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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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wie der Rhein? Weder die Elbe, noch die Donau! Und doch war immer der
Rhein bestimmt, der Schauplatz aller deutschen Fehden zu sein; seit den Römerzeiten
bis zu den Tagen der deutschen Raubritter, seit dem rauben Mittelalter bis auf
die pmfümirte Epoche Ludwigs XVt>, seit der Marseillaise bis auf Nikolaus Bek-
ker. Dieses FcstungSleben giebt nun Mainz eine Monotonie, die, wenn es nicht
wie eine Nonne gezwungen wäre, hinter Riegel und Mauern zu wohnen, bald in
die bunteste Mannichfaltigkeit sich verändern würde. Dies ist es, was de-ö benach¬
barte Biberich zu einer so gefährlichen Rivalin unserer Stadt erhebt. Die Frem¬
den, die nicht durch Trommelschlag und türkische Musik aus'ihrem Morgenschlaf
geweckt, durch Thorsperre in ihren Abcndspazicrgängen gehemmt werden wollen,
siedeln sich in Biberich an, und Mainz muß mit stillem Aerger zusehen, wie die
kokette Nachbarin alle die Reisenden anlockt, die sonst gewohnt waren, hier ihr No¬
madenzelt aufzuschlagen. Bei dem Allem kann man nicht läugnen, daß Mainz,
trotz aller Nebenbuhlerschaft, dennoch jetzt mehr Fremde in einem Jahre beherbergt,
als früher in drei Jahren. Wie sollte es auch fehlen? Rings der Taunus mit
seinen Bädern und duftigen Bergen, dort der Rheingau mit seinen Weinstöcken und
Burgruinen, zu welchem dienstfertige Dampfschiffe jede Viertelstunde führen. In
Wenigen Minuten führt der eiserne Weg nach Wiesbaden, in einer Stunde nach
Frankfurt, und Manheim und Heidelberg sind jetzt so nahe. Welche Städte, welche
Gegenden kann der eilige Fremde durchziehen, in einem einzigen Tage durchziehen!
Die Sonne geht auf, und er ist am Rhein, und ehe sie untergeht, war er an den
Ufern des Neckars und des Mains, hat die Statue Guttenbergs begrüßt, der Aula
Heidelbergs seine Ehrfurcht gezollt und in dem Frankfurter Römer an die alten
deutschen Kaiser und an den jungen Zollverein verschiedene dumme und geistreiche
Bemerkungen geknüpft.

Was nun unser inneres Stadtleben betrifft, so ist es allerdings weniger, rei¬
zend, als die äußere Natur, und die Poesie Würde hier, wie Diogenes mit seiner
Laterne lange herumsuchen, ehe sie etwas fände, was in ihren Bereich gehört. Die
kleinen Romane zwischen der Garnison und den> hübschen Mainzerinnen -- wobei
der erwähnte Zapfenstreich gar oft als ckcus ex mo-ein'"" erscheint -- gäben aller¬
dings Stoff für allerlei Paul de Kocksche Talente; glücklicherweise fehlt es in
Deutschland an solchen Talenten I Leider fehlt es aber auch an andern, und grade
hier in Mitte einer so schönen Natur, in Mitte mannichfaltiger Bilder, welche die
Fremden tagtäglich bringen -- kein Poet von irgend einer Bedeutung, in Mitte
vielfacher politischer Anregung und einer sehr liberalen Censur, kein Publicist, keine
Presse, die sich mehr als ein locales Interesse zu erwerben versteht. Dr. Andree,
der-, so lange er hier die Mainzer Zeitung redigirte-, der Mittelpunkt einer Partei
War, hat, seitvcni er Mainz verlassen, eine bedeutende Lücke verursacht. Wir haben


wie der Rhein? Weder die Elbe, noch die Donau! Und doch war immer der
Rhein bestimmt, der Schauplatz aller deutschen Fehden zu sein; seit den Römerzeiten
bis zu den Tagen der deutschen Raubritter, seit dem rauben Mittelalter bis auf
die pmfümirte Epoche Ludwigs XVt>, seit der Marseillaise bis auf Nikolaus Bek-
ker. Dieses FcstungSleben giebt nun Mainz eine Monotonie, die, wenn es nicht
wie eine Nonne gezwungen wäre, hinter Riegel und Mauern zu wohnen, bald in
die bunteste Mannichfaltigkeit sich verändern würde. Dies ist es, was de-ö benach¬
barte Biberich zu einer so gefährlichen Rivalin unserer Stadt erhebt. Die Frem¬
den, die nicht durch Trommelschlag und türkische Musik aus'ihrem Morgenschlaf
geweckt, durch Thorsperre in ihren Abcndspazicrgängen gehemmt werden wollen,
siedeln sich in Biberich an, und Mainz muß mit stillem Aerger zusehen, wie die
kokette Nachbarin alle die Reisenden anlockt, die sonst gewohnt waren, hier ihr No¬
madenzelt aufzuschlagen. Bei dem Allem kann man nicht läugnen, daß Mainz,
trotz aller Nebenbuhlerschaft, dennoch jetzt mehr Fremde in einem Jahre beherbergt,
als früher in drei Jahren. Wie sollte es auch fehlen? Rings der Taunus mit
seinen Bädern und duftigen Bergen, dort der Rheingau mit seinen Weinstöcken und
Burgruinen, zu welchem dienstfertige Dampfschiffe jede Viertelstunde führen. In
Wenigen Minuten führt der eiserne Weg nach Wiesbaden, in einer Stunde nach
Frankfurt, und Manheim und Heidelberg sind jetzt so nahe. Welche Städte, welche
Gegenden kann der eilige Fremde durchziehen, in einem einzigen Tage durchziehen!
Die Sonne geht auf, und er ist am Rhein, und ehe sie untergeht, war er an den
Ufern des Neckars und des Mains, hat die Statue Guttenbergs begrüßt, der Aula
Heidelbergs seine Ehrfurcht gezollt und in dem Frankfurter Römer an die alten
deutschen Kaiser und an den jungen Zollverein verschiedene dumme und geistreiche
Bemerkungen geknüpft.

Was nun unser inneres Stadtleben betrifft, so ist es allerdings weniger, rei¬
zend, als die äußere Natur, und die Poesie Würde hier, wie Diogenes mit seiner
Laterne lange herumsuchen, ehe sie etwas fände, was in ihren Bereich gehört. Die
kleinen Romane zwischen der Garnison und den> hübschen Mainzerinnen — wobei
der erwähnte Zapfenstreich gar oft als ckcus ex mo-ein'»» erscheint — gäben aller¬
dings Stoff für allerlei Paul de Kocksche Talente; glücklicherweise fehlt es in
Deutschland an solchen Talenten I Leider fehlt es aber auch an andern, und grade
hier in Mitte einer so schönen Natur, in Mitte mannichfaltiger Bilder, welche die
Fremden tagtäglich bringen — kein Poet von irgend einer Bedeutung, in Mitte
vielfacher politischer Anregung und einer sehr liberalen Censur, kein Publicist, keine
Presse, die sich mehr als ein locales Interesse zu erwerben versteht. Dr. Andree,
der-, so lange er hier die Mainzer Zeitung redigirte-, der Mittelpunkt einer Partei
War, hat, seitvcni er Mainz verlassen, eine bedeutende Lücke verursacht. Wir haben


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[0519] wie der Rhein? Weder die Elbe, noch die Donau! Und doch war immer der Rhein bestimmt, der Schauplatz aller deutschen Fehden zu sein; seit den Römerzeiten bis zu den Tagen der deutschen Raubritter, seit dem rauben Mittelalter bis auf die pmfümirte Epoche Ludwigs XVt>, seit der Marseillaise bis auf Nikolaus Bek- ker. Dieses FcstungSleben giebt nun Mainz eine Monotonie, die, wenn es nicht wie eine Nonne gezwungen wäre, hinter Riegel und Mauern zu wohnen, bald in die bunteste Mannichfaltigkeit sich verändern würde. Dies ist es, was de-ö benach¬ barte Biberich zu einer so gefährlichen Rivalin unserer Stadt erhebt. Die Frem¬ den, die nicht durch Trommelschlag und türkische Musik aus'ihrem Morgenschlaf geweckt, durch Thorsperre in ihren Abcndspazicrgängen gehemmt werden wollen, siedeln sich in Biberich an, und Mainz muß mit stillem Aerger zusehen, wie die kokette Nachbarin alle die Reisenden anlockt, die sonst gewohnt waren, hier ihr No¬ madenzelt aufzuschlagen. Bei dem Allem kann man nicht läugnen, daß Mainz, trotz aller Nebenbuhlerschaft, dennoch jetzt mehr Fremde in einem Jahre beherbergt, als früher in drei Jahren. Wie sollte es auch fehlen? Rings der Taunus mit seinen Bädern und duftigen Bergen, dort der Rheingau mit seinen Weinstöcken und Burgruinen, zu welchem dienstfertige Dampfschiffe jede Viertelstunde führen. In Wenigen Minuten führt der eiserne Weg nach Wiesbaden, in einer Stunde nach Frankfurt, und Manheim und Heidelberg sind jetzt so nahe. Welche Städte, welche Gegenden kann der eilige Fremde durchziehen, in einem einzigen Tage durchziehen! Die Sonne geht auf, und er ist am Rhein, und ehe sie untergeht, war er an den Ufern des Neckars und des Mains, hat die Statue Guttenbergs begrüßt, der Aula Heidelbergs seine Ehrfurcht gezollt und in dem Frankfurter Römer an die alten deutschen Kaiser und an den jungen Zollverein verschiedene dumme und geistreiche Bemerkungen geknüpft. Was nun unser inneres Stadtleben betrifft, so ist es allerdings weniger, rei¬ zend, als die äußere Natur, und die Poesie Würde hier, wie Diogenes mit seiner Laterne lange herumsuchen, ehe sie etwas fände, was in ihren Bereich gehört. Die kleinen Romane zwischen der Garnison und den> hübschen Mainzerinnen — wobei der erwähnte Zapfenstreich gar oft als ckcus ex mo-ein'»» erscheint — gäben aller¬ dings Stoff für allerlei Paul de Kocksche Talente; glücklicherweise fehlt es in Deutschland an solchen Talenten I Leider fehlt es aber auch an andern, und grade hier in Mitte einer so schönen Natur, in Mitte mannichfaltiger Bilder, welche die Fremden tagtäglich bringen — kein Poet von irgend einer Bedeutung, in Mitte vielfacher politischer Anregung und einer sehr liberalen Censur, kein Publicist, keine Presse, die sich mehr als ein locales Interesse zu erwerben versteht. Dr. Andree, der-, so lange er hier die Mainzer Zeitung redigirte-, der Mittelpunkt einer Partei War, hat, seitvcni er Mainz verlassen, eine bedeutende Lücke verursacht. Wir haben

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/519>, abgerufen am 22.12.2024.