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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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Ich sprach mit Jakob über die verschiedenen schwierigen Stellen
und Wege, welche durch und über das Gebirge führen. Er war
auf den höchsten Gipfeln gewesen, auf schwindelnden Wegen hatte
er Gemsen und Wildschützen verfolgt, war in den Abgründen, am
Stricke sich thurmhoch herablassend, dem räuberischen Lämmergeier
bis in sein Nest nachgedrungen. Und von All dem sprach er, als
handle es sich um eine Promenade auf das Wasserglacis oder über
den Kohlmarkt und Graben, während unser Einem der kalte Schalter
dabei über den Rücken lief und blos vom Zuhören schon zu schwin¬
deln anfing. Endlich frug ich ihn, ob der schmale Steig über den
"Höllriegel" gefährlicher sei, als jener am "Schönbrett", oder durch
die Krautgarten, beim todten Hund, oder am Schafberg in der Vei¬
gerlplan, oder in der Hetz oder gar am heilen Oertl, wo man auf
einer Felsenkuppe, welche wie ein Dachgiebel auf beiden Seiten zwei
senkrechte Felswände von der Hoppelten, Höhe des Stephansthurmes
krönt, etwa fünfzig Schritte ->, <-kipp->,l fortrutschen muß. Er behaup¬
tete, im Sommer sei dies sehr leicht und gefahrlos, desto gefährlicher
im Winter, weil der Felsen glatt sei (ich aber nahm mir fest vor, zu
keiner Jahreszeit mich dort betreten zu lassen, ob nun der Felsen glatt
oder rauh sei; eben so leicht und gerne möchte ich auf der Galerie
des Stephansthurmes balanciren, wenn es nicht eben eisglatt ist).
-- Welches aber ist der Gang, mein lieber Jakob, der Euch am
schwersten gefallen ist, seit Ihr in diesen Gebirgen umhersteigt? --
Jakob dachte lange nach, plötzlich ward er ernst und blickte mich
wehmüthig an. -- Meinen schwersten Gang, lieber Herr, den habe
ich voriges Jahr gemacht, am Kreuz-Erhöhungstage wird es ein
Jahr, da bin ich hinabgestiegen in den Pfarrhof nach W . . ., und
als ich wieder heraufkam, da, glaubte ich, würd' ich das Haus nim¬
mer erreichen, meine Kniee brachen zusammen und meine Augen wa¬
ren so trüb, daß ich kaum den Weg noch finden mochte!

Verwundert blickte ich ihn an. Aber Jakob, warum ist denn
der Weg so schwer gewesen? Ich begreife wohl, daß es im Winter,
wenn der Schnee den Fußsteig verweht, zuweilen gefährlich und be¬
schwerlich sein mag, hinab- oder heraufzukommen; aber am Kreuz-
Erhöhungötage, da ist es ja schön und heiter im Gebirge, wie konnte
Euch denn der Weg so schwer vorkommen, wenn Ihr nicht etwa ein
Maßel Bairisches zu viel getrunken hättet? -- Nein, lieber Herr.


Ich sprach mit Jakob über die verschiedenen schwierigen Stellen
und Wege, welche durch und über das Gebirge führen. Er war
auf den höchsten Gipfeln gewesen, auf schwindelnden Wegen hatte
er Gemsen und Wildschützen verfolgt, war in den Abgründen, am
Stricke sich thurmhoch herablassend, dem räuberischen Lämmergeier
bis in sein Nest nachgedrungen. Und von All dem sprach er, als
handle es sich um eine Promenade auf das Wasserglacis oder über
den Kohlmarkt und Graben, während unser Einem der kalte Schalter
dabei über den Rücken lief und blos vom Zuhören schon zu schwin¬
deln anfing. Endlich frug ich ihn, ob der schmale Steig über den
„Höllriegel" gefährlicher sei, als jener am „Schönbrett", oder durch
die Krautgarten, beim todten Hund, oder am Schafberg in der Vei¬
gerlplan, oder in der Hetz oder gar am heilen Oertl, wo man auf
einer Felsenkuppe, welche wie ein Dachgiebel auf beiden Seiten zwei
senkrechte Felswände von der Hoppelten, Höhe des Stephansthurmes
krönt, etwa fünfzig Schritte ->, <-kipp->,l fortrutschen muß. Er behaup¬
tete, im Sommer sei dies sehr leicht und gefahrlos, desto gefährlicher
im Winter, weil der Felsen glatt sei (ich aber nahm mir fest vor, zu
keiner Jahreszeit mich dort betreten zu lassen, ob nun der Felsen glatt
oder rauh sei; eben so leicht und gerne möchte ich auf der Galerie
des Stephansthurmes balanciren, wenn es nicht eben eisglatt ist).
— Welches aber ist der Gang, mein lieber Jakob, der Euch am
schwersten gefallen ist, seit Ihr in diesen Gebirgen umhersteigt? —
Jakob dachte lange nach, plötzlich ward er ernst und blickte mich
wehmüthig an. — Meinen schwersten Gang, lieber Herr, den habe
ich voriges Jahr gemacht, am Kreuz-Erhöhungstage wird es ein
Jahr, da bin ich hinabgestiegen in den Pfarrhof nach W . . ., und
als ich wieder heraufkam, da, glaubte ich, würd' ich das Haus nim¬
mer erreichen, meine Kniee brachen zusammen und meine Augen wa¬
ren so trüb, daß ich kaum den Weg noch finden mochte!

Verwundert blickte ich ihn an. Aber Jakob, warum ist denn
der Weg so schwer gewesen? Ich begreife wohl, daß es im Winter,
wenn der Schnee den Fußsteig verweht, zuweilen gefährlich und be¬
schwerlich sein mag, hinab- oder heraufzukommen; aber am Kreuz-
Erhöhungötage, da ist es ja schön und heiter im Gebirge, wie konnte
Euch denn der Weg so schwer vorkommen, wenn Ihr nicht etwa ein
Maßel Bairisches zu viel getrunken hättet? — Nein, lieber Herr.


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[0352] Ich sprach mit Jakob über die verschiedenen schwierigen Stellen und Wege, welche durch und über das Gebirge führen. Er war auf den höchsten Gipfeln gewesen, auf schwindelnden Wegen hatte er Gemsen und Wildschützen verfolgt, war in den Abgründen, am Stricke sich thurmhoch herablassend, dem räuberischen Lämmergeier bis in sein Nest nachgedrungen. Und von All dem sprach er, als handle es sich um eine Promenade auf das Wasserglacis oder über den Kohlmarkt und Graben, während unser Einem der kalte Schalter dabei über den Rücken lief und blos vom Zuhören schon zu schwin¬ deln anfing. Endlich frug ich ihn, ob der schmale Steig über den „Höllriegel" gefährlicher sei, als jener am „Schönbrett", oder durch die Krautgarten, beim todten Hund, oder am Schafberg in der Vei¬ gerlplan, oder in der Hetz oder gar am heilen Oertl, wo man auf einer Felsenkuppe, welche wie ein Dachgiebel auf beiden Seiten zwei senkrechte Felswände von der Hoppelten, Höhe des Stephansthurmes krönt, etwa fünfzig Schritte ->, <-kipp->,l fortrutschen muß. Er behaup¬ tete, im Sommer sei dies sehr leicht und gefahrlos, desto gefährlicher im Winter, weil der Felsen glatt sei (ich aber nahm mir fest vor, zu keiner Jahreszeit mich dort betreten zu lassen, ob nun der Felsen glatt oder rauh sei; eben so leicht und gerne möchte ich auf der Galerie des Stephansthurmes balanciren, wenn es nicht eben eisglatt ist). — Welches aber ist der Gang, mein lieber Jakob, der Euch am schwersten gefallen ist, seit Ihr in diesen Gebirgen umhersteigt? — Jakob dachte lange nach, plötzlich ward er ernst und blickte mich wehmüthig an. — Meinen schwersten Gang, lieber Herr, den habe ich voriges Jahr gemacht, am Kreuz-Erhöhungstage wird es ein Jahr, da bin ich hinabgestiegen in den Pfarrhof nach W . . ., und als ich wieder heraufkam, da, glaubte ich, würd' ich das Haus nim¬ mer erreichen, meine Kniee brachen zusammen und meine Augen wa¬ ren so trüb, daß ich kaum den Weg noch finden mochte! Verwundert blickte ich ihn an. Aber Jakob, warum ist denn der Weg so schwer gewesen? Ich begreife wohl, daß es im Winter, wenn der Schnee den Fußsteig verweht, zuweilen gefährlich und be¬ schwerlich sein mag, hinab- oder heraufzukommen; aber am Kreuz- Erhöhungötage, da ist es ja schön und heiter im Gebirge, wie konnte Euch denn der Weg so schwer vorkommen, wenn Ihr nicht etwa ein Maßel Bairisches zu viel getrunken hättet? — Nein, lieber Herr.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/352>, abgerufen am 26.06.2024.