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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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Cabineten ihrer Gondeln verborgen; und die Spaziergänge auf der Piazza
geschehen um Nichts. Der Schleuderer ist eine Menschengattung, die in
Venedig nicht eristiren könnte; er wäre allzu unglücklich. In Wahrheit
zu gestehen,, die Frauen des Bürgerstandes (die schöne Welt auf dem
Lande) zeigen im Allgemeinen nicht diesen besondern Typus der Schön¬
heit, den ich, andern Reisenden glaubend, zu finden Hoffte. Jedoch sind
die Züge und der Ausdruck ihrer Gesichter durchaus nicht alltäglich.
Schöne schwarze Haare, weißer und lebhafter Teint, schöne Augen, re¬
gelmäßige Züge sind keine seltenen Eigenschaften bei ihnen, und wenn
ich nach einigen jungen, sehr geschmackvollen Damen urtheilen soll, de¬
ren Putz nur in einem einfachen weißen Kleide, und in den glänzenden
Flechten ihres Haares bestand, so ist es nach meiner Ansicht die Sucht
der Pariser Moden, dieser von kleinen, magern und bleichen Geschöp¬
fen erfundenen Moden, welche sie verhindert, so offen schön zu sein,
als sie es sein könnten.

Doch nur in zwei oder drei noch volkreichen Orten giebt es Lärm;
alle übrigen sind todt. Als wir des Abends in unser auf dem Quai
der Sclavonier gelegenes Hotel zurückgekehrt waren, hätten wir uns um
Zwei Jahrhunderte zurückversetzt glauben können; die ganze Nacht san¬
gen fröhliche Gruppen unter unsern Fenstern, denn unser Caravanserai
ist in einem alten Palast der Familie Bernardo; und doch hatten wir,
während wir die wenigen Straßen durchliefen, welche die Stadt den
Fußgängern bietet, zwanzig in Finsterniß und Einsamkeit verborgene
Brücken überschritten, und nur das traurige Klatschen des vom einsamen
Nuder gepeitschten Wassers gehört. Am Tage durchliefen wir den gan¬
zen großen Canal, dessen beide Ufer die prachtvollsten in den schönsten
Zeiten der Republik errichteten Paläste darbieten. Die Paläste aber
sind meist leer; in einigen sind die Fenster statt mit Scheiben mit Bal¬
ken versetzt; alle sind grün von Schimmel, und tragen die bedauerns¬
würdigen Spuren des nagenden Zahnes der Zeit. Ich glaube, man
muß sich beeilen, Venedig zu besuchen; alle diese Paläste, die Niemand
bewohnt, von denen einige den elendesten Waaren als Niederlage dienen, wer¬
den, binnen Kurzem, Stein für Stein in die Kanäle sinken, und diese
verschütten.




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Cabineten ihrer Gondeln verborgen; und die Spaziergänge auf der Piazza
geschehen um Nichts. Der Schleuderer ist eine Menschengattung, die in
Venedig nicht eristiren könnte; er wäre allzu unglücklich. In Wahrheit
zu gestehen,, die Frauen des Bürgerstandes (die schöne Welt auf dem
Lande) zeigen im Allgemeinen nicht diesen besondern Typus der Schön¬
heit, den ich, andern Reisenden glaubend, zu finden Hoffte. Jedoch sind
die Züge und der Ausdruck ihrer Gesichter durchaus nicht alltäglich.
Schöne schwarze Haare, weißer und lebhafter Teint, schöne Augen, re¬
gelmäßige Züge sind keine seltenen Eigenschaften bei ihnen, und wenn
ich nach einigen jungen, sehr geschmackvollen Damen urtheilen soll, de¬
ren Putz nur in einem einfachen weißen Kleide, und in den glänzenden
Flechten ihres Haares bestand, so ist es nach meiner Ansicht die Sucht
der Pariser Moden, dieser von kleinen, magern und bleichen Geschöp¬
fen erfundenen Moden, welche sie verhindert, so offen schön zu sein,
als sie es sein könnten.

Doch nur in zwei oder drei noch volkreichen Orten giebt es Lärm;
alle übrigen sind todt. Als wir des Abends in unser auf dem Quai
der Sclavonier gelegenes Hotel zurückgekehrt waren, hätten wir uns um
Zwei Jahrhunderte zurückversetzt glauben können; die ganze Nacht san¬
gen fröhliche Gruppen unter unsern Fenstern, denn unser Caravanserai
ist in einem alten Palast der Familie Bernardo; und doch hatten wir,
während wir die wenigen Straßen durchliefen, welche die Stadt den
Fußgängern bietet, zwanzig in Finsterniß und Einsamkeit verborgene
Brücken überschritten, und nur das traurige Klatschen des vom einsamen
Nuder gepeitschten Wassers gehört. Am Tage durchliefen wir den gan¬
zen großen Canal, dessen beide Ufer die prachtvollsten in den schönsten
Zeiten der Republik errichteten Paläste darbieten. Die Paläste aber
sind meist leer; in einigen sind die Fenster statt mit Scheiben mit Bal¬
ken versetzt; alle sind grün von Schimmel, und tragen die bedauerns¬
würdigen Spuren des nagenden Zahnes der Zeit. Ich glaube, man
muß sich beeilen, Venedig zu besuchen; alle diese Paläste, die Niemand
bewohnt, von denen einige den elendesten Waaren als Niederlage dienen, wer¬
den, binnen Kurzem, Stein für Stein in die Kanäle sinken, und diese
verschütten.




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[0347] Cabineten ihrer Gondeln verborgen; und die Spaziergänge auf der Piazza geschehen um Nichts. Der Schleuderer ist eine Menschengattung, die in Venedig nicht eristiren könnte; er wäre allzu unglücklich. In Wahrheit zu gestehen,, die Frauen des Bürgerstandes (die schöne Welt auf dem Lande) zeigen im Allgemeinen nicht diesen besondern Typus der Schön¬ heit, den ich, andern Reisenden glaubend, zu finden Hoffte. Jedoch sind die Züge und der Ausdruck ihrer Gesichter durchaus nicht alltäglich. Schöne schwarze Haare, weißer und lebhafter Teint, schöne Augen, re¬ gelmäßige Züge sind keine seltenen Eigenschaften bei ihnen, und wenn ich nach einigen jungen, sehr geschmackvollen Damen urtheilen soll, de¬ ren Putz nur in einem einfachen weißen Kleide, und in den glänzenden Flechten ihres Haares bestand, so ist es nach meiner Ansicht die Sucht der Pariser Moden, dieser von kleinen, magern und bleichen Geschöp¬ fen erfundenen Moden, welche sie verhindert, so offen schön zu sein, als sie es sein könnten. Doch nur in zwei oder drei noch volkreichen Orten giebt es Lärm; alle übrigen sind todt. Als wir des Abends in unser auf dem Quai der Sclavonier gelegenes Hotel zurückgekehrt waren, hätten wir uns um Zwei Jahrhunderte zurückversetzt glauben können; die ganze Nacht san¬ gen fröhliche Gruppen unter unsern Fenstern, denn unser Caravanserai ist in einem alten Palast der Familie Bernardo; und doch hatten wir, während wir die wenigen Straßen durchliefen, welche die Stadt den Fußgängern bietet, zwanzig in Finsterniß und Einsamkeit verborgene Brücken überschritten, und nur das traurige Klatschen des vom einsamen Nuder gepeitschten Wassers gehört. Am Tage durchliefen wir den gan¬ zen großen Canal, dessen beide Ufer die prachtvollsten in den schönsten Zeiten der Republik errichteten Paläste darbieten. Die Paläste aber sind meist leer; in einigen sind die Fenster statt mit Scheiben mit Bal¬ ken versetzt; alle sind grün von Schimmel, und tragen die bedauerns¬ würdigen Spuren des nagenden Zahnes der Zeit. Ich glaube, man muß sich beeilen, Venedig zu besuchen; alle diese Paläste, die Niemand bewohnt, von denen einige den elendesten Waaren als Niederlage dienen, wer¬ den, binnen Kurzem, Stein für Stein in die Kanäle sinken, und diese verschütten. 47

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/347>, abgerufen am 22.12.2024.