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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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Idee der Gerechtigkeit, die je aufgestellt wurde, war im dreizehnten Jahr-
hundert noch allgemeine Nechtöansicht in Deutschland. Die Colmarer
suchten sich teilweise davon loszusagen. //Wenn ein Bürger außerhalb
der Stadt etwas begeht, das ihn weder der Vogt noch der Magistrat
geheißen hat, und binnen drei Tagen nicht in die Stadt zurückkehrt, Sö
kann die Bürgerschaft nicht verantwortlich dafür sein."*) Die wechsel¬
seitige Währung, die nach diesem Gesetze selbst damals noch die Regel
war, verlor so den allgemeinen Gerechtigkeitsstandpunkt, und wurde zu
einer Art Polizeimaßregel. Der Bürgeregoismüs tritt ebenfalls sehr
klar an mehreren Stellen hervor. " Nur Bürger können Zeugen sein
gegen andere Bürger." Ferner: "Kein Nichtbürger kann einen Bürger
zum Zweikampf fordern,"*") was bei dem damaligen Nechtsgange un¬
gefähr einer Nechtlosertlärung aller Nichtbürger gleich kam.

Dieser Neichsstädtcrgeist ist eine der Hauptursachen, daß die Re¬
formation zur Zersplitterung Deutschlands führte, oder besser: derselbe
fand in der Reformation neuen Nahrungsstoff, der ihm erlaubte, in's
deutsche Staatsleben überzutreten. Er ist ebenso mit Schuld, daß der
Elsaß französisch werden konnte.

Schon,im fünfzehnten Jahrhundert schloßen während der Anwesen¬
heit Sigiömunds in Colmar die Elsasser freien Reichsstädte einen Ver¬
trag, wodurch sie sich unter einander verpflichteten, nie zuzulassen, daß
sie vom deutschen Reiche getrennt werden würden. Schon damals also
war Gesahr vorhanden, denn sonst wäre dieser Vertrag selbst unerklärlich.

Als während des dreißigjährigen Krieges die Schweden Colmar
besetzt hatten, trat der Neichöftcidtergeist, der Localegoismus und Pa¬
triotismus sehr klar hervor" Die Schlacht bei Nördlingen hatte die
Macht der Schweden zernichtet, und es war vorauszusehen, daß sie
Deutschland verlassen mußten. Da trat endlich Richelieu in's Mittel.
Gegen den Elsaß bot er den Schweden die gewünschte und nothwendige
Hülfe an. Schweden und Frankreich entschieden über Deutschlanvs Ge-^
schick, und theilten sich jedes ihr Stück zu. Und die Deutschen, und
besonders die Elsasser freien Reichsstädte waren ganz damit einverstanden,
vorausgesetzt, daß man ihre Privilegien nicht angreife. Colmar
übrigens ging allen andern mit gutem Beispiele voran. Schon am t.




") Statut von l2SZ.Art. 33 a. a. O. S> it.
"") A. a> O. S. 3S. 37.

Idee der Gerechtigkeit, die je aufgestellt wurde, war im dreizehnten Jahr-
hundert noch allgemeine Nechtöansicht in Deutschland. Die Colmarer
suchten sich teilweise davon loszusagen. //Wenn ein Bürger außerhalb
der Stadt etwas begeht, das ihn weder der Vogt noch der Magistrat
geheißen hat, und binnen drei Tagen nicht in die Stadt zurückkehrt, Sö
kann die Bürgerschaft nicht verantwortlich dafür sein."*) Die wechsel¬
seitige Währung, die nach diesem Gesetze selbst damals noch die Regel
war, verlor so den allgemeinen Gerechtigkeitsstandpunkt, und wurde zu
einer Art Polizeimaßregel. Der Bürgeregoismüs tritt ebenfalls sehr
klar an mehreren Stellen hervor. " Nur Bürger können Zeugen sein
gegen andere Bürger." Ferner: "Kein Nichtbürger kann einen Bürger
zum Zweikampf fordern,"*") was bei dem damaligen Nechtsgange un¬
gefähr einer Nechtlosertlärung aller Nichtbürger gleich kam.

Dieser Neichsstädtcrgeist ist eine der Hauptursachen, daß die Re¬
formation zur Zersplitterung Deutschlands führte, oder besser: derselbe
fand in der Reformation neuen Nahrungsstoff, der ihm erlaubte, in's
deutsche Staatsleben überzutreten. Er ist ebenso mit Schuld, daß der
Elsaß französisch werden konnte.

Schon,im fünfzehnten Jahrhundert schloßen während der Anwesen¬
heit Sigiömunds in Colmar die Elsasser freien Reichsstädte einen Ver¬
trag, wodurch sie sich unter einander verpflichteten, nie zuzulassen, daß
sie vom deutschen Reiche getrennt werden würden. Schon damals also
war Gesahr vorhanden, denn sonst wäre dieser Vertrag selbst unerklärlich.

Als während des dreißigjährigen Krieges die Schweden Colmar
besetzt hatten, trat der Neichöftcidtergeist, der Localegoismus und Pa¬
triotismus sehr klar hervor» Die Schlacht bei Nördlingen hatte die
Macht der Schweden zernichtet, und es war vorauszusehen, daß sie
Deutschland verlassen mußten. Da trat endlich Richelieu in's Mittel.
Gegen den Elsaß bot er den Schweden die gewünschte und nothwendige
Hülfe an. Schweden und Frankreich entschieden über Deutschlanvs Ge-^
schick, und theilten sich jedes ihr Stück zu. Und die Deutschen, und
besonders die Elsasser freien Reichsstädte waren ganz damit einverstanden,
vorausgesetzt, daß man ihre Privilegien nicht angreife. Colmar
übrigens ging allen andern mit gutem Beispiele voran. Schon am t.




») Statut von l2SZ.Art. 33 a. a. O. S> it.
«») A. a> O. S. 3S. 37.
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[0588] Idee der Gerechtigkeit, die je aufgestellt wurde, war im dreizehnten Jahr- hundert noch allgemeine Nechtöansicht in Deutschland. Die Colmarer suchten sich teilweise davon loszusagen. //Wenn ein Bürger außerhalb der Stadt etwas begeht, das ihn weder der Vogt noch der Magistrat geheißen hat, und binnen drei Tagen nicht in die Stadt zurückkehrt, Sö kann die Bürgerschaft nicht verantwortlich dafür sein."*) Die wechsel¬ seitige Währung, die nach diesem Gesetze selbst damals noch die Regel war, verlor so den allgemeinen Gerechtigkeitsstandpunkt, und wurde zu einer Art Polizeimaßregel. Der Bürgeregoismüs tritt ebenfalls sehr klar an mehreren Stellen hervor. " Nur Bürger können Zeugen sein gegen andere Bürger." Ferner: "Kein Nichtbürger kann einen Bürger zum Zweikampf fordern,"*") was bei dem damaligen Nechtsgange un¬ gefähr einer Nechtlosertlärung aller Nichtbürger gleich kam. Dieser Neichsstädtcrgeist ist eine der Hauptursachen, daß die Re¬ formation zur Zersplitterung Deutschlands führte, oder besser: derselbe fand in der Reformation neuen Nahrungsstoff, der ihm erlaubte, in's deutsche Staatsleben überzutreten. Er ist ebenso mit Schuld, daß der Elsaß französisch werden konnte. Schon,im fünfzehnten Jahrhundert schloßen während der Anwesen¬ heit Sigiömunds in Colmar die Elsasser freien Reichsstädte einen Ver¬ trag, wodurch sie sich unter einander verpflichteten, nie zuzulassen, daß sie vom deutschen Reiche getrennt werden würden. Schon damals also war Gesahr vorhanden, denn sonst wäre dieser Vertrag selbst unerklärlich. Als während des dreißigjährigen Krieges die Schweden Colmar besetzt hatten, trat der Neichöftcidtergeist, der Localegoismus und Pa¬ triotismus sehr klar hervor» Die Schlacht bei Nördlingen hatte die Macht der Schweden zernichtet, und es war vorauszusehen, daß sie Deutschland verlassen mußten. Da trat endlich Richelieu in's Mittel. Gegen den Elsaß bot er den Schweden die gewünschte und nothwendige Hülfe an. Schweden und Frankreich entschieden über Deutschlanvs Ge-^ schick, und theilten sich jedes ihr Stück zu. Und die Deutschen, und besonders die Elsasser freien Reichsstädte waren ganz damit einverstanden, vorausgesetzt, daß man ihre Privilegien nicht angreife. Colmar übrigens ging allen andern mit gutem Beispiele voran. Schon am t. ») Statut von l2SZ.Art. 33 a. a. O. S> it. «») A. a> O. S. 3S. 37.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/588>, abgerufen am 04.07.2024.