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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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die Scene gewesen sein, die die Flamme hier aufgeführt, unersättlich die
Wuth, mit der sie verheert. Alles in Schmelz und Muth, alles in
Brand; nichts ihr heilig, nichts unerreichbar. Ueber die Tasten der Or¬
gel hinweg, wie über das Glockenspiel, die Altardecke wie das Heiligen¬
bild, das Räucherbecken wie den Kronleuchter, Alles, Alles hinweg.
Nein ab, bis auf den Boden, und unter den Boden; das ist
das Gräßlichste von Allem. Beide Kirchen speien ihre Gräber aus.
Wenn man hineinschreitet, wird die größte Vorsicht erforderlich, von
oben droht das hängende Gemäuer und von unten klaffen die hohlen
Gräber. Das gynze Schiff ist unterminirt mit ausgemauerten Grab¬
stätten, die von den stürzenden Steinen und Ständern aufgerissen wur¬
den. Man denke sich dies neue Schauspiel; am Tage des jüngsten Ge¬
richts kann es nicht wilder hergehen sollen, als in der Stunde, in wel¬
cher den Gräbern das Siegel entrissen wurde. Das Auge starrt auf
die eingeäscherten Knochen; hie und da hat sich die Flamme vom Gra¬
besdunst ersticken lassen. Die Särge sind wohlerhalten, aber durchbro¬
chen; darinnen sieht man die Todtenköpfe und Gerippe, angethan mit
gelber, glänzender Seide, einige kahl, andere mit langen, schönen Haa¬
ren. Steingerölle und geschleuderte Ständer haben ihre Ruhe mit kra¬
chendem Getöse unterbrochen, ihre gefallenen Hände nuSeinandergerissen,
ihr Todtenhemde versengt. Wie tief sie auch liegen mochten, dieser furcht¬
bare Todtengräber fand sie, heraus. Man fand in jener Nacht auf
einem der Markte eine Frau, die vom Schreck und Entsetzen todt er¬
starrt auf der Erde saß; vielleicht hatte sie einen Blick in diesen Gräuel
gethan, dessen bloße Vorstellung hinreichend war, das Haar zu Berge
zu sträuben. Thatsache ist, daß viele KmsKes emielles in den Tagen
der Angst stattgefunden haben; die armen Wöchnerinnen lagen theilweise
unter Gottes freiem Himmel in Wind und Wetter. Im Allgemeinen
darf man sagen, Alle, die an dieser Schreckenszeit Theil hatten, sind um
Jahre älter geworden^ -




die Scene gewesen sein, die die Flamme hier aufgeführt, unersättlich die
Wuth, mit der sie verheert. Alles in Schmelz und Muth, alles in
Brand; nichts ihr heilig, nichts unerreichbar. Ueber die Tasten der Or¬
gel hinweg, wie über das Glockenspiel, die Altardecke wie das Heiligen¬
bild, das Räucherbecken wie den Kronleuchter, Alles, Alles hinweg.
Nein ab, bis auf den Boden, und unter den Boden; das ist
das Gräßlichste von Allem. Beide Kirchen speien ihre Gräber aus.
Wenn man hineinschreitet, wird die größte Vorsicht erforderlich, von
oben droht das hängende Gemäuer und von unten klaffen die hohlen
Gräber. Das gynze Schiff ist unterminirt mit ausgemauerten Grab¬
stätten, die von den stürzenden Steinen und Ständern aufgerissen wur¬
den. Man denke sich dies neue Schauspiel; am Tage des jüngsten Ge¬
richts kann es nicht wilder hergehen sollen, als in der Stunde, in wel¬
cher den Gräbern das Siegel entrissen wurde. Das Auge starrt auf
die eingeäscherten Knochen; hie und da hat sich die Flamme vom Gra¬
besdunst ersticken lassen. Die Särge sind wohlerhalten, aber durchbro¬
chen; darinnen sieht man die Todtenköpfe und Gerippe, angethan mit
gelber, glänzender Seide, einige kahl, andere mit langen, schönen Haa¬
ren. Steingerölle und geschleuderte Ständer haben ihre Ruhe mit kra¬
chendem Getöse unterbrochen, ihre gefallenen Hände nuSeinandergerissen,
ihr Todtenhemde versengt. Wie tief sie auch liegen mochten, dieser furcht¬
bare Todtengräber fand sie, heraus. Man fand in jener Nacht auf
einem der Markte eine Frau, die vom Schreck und Entsetzen todt er¬
starrt auf der Erde saß; vielleicht hatte sie einen Blick in diesen Gräuel
gethan, dessen bloße Vorstellung hinreichend war, das Haar zu Berge
zu sträuben. Thatsache ist, daß viele KmsKes emielles in den Tagen
der Angst stattgefunden haben; die armen Wöchnerinnen lagen theilweise
unter Gottes freiem Himmel in Wind und Wetter. Im Allgemeinen
darf man sagen, Alle, die an dieser Schreckenszeit Theil hatten, sind um
Jahre älter geworden^ -




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[0601] die Scene gewesen sein, die die Flamme hier aufgeführt, unersättlich die Wuth, mit der sie verheert. Alles in Schmelz und Muth, alles in Brand; nichts ihr heilig, nichts unerreichbar. Ueber die Tasten der Or¬ gel hinweg, wie über das Glockenspiel, die Altardecke wie das Heiligen¬ bild, das Räucherbecken wie den Kronleuchter, Alles, Alles hinweg. Nein ab, bis auf den Boden, und unter den Boden; das ist das Gräßlichste von Allem. Beide Kirchen speien ihre Gräber aus. Wenn man hineinschreitet, wird die größte Vorsicht erforderlich, von oben droht das hängende Gemäuer und von unten klaffen die hohlen Gräber. Das gynze Schiff ist unterminirt mit ausgemauerten Grab¬ stätten, die von den stürzenden Steinen und Ständern aufgerissen wur¬ den. Man denke sich dies neue Schauspiel; am Tage des jüngsten Ge¬ richts kann es nicht wilder hergehen sollen, als in der Stunde, in wel¬ cher den Gräbern das Siegel entrissen wurde. Das Auge starrt auf die eingeäscherten Knochen; hie und da hat sich die Flamme vom Gra¬ besdunst ersticken lassen. Die Särge sind wohlerhalten, aber durchbro¬ chen; darinnen sieht man die Todtenköpfe und Gerippe, angethan mit gelber, glänzender Seide, einige kahl, andere mit langen, schönen Haa¬ ren. Steingerölle und geschleuderte Ständer haben ihre Ruhe mit kra¬ chendem Getöse unterbrochen, ihre gefallenen Hände nuSeinandergerissen, ihr Todtenhemde versengt. Wie tief sie auch liegen mochten, dieser furcht¬ bare Todtengräber fand sie, heraus. Man fand in jener Nacht auf einem der Markte eine Frau, die vom Schreck und Entsetzen todt er¬ starrt auf der Erde saß; vielleicht hatte sie einen Blick in diesen Gräuel gethan, dessen bloße Vorstellung hinreichend war, das Haar zu Berge zu sträuben. Thatsache ist, daß viele KmsKes emielles in den Tagen der Angst stattgefunden haben; die armen Wöchnerinnen lagen theilweise unter Gottes freiem Himmel in Wind und Wetter. Im Allgemeinen darf man sagen, Alle, die an dieser Schreckenszeit Theil hatten, sind um Jahre älter geworden^ -

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/601>, abgerufen am 23.07.2024.