarische Laufbahn; bald steigerte sich
die Theilnahme für seine Leistungen, und die lyrischen Gedichte (1830)
sowohl, als die Phantasien und Skizzen (1831) fanden lebhaften
Anklang. Andersen unternahm eine Reise nach dem Harz und der
sächsischen Schweiz, wobei er die Bekanntschaft mehrerer deutschen
Dichter machte. Auch Chamisso war darunter, und dieser sagte von
ihm: „Mit Witz, Laune, Humor und volksthümlicher Naivetät be¬
gabt, hat Andersen auch tieferen Nachhall erweckende Töne in seiner
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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/375>, abgerufen am 23.12.2024.
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