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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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auf jedes Exemplar Z Leser, so giebt das 30,000 Leser. Nach 50 Jahren,lebt viel¬
leicht keine einzige von /enen Zeitschriften anders, als in der pädagogischen Literar¬
geschichte: aber was haben die 90,000 Leser der Gegenwart daraus für Anregung
geschöpft, und was für Segen haben sie dem Schulwesen der Gegenwart einge¬
tragen ?

Eine Tochter aus dem Stamme Corneilles ist so eben in Paris gestorben; sie
hieß Maria Martha Leduc. Sie machte keineswegs Trauerspiele, wie ihr Gro߬
onkel Pierre, auch keine Lustspiele, wie ihr Großonkel Thomas; sie hatte ganz an¬
dere Ansprüche auf die Anerkennung der Völker, denn sie war mit der Küchenschürze
invcstirt. Madame Dumont, in deren Dienst sie gestorben ist, möge uns verzeihen,
wenn wir hier öffentlich der seltenen kochkünstlcrischcn Leistungen erwähnen, mit wel¬
chen dieses vortreffliche Weib ihr Haus geziert hat. Maria Martha verehrte ihre
Ahnen und bewunderte vorzüglich die Meisterwerke des Dichters des Cid; allein
noch viel höher schätzte sie Brillat-Scwarln, sie hatte seine Physiologie des Geschmacks
mehr als einmal gelesen, sie wußte sie auswendig und citirte fleißig Stellen daraus.
Die Urmiasee Corneilles war Ockonomin; bei ihrem Tode fand man 130 Hemden
und 24 Kleider, welche sie nie getragen hat, und im Ganzen eine so splendide Gar¬
derobe, daß sie sich hätte verheirathen können, ein Dutzend Kinder haben und diese
vollständig ausstatten. Sie zeigte ihre Reichthümer nicht. Wozu dient das Kleid,
dachte sie, wenn man von so hoher Abkunft ist ? Mein Schmuck ist das Genie meines
Großonkels. Aber auch die Nichte des großen Corneille hätte ihre Schwächen:
sie liebte die Lotterie;, verzeihen wir ihr, es war dieses ihre einzige Leidenschaft.
Durch 40 Jahre hatte sie fünf Nummern geträumt und dieselben mit ihrer ganzen
Liebe umfaßt, fünf Nummern, die nie herausgekommen sind, die aber, wenn nicht
das grausame Gesetz, welches die Lotterie abgeschafft, votirt worden wäre, doch end¬
lich vielleicht im Jahre 1842 herausgekommen wären. Man hatte so oft Maria
Martha Lobeserhebungen über ihren Onkel Pierre ^Corneille gemacht, daß ihr end¬
lich der Gedanke kam, das Genie ihres Großonkels habe auch die Lotterie erfunden,
was für sie das höchste Resultat des menschlichen Geistes war; diese Idee setzte sich
bei ihr fest, und sie wurde stolz darauf, daß sie ein Nachkömmling des Erfinders der
Terram und Quarternen sei. Nun ruht sie auf dem Kirchhof Mont-Martre, die
gute Maria Martha! Man hofft, sie wird einen schönen Grabstein bekommen, ist
sie doch aus dem Blute Corneilles; wahrlich, es giebt ÜeinS, welches edler wäre!
Maria Martha läßt auch einige Schwestern zurück, welche eine Pension von 400
Franken beziehen.




Druck und Verlag des deutschen WcrlaBcomptoirS in Brüssel.

auf jedes Exemplar Z Leser, so giebt das 30,000 Leser. Nach 50 Jahren,lebt viel¬
leicht keine einzige von /enen Zeitschriften anders, als in der pädagogischen Literar¬
geschichte: aber was haben die 90,000 Leser der Gegenwart daraus für Anregung
geschöpft, und was für Segen haben sie dem Schulwesen der Gegenwart einge¬
tragen ?

Eine Tochter aus dem Stamme Corneilles ist so eben in Paris gestorben; sie
hieß Maria Martha Leduc. Sie machte keineswegs Trauerspiele, wie ihr Gro߬
onkel Pierre, auch keine Lustspiele, wie ihr Großonkel Thomas; sie hatte ganz an¬
dere Ansprüche auf die Anerkennung der Völker, denn sie war mit der Küchenschürze
invcstirt. Madame Dumont, in deren Dienst sie gestorben ist, möge uns verzeihen,
wenn wir hier öffentlich der seltenen kochkünstlcrischcn Leistungen erwähnen, mit wel¬
chen dieses vortreffliche Weib ihr Haus geziert hat. Maria Martha verehrte ihre
Ahnen und bewunderte vorzüglich die Meisterwerke des Dichters des Cid; allein
noch viel höher schätzte sie Brillat-Scwarln, sie hatte seine Physiologie des Geschmacks
mehr als einmal gelesen, sie wußte sie auswendig und citirte fleißig Stellen daraus.
Die Urmiasee Corneilles war Ockonomin; bei ihrem Tode fand man 130 Hemden
und 24 Kleider, welche sie nie getragen hat, und im Ganzen eine so splendide Gar¬
derobe, daß sie sich hätte verheirathen können, ein Dutzend Kinder haben und diese
vollständig ausstatten. Sie zeigte ihre Reichthümer nicht. Wozu dient das Kleid,
dachte sie, wenn man von so hoher Abkunft ist ? Mein Schmuck ist das Genie meines
Großonkels. Aber auch die Nichte des großen Corneille hätte ihre Schwächen:
sie liebte die Lotterie;, verzeihen wir ihr, es war dieses ihre einzige Leidenschaft.
Durch 40 Jahre hatte sie fünf Nummern geträumt und dieselben mit ihrer ganzen
Liebe umfaßt, fünf Nummern, die nie herausgekommen sind, die aber, wenn nicht
das grausame Gesetz, welches die Lotterie abgeschafft, votirt worden wäre, doch end¬
lich vielleicht im Jahre 1842 herausgekommen wären. Man hatte so oft Maria
Martha Lobeserhebungen über ihren Onkel Pierre ^Corneille gemacht, daß ihr end¬
lich der Gedanke kam, das Genie ihres Großonkels habe auch die Lotterie erfunden,
was für sie das höchste Resultat des menschlichen Geistes war; diese Idee setzte sich
bei ihr fest, und sie wurde stolz darauf, daß sie ein Nachkömmling des Erfinders der
Terram und Quarternen sei. Nun ruht sie auf dem Kirchhof Mont-Martre, die
gute Maria Martha! Man hofft, sie wird einen schönen Grabstein bekommen, ist
sie doch aus dem Blute Corneilles; wahrlich, es giebt ÜeinS, welches edler wäre!
Maria Martha läßt auch einige Schwestern zurück, welche eine Pension von 400
Franken beziehen.




Druck und Verlag des deutschen WcrlaBcomptoirS in Brüssel.
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[0392] auf jedes Exemplar Z Leser, so giebt das 30,000 Leser. Nach 50 Jahren,lebt viel¬ leicht keine einzige von /enen Zeitschriften anders, als in der pädagogischen Literar¬ geschichte: aber was haben die 90,000 Leser der Gegenwart daraus für Anregung geschöpft, und was für Segen haben sie dem Schulwesen der Gegenwart einge¬ tragen ? Eine Tochter aus dem Stamme Corneilles ist so eben in Paris gestorben; sie hieß Maria Martha Leduc. Sie machte keineswegs Trauerspiele, wie ihr Gro߬ onkel Pierre, auch keine Lustspiele, wie ihr Großonkel Thomas; sie hatte ganz an¬ dere Ansprüche auf die Anerkennung der Völker, denn sie war mit der Küchenschürze invcstirt. Madame Dumont, in deren Dienst sie gestorben ist, möge uns verzeihen, wenn wir hier öffentlich der seltenen kochkünstlcrischcn Leistungen erwähnen, mit wel¬ chen dieses vortreffliche Weib ihr Haus geziert hat. Maria Martha verehrte ihre Ahnen und bewunderte vorzüglich die Meisterwerke des Dichters des Cid; allein noch viel höher schätzte sie Brillat-Scwarln, sie hatte seine Physiologie des Geschmacks mehr als einmal gelesen, sie wußte sie auswendig und citirte fleißig Stellen daraus. Die Urmiasee Corneilles war Ockonomin; bei ihrem Tode fand man 130 Hemden und 24 Kleider, welche sie nie getragen hat, und im Ganzen eine so splendide Gar¬ derobe, daß sie sich hätte verheirathen können, ein Dutzend Kinder haben und diese vollständig ausstatten. Sie zeigte ihre Reichthümer nicht. Wozu dient das Kleid, dachte sie, wenn man von so hoher Abkunft ist ? Mein Schmuck ist das Genie meines Großonkels. Aber auch die Nichte des großen Corneille hätte ihre Schwächen: sie liebte die Lotterie;, verzeihen wir ihr, es war dieses ihre einzige Leidenschaft. Durch 40 Jahre hatte sie fünf Nummern geträumt und dieselben mit ihrer ganzen Liebe umfaßt, fünf Nummern, die nie herausgekommen sind, die aber, wenn nicht das grausame Gesetz, welches die Lotterie abgeschafft, votirt worden wäre, doch end¬ lich vielleicht im Jahre 1842 herausgekommen wären. Man hatte so oft Maria Martha Lobeserhebungen über ihren Onkel Pierre ^Corneille gemacht, daß ihr end¬ lich der Gedanke kam, das Genie ihres Großonkels habe auch die Lotterie erfunden, was für sie das höchste Resultat des menschlichen Geistes war; diese Idee setzte sich bei ihr fest, und sie wurde stolz darauf, daß sie ein Nachkömmling des Erfinders der Terram und Quarternen sei. Nun ruht sie auf dem Kirchhof Mont-Martre, die gute Maria Martha! Man hofft, sie wird einen schönen Grabstein bekommen, ist sie doch aus dem Blute Corneilles; wahrlich, es giebt ÜeinS, welches edler wäre! Maria Martha läßt auch einige Schwestern zurück, welche eine Pension von 400 Franken beziehen. Druck und Verlag des deutschen WcrlaBcomptoirS in Brüssel.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/392>, abgerufen am 30.06.2024.