hinter deren erkünstelter Bescheidenheit sich die Anmaßung und der rohe Dünkel des Geldes schlecht verbarg, glänzende Toiletten, präch¬ tiges Geschirr, guten Thee, auch gute Speisen und Weine, aber kein einziges vernünftiges Wort, kein Wort von allgemeinerem geistigem Interesse (wenn man nicht einen kurzen Streit, ob es Augenbrauen oder Braunen heiße, dahin rechnen will), nicht einmal, wie man in solchem Zirkel doch gewöhnlich erwartet, ein schiefes Urtheil über Musik oder über Theater und Literatur.
Man denke sich nun die Lage eines blutfrcmden jungen Mannes, der, an eine heitre und gediegene Geselligkeit gewöhnt und mit na¬ türlicher Lebhaftigkeit begabt, plötzlich in solchen Kreis hineingefahren wird und mehrere Stunden hintereinander steif und stumm fast auf einem und demselben Stuhle zubringen muß, nicht aufstehen, kein lei¬ ses Zeichen seines Unbehagens äußern, nicht einmal verstohlen gäh¬ nen darf. Mit Sturmschritten eilte ich nun durch die Straßen. Jün¬ ger und daher auch reizbarer gegen solche Eindrücke, war meine ganze Menschlichkeit empört; hätte ich einen Ort gewußt, wo ich in der wildesten Lust mich für die ausgestandene Vornehmthuerei hätte ent¬ schädigen können, ich wäre noch eine Meile weit gelaufen, aber ich war ja fremd und unbekannt in der großen, weiten Stadt. Meine einsame Wohnung schien mir jetzt ein Paradies. Dort angelangt, fand ich meine Stube verschlossen und mußte daher an der Thür meines Wirths klingeln, in dessen Fenstern ich vom Flur aus noch Licht sah. Da hatte ich das Vergnügen, Herrn Thümmel zum ersten Male zu erblicken, eine kleine, dünne, reinliche Schneidersigur in Ne¬ glige. Er bat mich freundlich, doch einen Augenblick näher zu tre¬ ten, da seine Frau den Schlüssel verlegt habe und schon lange suche. Durch die Küche trat ich in ein kleines reinliches Zimmer, wo ich die Familie Thümmel, die Mutter und drei Töchter, obwohl es bald Mitternacht war, noch fleißig nähend beisammen fand. Das Stübchen war nicht sehr reich meublirt und halte nicht einmal ein Sopha. Die Damen erhoben sich bei meinem Eintritt etwas ver¬ legen, fingen an zu suchen und baten mich, mich doch einstweilen bei ihnen niederzulassen. Ich folgte, da ich erschöpft war und Zeit genug gehabt hatte, die von meinem Landsmann gerühmte Schönheit der drei armen Bürgermädchen zu bewundern, dieser Einladung nicht un¬ gern. Solche Blumen, dachte ich, blühen also hier unbemerkt in den
hinter deren erkünstelter Bescheidenheit sich die Anmaßung und der rohe Dünkel des Geldes schlecht verbarg, glänzende Toiletten, präch¬ tiges Geschirr, guten Thee, auch gute Speisen und Weine, aber kein einziges vernünftiges Wort, kein Wort von allgemeinerem geistigem Interesse (wenn man nicht einen kurzen Streit, ob es Augenbrauen oder Braunen heiße, dahin rechnen will), nicht einmal, wie man in solchem Zirkel doch gewöhnlich erwartet, ein schiefes Urtheil über Musik oder über Theater und Literatur.
Man denke sich nun die Lage eines blutfrcmden jungen Mannes, der, an eine heitre und gediegene Geselligkeit gewöhnt und mit na¬ türlicher Lebhaftigkeit begabt, plötzlich in solchen Kreis hineingefahren wird und mehrere Stunden hintereinander steif und stumm fast auf einem und demselben Stuhle zubringen muß, nicht aufstehen, kein lei¬ ses Zeichen seines Unbehagens äußern, nicht einmal verstohlen gäh¬ nen darf. Mit Sturmschritten eilte ich nun durch die Straßen. Jün¬ ger und daher auch reizbarer gegen solche Eindrücke, war meine ganze Menschlichkeit empört; hätte ich einen Ort gewußt, wo ich in der wildesten Lust mich für die ausgestandene Vornehmthuerei hätte ent¬ schädigen können, ich wäre noch eine Meile weit gelaufen, aber ich war ja fremd und unbekannt in der großen, weiten Stadt. Meine einsame Wohnung schien mir jetzt ein Paradies. Dort angelangt, fand ich meine Stube verschlossen und mußte daher an der Thür meines Wirths klingeln, in dessen Fenstern ich vom Flur aus noch Licht sah. Da hatte ich das Vergnügen, Herrn Thümmel zum ersten Male zu erblicken, eine kleine, dünne, reinliche Schneidersigur in Ne¬ glige. Er bat mich freundlich, doch einen Augenblick näher zu tre¬ ten, da seine Frau den Schlüssel verlegt habe und schon lange suche. Durch die Küche trat ich in ein kleines reinliches Zimmer, wo ich die Familie Thümmel, die Mutter und drei Töchter, obwohl es bald Mitternacht war, noch fleißig nähend beisammen fand. Das Stübchen war nicht sehr reich meublirt und halte nicht einmal ein Sopha. Die Damen erhoben sich bei meinem Eintritt etwas ver¬ legen, fingen an zu suchen und baten mich, mich doch einstweilen bei ihnen niederzulassen. Ich folgte, da ich erschöpft war und Zeit genug gehabt hatte, die von meinem Landsmann gerühmte Schönheit der drei armen Bürgermädchen zu bewundern, dieser Einladung nicht un¬ gern. Solche Blumen, dachte ich, blühen also hier unbemerkt in den
<TEI><text><body><div><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0242"corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/179955"/><pxml:id="ID_622"prev="#ID_621"> hinter deren erkünstelter Bescheidenheit sich die Anmaßung und der<lb/>
rohe Dünkel des Geldes schlecht verbarg, glänzende Toiletten, präch¬<lb/>
tiges Geschirr, guten Thee, auch gute Speisen und Weine, aber kein<lb/>
einziges vernünftiges Wort, kein Wort von allgemeinerem geistigem<lb/>
Interesse (wenn man nicht einen kurzen Streit, ob es Augenbrauen<lb/>
oder Braunen heiße, dahin rechnen will), nicht einmal, wie man in<lb/>
solchem Zirkel doch gewöhnlich erwartet, ein schiefes Urtheil über<lb/>
Musik oder über Theater und Literatur.</p><lb/><pxml:id="ID_623"next="#ID_624"> Man denke sich nun die Lage eines blutfrcmden jungen Mannes,<lb/>
der, an eine heitre und gediegene Geselligkeit gewöhnt und mit na¬<lb/>
türlicher Lebhaftigkeit begabt, plötzlich in solchen Kreis hineingefahren<lb/>
wird und mehrere Stunden hintereinander steif und stumm fast auf<lb/>
einem und demselben Stuhle zubringen muß, nicht aufstehen, kein lei¬<lb/>
ses Zeichen seines Unbehagens äußern, nicht einmal verstohlen gäh¬<lb/>
nen darf. Mit Sturmschritten eilte ich nun durch die Straßen. Jün¬<lb/>
ger und daher auch reizbarer gegen solche Eindrücke, war meine ganze<lb/>
Menschlichkeit empört; hätte ich einen Ort gewußt, wo ich in der<lb/>
wildesten Lust mich für die ausgestandene Vornehmthuerei hätte ent¬<lb/>
schädigen können, ich wäre noch eine Meile weit gelaufen, aber ich<lb/>
war ja fremd und unbekannt in der großen, weiten Stadt. Meine<lb/>
einsame Wohnung schien mir jetzt ein Paradies. Dort angelangt,<lb/>
fand ich meine Stube verschlossen und mußte daher an der Thür<lb/>
meines Wirths klingeln, in dessen Fenstern ich vom Flur aus noch<lb/>
Licht sah. Da hatte ich das Vergnügen, Herrn Thümmel zum ersten<lb/>
Male zu erblicken, eine kleine, dünne, reinliche Schneidersigur in Ne¬<lb/>
glige. Er bat mich freundlich, doch einen Augenblick näher zu tre¬<lb/>
ten, da seine Frau den Schlüssel verlegt habe und schon lange suche.<lb/>
Durch die Küche trat ich in ein kleines reinliches Zimmer, wo ich<lb/>
die Familie Thümmel, die Mutter und drei Töchter, obwohl es<lb/>
bald Mitternacht war, noch fleißig nähend beisammen fand. Das<lb/>
Stübchen war nicht sehr reich meublirt und halte nicht einmal ein<lb/>
Sopha. Die Damen erhoben sich bei meinem Eintritt etwas ver¬<lb/>
legen, fingen an zu suchen und baten mich, mich doch einstweilen bei<lb/>
ihnen niederzulassen. Ich folgte, da ich erschöpft war und Zeit genug<lb/>
gehabt hatte, die von meinem Landsmann gerühmte Schönheit der<lb/>
drei armen Bürgermädchen zu bewundern, dieser Einladung nicht un¬<lb/>
gern. Solche Blumen, dachte ich, blühen also hier unbemerkt in den</p><lb/></div></div></div></body></text></TEI>
[0242]
hinter deren erkünstelter Bescheidenheit sich die Anmaßung und der
rohe Dünkel des Geldes schlecht verbarg, glänzende Toiletten, präch¬
tiges Geschirr, guten Thee, auch gute Speisen und Weine, aber kein
einziges vernünftiges Wort, kein Wort von allgemeinerem geistigem
Interesse (wenn man nicht einen kurzen Streit, ob es Augenbrauen
oder Braunen heiße, dahin rechnen will), nicht einmal, wie man in
solchem Zirkel doch gewöhnlich erwartet, ein schiefes Urtheil über
Musik oder über Theater und Literatur.
Man denke sich nun die Lage eines blutfrcmden jungen Mannes,
der, an eine heitre und gediegene Geselligkeit gewöhnt und mit na¬
türlicher Lebhaftigkeit begabt, plötzlich in solchen Kreis hineingefahren
wird und mehrere Stunden hintereinander steif und stumm fast auf
einem und demselben Stuhle zubringen muß, nicht aufstehen, kein lei¬
ses Zeichen seines Unbehagens äußern, nicht einmal verstohlen gäh¬
nen darf. Mit Sturmschritten eilte ich nun durch die Straßen. Jün¬
ger und daher auch reizbarer gegen solche Eindrücke, war meine ganze
Menschlichkeit empört; hätte ich einen Ort gewußt, wo ich in der
wildesten Lust mich für die ausgestandene Vornehmthuerei hätte ent¬
schädigen können, ich wäre noch eine Meile weit gelaufen, aber ich
war ja fremd und unbekannt in der großen, weiten Stadt. Meine
einsame Wohnung schien mir jetzt ein Paradies. Dort angelangt,
fand ich meine Stube verschlossen und mußte daher an der Thür
meines Wirths klingeln, in dessen Fenstern ich vom Flur aus noch
Licht sah. Da hatte ich das Vergnügen, Herrn Thümmel zum ersten
Male zu erblicken, eine kleine, dünne, reinliche Schneidersigur in Ne¬
glige. Er bat mich freundlich, doch einen Augenblick näher zu tre¬
ten, da seine Frau den Schlüssel verlegt habe und schon lange suche.
Durch die Küche trat ich in ein kleines reinliches Zimmer, wo ich
die Familie Thümmel, die Mutter und drei Töchter, obwohl es
bald Mitternacht war, noch fleißig nähend beisammen fand. Das
Stübchen war nicht sehr reich meublirt und halte nicht einmal ein
Sopha. Die Damen erhoben sich bei meinem Eintritt etwas ver¬
legen, fingen an zu suchen und baten mich, mich doch einstweilen bei
ihnen niederzulassen. Ich folgte, da ich erschöpft war und Zeit genug
gehabt hatte, die von meinem Landsmann gerühmte Schönheit der
drei armen Bürgermädchen zu bewundern, dieser Einladung nicht un¬
gern. Solche Blumen, dachte ich, blühen also hier unbemerkt in den
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:
Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.
Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;
Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/242>, abgerufen am 05.01.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.