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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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doch steckt zu viel > kritisches Element darin/ um der Poesie vollkommen
zuzusagen. Es gäbe einen verdrehten Faust, wofern man das mephi¬
stophelische Wesen, bete Zweifler, zum Helden stempelte. Mir scheint,
daß der Gegenstand dem modernen Bewußtsein nicht mehr gewachsen ist;
die Opposition gegen den Lauf der Weltgeschichte ist im Gedanken über¬
wunden, der Gott der Geschichte ist anerkannt. Wozu also die Frage,
bei der Witz und Verstocktheit gleiche Rolle haben, noch einmal abspin¬
nen? In der Region der Weltschmerzler, der in der Geschichte Unheim¬
lichen, könnte der Ahasver einen entsetzlichen Effekt machen; zumal, wenn
eilt gewandter Poet darauf verfallen sollte, dem verhärteten Spötter
Recht zu geben, und so den Bau unserer Jahrtausende in Brand zu
stecken.

In die Jahre, wo Göthe seine vollendetsten iSchöpfungeN in die
Welt sandte, greift Schillers erstes Auftreten, der sofort als Freund
der Nation begrüßt ward. Schon aus Schillers Jugendgesängen spricht
jener //Römersinn und Freiheitseifer, jene männische Natur,,, wovon alle
Bue Dramen Zeugniß geben. Aus allem Drang, aus allen Leiden¬
schaften seines durch äußern Druck gespornten Geistes, ging diese dich¬
tende Willensnatur kräftig und heil hervor; immer blieb ihn: der //Ge¬
gensatz gegen die gemeine Welt", auch die Fressinnigkeit, ohne Modeli-
beralismuS und Ncvolutionstaumel. In den drei ersten Werken vari-ire'
Schiller, nach Gervinus, den Freiheitsgedanken auf folgende'Weise: in
den Räubern erscheint-der //Gegensatz gegen die umgrenzende'Welt, die
Zerrüttung' des Familienlebens//'; im Fiesko die //Zerrüttung deS Staats-
lebens//'; in Kabale und Liebe die //Kluft der Stände, Ac Zerrüttung
des Hoflebens". Von da bis zum Don Carlos ist scholl, in Betracht,
der Kunst'-, ein großer Abstand. Schiller wollte im Don Carlos //an
die ästhetische Bildung die politische der Natioti anknüpfen". Denn schon da-,
mals'hegte Schiller den Höhen Begriff von der Kunst, wie er ihn Spa-,
ter in seinen ästhetischen Schriften entwickelte, //daß ihr die Würde der
Menschheit in die Hand gegeben sei//. Für ihn war Geschichte Und Phi¬
losophie, Was'- für Göthen die Betrachtung der Natur und bildenden
Kunst, und dies führte Schillern zu der regen Theilnahme für' die of--
ftMche Welt, was ihn vor Göthen auszeichnete/ und ihn in der' Liebe
des Volkes höher als diesen? gestellt hat. --

Der nächste Abschnitt giebt eine Uebersicht der schönen Prosa,
der RoMMeMur', vornehmlich der humoristischen Romane. .Un¬
ter allen Me Licht-eüberg heraus/ Während Lear Haut^zurMgesetzt


doch steckt zu viel > kritisches Element darin/ um der Poesie vollkommen
zuzusagen. Es gäbe einen verdrehten Faust, wofern man das mephi¬
stophelische Wesen, bete Zweifler, zum Helden stempelte. Mir scheint,
daß der Gegenstand dem modernen Bewußtsein nicht mehr gewachsen ist;
die Opposition gegen den Lauf der Weltgeschichte ist im Gedanken über¬
wunden, der Gott der Geschichte ist anerkannt. Wozu also die Frage,
bei der Witz und Verstocktheit gleiche Rolle haben, noch einmal abspin¬
nen? In der Region der Weltschmerzler, der in der Geschichte Unheim¬
lichen, könnte der Ahasver einen entsetzlichen Effekt machen; zumal, wenn
eilt gewandter Poet darauf verfallen sollte, dem verhärteten Spötter
Recht zu geben, und so den Bau unserer Jahrtausende in Brand zu
stecken.

In die Jahre, wo Göthe seine vollendetsten iSchöpfungeN in die
Welt sandte, greift Schillers erstes Auftreten, der sofort als Freund
der Nation begrüßt ward. Schon aus Schillers Jugendgesängen spricht
jener //Römersinn und Freiheitseifer, jene männische Natur,,, wovon alle
Bue Dramen Zeugniß geben. Aus allem Drang, aus allen Leiden¬
schaften seines durch äußern Druck gespornten Geistes, ging diese dich¬
tende Willensnatur kräftig und heil hervor; immer blieb ihn: der //Ge¬
gensatz gegen die gemeine Welt", auch die Fressinnigkeit, ohne Modeli-
beralismuS und Ncvolutionstaumel. In den drei ersten Werken vari-ire'
Schiller, nach Gervinus, den Freiheitsgedanken auf folgende'Weise: in
den Räubern erscheint-der //Gegensatz gegen die umgrenzende'Welt, die
Zerrüttung' des Familienlebens//'; im Fiesko die //Zerrüttung deS Staats-
lebens//'; in Kabale und Liebe die //Kluft der Stände, Ac Zerrüttung
des Hoflebens". Von da bis zum Don Carlos ist scholl, in Betracht,
der Kunst'-, ein großer Abstand. Schiller wollte im Don Carlos //an
die ästhetische Bildung die politische der Natioti anknüpfen". Denn schon da-,
mals'hegte Schiller den Höhen Begriff von der Kunst, wie er ihn Spa-,
ter in seinen ästhetischen Schriften entwickelte, //daß ihr die Würde der
Menschheit in die Hand gegeben sei//. Für ihn war Geschichte Und Phi¬
losophie, Was'- für Göthen die Betrachtung der Natur und bildenden
Kunst, und dies führte Schillern zu der regen Theilnahme für' die of--
ftMche Welt, was ihn vor Göthen auszeichnete/ und ihn in der' Liebe
des Volkes höher als diesen? gestellt hat. —

Der nächste Abschnitt giebt eine Uebersicht der schönen Prosa,
der RoMMeMur', vornehmlich der humoristischen Romane. .Un¬
ter allen Me Licht-eüberg heraus/ Während Lear Haut^zurMgesetzt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/99>, abgerufen am 23.07.2024.