Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

Bild:
<< vorherige Seite

Dies könnte eine Zufälligkeit scheinen. Die Sache hat aber
eine tiefere Bedeutung. Elemente, die in ihrer rohen und ur¬
sprünglichen Gestalt sich abstoßen und befeinden, versöhnen sich oft
oder vertagen sich wenigstens, wenn sie in eine höhere Sphäre sich
entwickelt haben. Jener doppelfarbige Strahl deS' böhmischen Gei-
stes, welcher der "Libussa" einen so eigenthümlich fremdartigen Nerz
gibt, entspringt aus keiner Absteht, ist nicht künstlich hineingetragen,
er ist eine Naturnothwendigkeit. Die deutschböhmischcn und dre
ezechisch-böhmischen Poeten Prags werden stets etwas Gemein¬
ames

aen.
Ich habe den mir zugemessenen Raum anfangs zu sehr über¬
schritten, um diesmal auf die besondern Merkwürdigkeiten der "Llbussa,
Wie Mach", Führich, Ebert eingehen zu können; ich schließe da¬
her nur mit einer allgemeinen Andeutung. Man wird zugeben, daß
die Sprache allein nicht den ganzen Dichter macht. Die Mutter¬
sprache ist ein lebendiger Strom, der Ideen und Anschauungen in du-
Seele des Dichters führt und die Wurzeln seines Geistes von Jugend
nuf tränkt; aber die Sprache nimmt auch wieder Eindrücke von der
Individualität des Dichters auf und pflanzt sie, wenn sie mächtig
sind, weiter fort. Und die Muttersprache wirkt nur da mit unum¬
schränkter Alleinherrschaft, wo sie zugleich als Volkssprache das jugend¬
liche Ohr umrauscht. Die deutschen Poeten Prags haben eben so
viel slavisches, als czcchische Gelehrsamkeit und Bildung Deutsches
M sich hat. Ich rede hier nicht von Dilettanten und Virtuosen, du-,
wie überall, fertige Bilder und. Reflexionen in Reime fassen, ich
denke an Poeten aus innerem Drang. Die Jugendeindrücke dieser
Dichter stammen aus slavischem Volksleben; ihr Geist, ihre wissen¬
schaftliche Bildung ist deutsch; der Grundton ihrer Phantasie, ihres
Gemüths wird stets die Färbung ihrer ersten Erlebnisse behalten.
Physisches und geistiges Klima wirken nicht auf den Verstand, aber
auf Empsindungö- und Anschauungsweise; geht doch durch Lcnaü
und Beck'S Poesien ein Ton, der in Deutschland etwas fremd an¬
klingt, weil er ungarisch ist. - Wenn die Poeten selbst steh diese
Eigenthümlichkeit oft nicht bewußt sind oder bewußt werden wollen
so ist sie doch bei einer nicht blos ästhetischen Beurtheilung nicht z
übereen.




Dies könnte eine Zufälligkeit scheinen. Die Sache hat aber
eine tiefere Bedeutung. Elemente, die in ihrer rohen und ur¬
sprünglichen Gestalt sich abstoßen und befeinden, versöhnen sich oft
oder vertagen sich wenigstens, wenn sie in eine höhere Sphäre sich
entwickelt haben. Jener doppelfarbige Strahl deS' böhmischen Gei-
stes, welcher der „Libussa" einen so eigenthümlich fremdartigen Nerz
gibt, entspringt aus keiner Absteht, ist nicht künstlich hineingetragen,
er ist eine Naturnothwendigkeit. Die deutschböhmischcn und dre
ezechisch-böhmischen Poeten Prags werden stets etwas Gemein¬
ames

aen.
Ich habe den mir zugemessenen Raum anfangs zu sehr über¬
schritten, um diesmal auf die besondern Merkwürdigkeiten der „Llbussa,
Wie Mach«, Führich, Ebert eingehen zu können; ich schließe da¬
her nur mit einer allgemeinen Andeutung. Man wird zugeben, daß
die Sprache allein nicht den ganzen Dichter macht. Die Mutter¬
sprache ist ein lebendiger Strom, der Ideen und Anschauungen in du-
Seele des Dichters führt und die Wurzeln seines Geistes von Jugend
nuf tränkt; aber die Sprache nimmt auch wieder Eindrücke von der
Individualität des Dichters auf und pflanzt sie, wenn sie mächtig
sind, weiter fort. Und die Muttersprache wirkt nur da mit unum¬
schränkter Alleinherrschaft, wo sie zugleich als Volkssprache das jugend¬
liche Ohr umrauscht. Die deutschen Poeten Prags haben eben so
viel slavisches, als czcchische Gelehrsamkeit und Bildung Deutsches
M sich hat. Ich rede hier nicht von Dilettanten und Virtuosen, du-,
wie überall, fertige Bilder und. Reflexionen in Reime fassen, ich
denke an Poeten aus innerem Drang. Die Jugendeindrücke dieser
Dichter stammen aus slavischem Volksleben; ihr Geist, ihre wissen¬
schaftliche Bildung ist deutsch; der Grundton ihrer Phantasie, ihres
Gemüths wird stets die Färbung ihrer ersten Erlebnisse behalten.
Physisches und geistiges Klima wirken nicht auf den Verstand, aber
auf Empsindungö- und Anschauungsweise; geht doch durch Lcnaü
und Beck'S Poesien ein Ton, der in Deutschland etwas fremd an¬
klingt, weil er ungarisch ist. - Wenn die Poeten selbst steh diese
Eigenthümlichkeit oft nicht bewußt sind oder bewußt werden wollen
so ist sie doch bei einer nicht blos ästhetischen Beurtheilung nicht z
übereen.




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <div n="3">
              <pb facs="#f0037" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/179750"/>
              <p xml:id="ID_51"> Dies könnte eine Zufälligkeit scheinen. Die Sache hat aber<lb/>
eine tiefere Bedeutung. Elemente, die in ihrer rohen und ur¬<lb/>
sprünglichen Gestalt sich abstoßen und befeinden, versöhnen sich oft<lb/>
oder vertagen sich wenigstens, wenn sie in eine höhere Sphäre sich<lb/>
entwickelt haben. Jener doppelfarbige Strahl deS' böhmischen Gei-<lb/>
stes, welcher der &#x201E;Libussa" einen so eigenthümlich fremdartigen Nerz<lb/>
gibt, entspringt aus keiner Absteht, ist nicht künstlich hineingetragen,<lb/>
er ist eine Naturnothwendigkeit. Die deutschböhmischcn und dre<lb/>
ezechisch-böhmischen Poeten Prags werden stets etwas Gemein¬<lb/>
ames</p><lb/>
              <p xml:id="ID_52"> aen.<lb/>
Ich habe den mir zugemessenen Raum anfangs zu sehr über¬<lb/>
schritten, um diesmal auf die besondern Merkwürdigkeiten der &#x201E;Llbussa,<lb/>
Wie Mach«, Führich, Ebert eingehen zu können; ich schließe da¬<lb/>
her nur mit einer allgemeinen Andeutung.  Man wird zugeben, daß<lb/>
die Sprache allein nicht den ganzen Dichter macht.  Die Mutter¬<lb/>
sprache ist ein lebendiger Strom, der Ideen und Anschauungen in du-<lb/>
Seele des Dichters führt und die Wurzeln seines Geistes von Jugend<lb/>
nuf tränkt; aber die Sprache nimmt auch wieder Eindrücke von der<lb/>
Individualität des Dichters auf und pflanzt sie, wenn sie mächtig<lb/>
sind, weiter fort.  Und die Muttersprache wirkt nur da mit unum¬<lb/>
schränkter Alleinherrschaft, wo sie zugleich als Volkssprache das jugend¬<lb/>
liche Ohr umrauscht.  Die deutschen Poeten Prags haben eben so<lb/>
viel slavisches, als czcchische Gelehrsamkeit und Bildung Deutsches<lb/>
M sich hat.  Ich rede hier nicht von Dilettanten und Virtuosen, du-,<lb/>
wie überall, fertige Bilder und. Reflexionen in Reime fassen, ich<lb/>
denke an Poeten aus innerem Drang.  Die Jugendeindrücke dieser<lb/>
Dichter stammen aus slavischem Volksleben; ihr Geist, ihre wissen¬<lb/>
schaftliche Bildung ist deutsch; der Grundton ihrer Phantasie, ihres<lb/>
Gemüths wird stets die Färbung ihrer ersten Erlebnisse behalten.<lb/>
Physisches und geistiges Klima wirken nicht auf den Verstand, aber<lb/>
auf Empsindungö- und Anschauungsweise; geht doch durch Lcnaü<lb/>
und Beck'S Poesien ein Ton, der in Deutschland etwas fremd an¬<lb/>
klingt, weil er ungarisch ist.  - Wenn die Poeten selbst steh diese<lb/>
Eigenthümlichkeit oft nicht bewußt sind oder bewußt werden wollen<lb/>
so ist sie doch bei einer nicht blos ästhetischen Beurtheilung nicht z<lb/>
übereen.</p><lb/>
              <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0037] Dies könnte eine Zufälligkeit scheinen. Die Sache hat aber eine tiefere Bedeutung. Elemente, die in ihrer rohen und ur¬ sprünglichen Gestalt sich abstoßen und befeinden, versöhnen sich oft oder vertagen sich wenigstens, wenn sie in eine höhere Sphäre sich entwickelt haben. Jener doppelfarbige Strahl deS' böhmischen Gei- stes, welcher der „Libussa" einen so eigenthümlich fremdartigen Nerz gibt, entspringt aus keiner Absteht, ist nicht künstlich hineingetragen, er ist eine Naturnothwendigkeit. Die deutschböhmischcn und dre ezechisch-böhmischen Poeten Prags werden stets etwas Gemein¬ ames aen. Ich habe den mir zugemessenen Raum anfangs zu sehr über¬ schritten, um diesmal auf die besondern Merkwürdigkeiten der „Llbussa, Wie Mach«, Führich, Ebert eingehen zu können; ich schließe da¬ her nur mit einer allgemeinen Andeutung. Man wird zugeben, daß die Sprache allein nicht den ganzen Dichter macht. Die Mutter¬ sprache ist ein lebendiger Strom, der Ideen und Anschauungen in du- Seele des Dichters führt und die Wurzeln seines Geistes von Jugend nuf tränkt; aber die Sprache nimmt auch wieder Eindrücke von der Individualität des Dichters auf und pflanzt sie, wenn sie mächtig sind, weiter fort. Und die Muttersprache wirkt nur da mit unum¬ schränkter Alleinherrschaft, wo sie zugleich als Volkssprache das jugend¬ liche Ohr umrauscht. Die deutschen Poeten Prags haben eben so viel slavisches, als czcchische Gelehrsamkeit und Bildung Deutsches M sich hat. Ich rede hier nicht von Dilettanten und Virtuosen, du-, wie überall, fertige Bilder und. Reflexionen in Reime fassen, ich denke an Poeten aus innerem Drang. Die Jugendeindrücke dieser Dichter stammen aus slavischem Volksleben; ihr Geist, ihre wissen¬ schaftliche Bildung ist deutsch; der Grundton ihrer Phantasie, ihres Gemüths wird stets die Färbung ihrer ersten Erlebnisse behalten. Physisches und geistiges Klima wirken nicht auf den Verstand, aber auf Empsindungö- und Anschauungsweise; geht doch durch Lcnaü und Beck'S Poesien ein Ton, der in Deutschland etwas fremd an¬ klingt, weil er ungarisch ist. - Wenn die Poeten selbst steh diese Eigenthümlichkeit oft nicht bewußt sind oder bewußt werden wollen so ist sie doch bei einer nicht blos ästhetischen Beurtheilung nicht z übereen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/37
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/37>, abgerufen am 22.12.2024.