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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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um von seiner Bastardnatur sich je befreien zu können. Wie der
deutsche Bund ein eklektisches Gewimmel von Verfassungen uno Rech^
im ist, so wird auch das deutsche Theater stets eine potric!", von
französischen, englischen und spanischen Elementen bleiben. Politik und
Bühne sind zwei genau zusammenhängende Dinge. Ich fürchte,
Deutschland wird noch russische Dramen auf seiner Bühne sehen müs¬
sen, ehe es sich selbst findet.

Die Emigration deutscher Literaten nach Paris nimmt immer
mehr und mehr zu. Ich könnte Ihnen ein hübsches Häuflein mit
Namen aufzählen, wenn es überhaupt Namen wären. Leider sind eS
meist Mittelmäßigkeiten und oft noch viel weniger als solche, die aben¬
teuerlich hier ihr Glück suche", ohne durch Kenntnisse oder Talent eine
Berechtigung auf ein solches zu haben. Zählen Sie die Schriftsteller,
die seit Börne und Heine hier angekommen, und überschauen Sie die
Productionen. zu welchen diese Stadt voll ununterbrochener Anregun¬
gen sie gestachelt hat. In Gegenwart der modernsten und prodnctiv-
stcn Bühne der Welt -- hat ein Einziger von ihnen zu irgend einer
ausgezeichneten dramatischen Dichtung den Geist gefunden? In Mitte
der raffinirtesten Romandichter der Neuzeit, in der Nähe der Sand, an
der Werkstätte Balzac's, welches deutsche Talent hat sich hier entzündet,
ja welcher glückliche Nachahmer ist von hier ausgegangen? Der deutsche
Schriftsteller zieht nach Paris, wie der Maler nach Rom zieht; aber
statt ein Rom zu finden, findet er ein Capua. Ungewohnt des gro߬
städtischen treibenden Lebens, sinkt er in seine Wellen, ohne den
Strom bemeistern zu können. Betäubt folgt er dem Genuß, der Zer¬
streuung, Frankreich wird ihm interessanter alö Deutschland und wenn
er sich nach dem langen Taumel aufraffen will, ist es gewöhnlich zu
spät. Der frische ursprüngliche Geist in ihm ist verdampft; er ist eine
Kohle geworden. Ich spreche hier "och von den Besseren, deren Glncks-
und Gcistcöumstäude sie nicht von vorn herein zu Handlangern und
Tagelöhnern verdammte. Und doch ist die Zahl der Letzten die über¬
wiegende. Welch ein Heer von Uebcrsetzcrn und Corrcfpondcnzfabri-
cantcn brütet dieser Sand aus. Wüßte mau in Deutschland, aus
welchen Quellen die Zeitungen oft ihre Nachrichten schöpfen -- ich will
diese Wunde nicht aufdecken; die deutsche Journalistik leidet ohnehin
eben nicht an Ueberfluß von Achtung. Gewissenlos aber ist es von
gewissen deutschen Redactionen, die ihre Korrespondenten wie eine über¬
müthige Hausfrau ihre Dienstboten wechseln und dadurch Manchen in
Noth und Elend versetzen, der, sich auf ihre Zuschrift verlassend, seine
andern Beschäftigungen aufgegeben hat. Derlei abgedankte und ver¬
lassene Correspondenten hat namentlich die Augsburger viele auf ihrem
Gewissen, und sie kann zu ihren stillen Sünden auch die zählen, die
Verzweiflung manches jungen Deutschen in Paris veranlaßt zu haben.
Gerade sie, die conservative, ist in dieser Beziehung am wenigsten con-


um von seiner Bastardnatur sich je befreien zu können. Wie der
deutsche Bund ein eklektisches Gewimmel von Verfassungen uno Rech^
im ist, so wird auch das deutsche Theater stets eine potric!», von
französischen, englischen und spanischen Elementen bleiben. Politik und
Bühne sind zwei genau zusammenhängende Dinge. Ich fürchte,
Deutschland wird noch russische Dramen auf seiner Bühne sehen müs¬
sen, ehe es sich selbst findet.

Die Emigration deutscher Literaten nach Paris nimmt immer
mehr und mehr zu. Ich könnte Ihnen ein hübsches Häuflein mit
Namen aufzählen, wenn es überhaupt Namen wären. Leider sind eS
meist Mittelmäßigkeiten und oft noch viel weniger als solche, die aben¬
teuerlich hier ihr Glück suche», ohne durch Kenntnisse oder Talent eine
Berechtigung auf ein solches zu haben. Zählen Sie die Schriftsteller,
die seit Börne und Heine hier angekommen, und überschauen Sie die
Productionen. zu welchen diese Stadt voll ununterbrochener Anregun¬
gen sie gestachelt hat. In Gegenwart der modernsten und prodnctiv-
stcn Bühne der Welt — hat ein Einziger von ihnen zu irgend einer
ausgezeichneten dramatischen Dichtung den Geist gefunden? In Mitte
der raffinirtesten Romandichter der Neuzeit, in der Nähe der Sand, an
der Werkstätte Balzac's, welches deutsche Talent hat sich hier entzündet,
ja welcher glückliche Nachahmer ist von hier ausgegangen? Der deutsche
Schriftsteller zieht nach Paris, wie der Maler nach Rom zieht; aber
statt ein Rom zu finden, findet er ein Capua. Ungewohnt des gro߬
städtischen treibenden Lebens, sinkt er in seine Wellen, ohne den
Strom bemeistern zu können. Betäubt folgt er dem Genuß, der Zer¬
streuung, Frankreich wird ihm interessanter alö Deutschland und wenn
er sich nach dem langen Taumel aufraffen will, ist es gewöhnlich zu
spät. Der frische ursprüngliche Geist in ihm ist verdampft; er ist eine
Kohle geworden. Ich spreche hier »och von den Besseren, deren Glncks-
und Gcistcöumstäude sie nicht von vorn herein zu Handlangern und
Tagelöhnern verdammte. Und doch ist die Zahl der Letzten die über¬
wiegende. Welch ein Heer von Uebcrsetzcrn und Corrcfpondcnzfabri-
cantcn brütet dieser Sand aus. Wüßte mau in Deutschland, aus
welchen Quellen die Zeitungen oft ihre Nachrichten schöpfen — ich will
diese Wunde nicht aufdecken; die deutsche Journalistik leidet ohnehin
eben nicht an Ueberfluß von Achtung. Gewissenlos aber ist es von
gewissen deutschen Redactionen, die ihre Korrespondenten wie eine über¬
müthige Hausfrau ihre Dienstboten wechseln und dadurch Manchen in
Noth und Elend versetzen, der, sich auf ihre Zuschrift verlassend, seine
andern Beschäftigungen aufgegeben hat. Derlei abgedankte und ver¬
lassene Correspondenten hat namentlich die Augsburger viele auf ihrem
Gewissen, und sie kann zu ihren stillen Sünden auch die zählen, die
Verzweiflung manches jungen Deutschen in Paris veranlaßt zu haben.
Gerade sie, die conservative, ist in dieser Beziehung am wenigsten con-


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[0267] um von seiner Bastardnatur sich je befreien zu können. Wie der deutsche Bund ein eklektisches Gewimmel von Verfassungen uno Rech^ im ist, so wird auch das deutsche Theater stets eine potric!», von französischen, englischen und spanischen Elementen bleiben. Politik und Bühne sind zwei genau zusammenhängende Dinge. Ich fürchte, Deutschland wird noch russische Dramen auf seiner Bühne sehen müs¬ sen, ehe es sich selbst findet. Die Emigration deutscher Literaten nach Paris nimmt immer mehr und mehr zu. Ich könnte Ihnen ein hübsches Häuflein mit Namen aufzählen, wenn es überhaupt Namen wären. Leider sind eS meist Mittelmäßigkeiten und oft noch viel weniger als solche, die aben¬ teuerlich hier ihr Glück suche», ohne durch Kenntnisse oder Talent eine Berechtigung auf ein solches zu haben. Zählen Sie die Schriftsteller, die seit Börne und Heine hier angekommen, und überschauen Sie die Productionen. zu welchen diese Stadt voll ununterbrochener Anregun¬ gen sie gestachelt hat. In Gegenwart der modernsten und prodnctiv- stcn Bühne der Welt — hat ein Einziger von ihnen zu irgend einer ausgezeichneten dramatischen Dichtung den Geist gefunden? In Mitte der raffinirtesten Romandichter der Neuzeit, in der Nähe der Sand, an der Werkstätte Balzac's, welches deutsche Talent hat sich hier entzündet, ja welcher glückliche Nachahmer ist von hier ausgegangen? Der deutsche Schriftsteller zieht nach Paris, wie der Maler nach Rom zieht; aber statt ein Rom zu finden, findet er ein Capua. Ungewohnt des gro߬ städtischen treibenden Lebens, sinkt er in seine Wellen, ohne den Strom bemeistern zu können. Betäubt folgt er dem Genuß, der Zer¬ streuung, Frankreich wird ihm interessanter alö Deutschland und wenn er sich nach dem langen Taumel aufraffen will, ist es gewöhnlich zu spät. Der frische ursprüngliche Geist in ihm ist verdampft; er ist eine Kohle geworden. Ich spreche hier »och von den Besseren, deren Glncks- und Gcistcöumstäude sie nicht von vorn herein zu Handlangern und Tagelöhnern verdammte. Und doch ist die Zahl der Letzten die über¬ wiegende. Welch ein Heer von Uebcrsetzcrn und Corrcfpondcnzfabri- cantcn brütet dieser Sand aus. Wüßte mau in Deutschland, aus welchen Quellen die Zeitungen oft ihre Nachrichten schöpfen — ich will diese Wunde nicht aufdecken; die deutsche Journalistik leidet ohnehin eben nicht an Ueberfluß von Achtung. Gewissenlos aber ist es von gewissen deutschen Redactionen, die ihre Korrespondenten wie eine über¬ müthige Hausfrau ihre Dienstboten wechseln und dadurch Manchen in Noth und Elend versetzen, der, sich auf ihre Zuschrift verlassend, seine andern Beschäftigungen aufgegeben hat. Derlei abgedankte und ver¬ lassene Correspondenten hat namentlich die Augsburger viele auf ihrem Gewissen, und sie kann zu ihren stillen Sünden auch die zählen, die Verzweiflung manches jungen Deutschen in Paris veranlaßt zu haben. Gerade sie, die conservative, ist in dieser Beziehung am wenigsten con-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/267>, abgerufen am 26.06.2024.