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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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gerinnen, die Nvsabänder, hinnnMaue Schärpen und weiße Kleider ha¬
ben, und die neben dem Volke, dem wahren venetianischen Volke, -das
poetisch auf den Marmorbänken der Loggia und Basilica hingestreckt ist,
auf denen es seine muskelstarken und fast nackten Glieder entwickelt,
wie ein Volk, das Nichts mehr zu thun bat, und das nicht weiß, wes¬
halb es auf der Welt ist -- neben diesem Volke setzen sich Bürger und
Bürgerinnen in'ö Cafe Florian, in allem Stolz ihres pscudo-pariser Auf¬
putzes, während die Musik eines österreichischen Regiments sie mit der
Ouvertüre aus Freischütz oder einer Cavatine aus Donizetti ergötzt. Da¬
rum hätte ich gewünscht, daß auf den Se. Marcus-Platz, wohin ich als
Wallfahrer kam, nur das Volk der Gondoliere und Fachini gewesen
wäre und der große Schatten Venetia'S,, die traurig den- getreuen Ue-
berbleibseln ihres gestorbenen Wohlstandes zulächelte.

Wie lange ist es, daß Venedig gebrochen? Im Anfange des Jah¬
res 1797, also noch vor einem halben Jahrhundert, mstirte noch der
älteste unter den europäischen-Staaten, die Republik Venedig, die vom
Verfall des römischen Reichs ihren Ursprung herleitete, die sich von den,
Thoren Mailands bis zu den Grenzen Albaniens erstreckte. Sie besaß
eine ziemlich gut disciplinirte Armee, weil sie dieselbe gut bezahlte, ge¬
horsame Unterthanen,, eine wenn auch herabgebrachte, doch noch mächtige-
Flotte, eine ziemlich bedeutende, durch die regelmäßige Eintreibung der
Steuern unterhaltene Sparkasse; ihre bei allen Höfen beglaubigten Ge-,
sandten unterhielten durch den Glanz ihres schönen Namens und ihres?
alten Reichthums den Zauberschein ihrer althergebrachten Größe., Die.
Fürsten ehrten sie, aus Erinnerung, als die Weste unter den-politischen,
Mächten, der modernen Welt. Wenn mau sich auch nach -und nach da--
ran gewöhnt hatte, sie nicht mehr M thätige Kraft im Gleichgewichte-
der europäischen Mächte zu zählen, so, war man doch weit entfernt, sie,
so tief gesunken zu glauben, daß sie nicht mehr zu schaden vermochte.
Mau sah, daß sie seit ihren, letzten Streitigkeiten mit den Türken in Ruhe
eingeschlafen war, und daß sie nicht leicht aus dieser herausgehen würde;-
man wußte, daß sie,alt sei, aber um hielt sie nicht- für altersschwach..
Das war die alte Republik Venedig im März 1797' in der- Meinung
der Welt. Aber seit acht- Monaten hatten sich in Oberitalien schreckliche
Dinge ereignet. Ein junger Eroberer hatte sich ein der Spitze der brav¬
sten und ungestümsten Armee, die man seit den-, Zeiten der Barbaren in
diesem Lande gesehen, von der Höhe der Alpen herabgestürzt. Buona-
parte hatte sein erstes kriegerisches Heldengedicht vollendet, und die On-


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gerinnen, die Nvsabänder, hinnnMaue Schärpen und weiße Kleider ha¬
ben, und die neben dem Volke, dem wahren venetianischen Volke, -das
poetisch auf den Marmorbänken der Loggia und Basilica hingestreckt ist,
auf denen es seine muskelstarken und fast nackten Glieder entwickelt,
wie ein Volk, das Nichts mehr zu thun bat, und das nicht weiß, wes¬
halb es auf der Welt ist — neben diesem Volke setzen sich Bürger und
Bürgerinnen in'ö Cafe Florian, in allem Stolz ihres pscudo-pariser Auf¬
putzes, während die Musik eines österreichischen Regiments sie mit der
Ouvertüre aus Freischütz oder einer Cavatine aus Donizetti ergötzt. Da¬
rum hätte ich gewünscht, daß auf den Se. Marcus-Platz, wohin ich als
Wallfahrer kam, nur das Volk der Gondoliere und Fachini gewesen
wäre und der große Schatten Venetia'S,, die traurig den- getreuen Ue-
berbleibseln ihres gestorbenen Wohlstandes zulächelte.

Wie lange ist es, daß Venedig gebrochen? Im Anfange des Jah¬
res 1797, also noch vor einem halben Jahrhundert, mstirte noch der
älteste unter den europäischen-Staaten, die Republik Venedig, die vom
Verfall des römischen Reichs ihren Ursprung herleitete, die sich von den,
Thoren Mailands bis zu den Grenzen Albaniens erstreckte. Sie besaß
eine ziemlich gut disciplinirte Armee, weil sie dieselbe gut bezahlte, ge¬
horsame Unterthanen,, eine wenn auch herabgebrachte, doch noch mächtige-
Flotte, eine ziemlich bedeutende, durch die regelmäßige Eintreibung der
Steuern unterhaltene Sparkasse; ihre bei allen Höfen beglaubigten Ge-,
sandten unterhielten durch den Glanz ihres schönen Namens und ihres?
alten Reichthums den Zauberschein ihrer althergebrachten Größe., Die.
Fürsten ehrten sie, aus Erinnerung, als die Weste unter den-politischen,
Mächten, der modernen Welt. Wenn mau sich auch nach -und nach da--
ran gewöhnt hatte, sie nicht mehr M thätige Kraft im Gleichgewichte-
der europäischen Mächte zu zählen, so, war man doch weit entfernt, sie,
so tief gesunken zu glauben, daß sie nicht mehr zu schaden vermochte.
Mau sah, daß sie seit ihren, letzten Streitigkeiten mit den Türken in Ruhe
eingeschlafen war, und daß sie nicht leicht aus dieser herausgehen würde;-
man wußte, daß sie,alt sei, aber um hielt sie nicht- für altersschwach..
Das war die alte Republik Venedig im März 1797' in der- Meinung
der Welt. Aber seit acht- Monaten hatten sich in Oberitalien schreckliche
Dinge ereignet. Ein junger Eroberer hatte sich ein der Spitze der brav¬
sten und ungestümsten Armee, die man seit den-, Zeiten der Barbaren in
diesem Lande gesehen, von der Höhe der Alpen herabgestürzt. Buona-
parte hatte sein erstes kriegerisches Heldengedicht vollendet, und die On-


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[0341] gerinnen, die Nvsabänder, hinnnMaue Schärpen und weiße Kleider ha¬ ben, und die neben dem Volke, dem wahren venetianischen Volke, -das poetisch auf den Marmorbänken der Loggia und Basilica hingestreckt ist, auf denen es seine muskelstarken und fast nackten Glieder entwickelt, wie ein Volk, das Nichts mehr zu thun bat, und das nicht weiß, wes¬ halb es auf der Welt ist — neben diesem Volke setzen sich Bürger und Bürgerinnen in'ö Cafe Florian, in allem Stolz ihres pscudo-pariser Auf¬ putzes, während die Musik eines österreichischen Regiments sie mit der Ouvertüre aus Freischütz oder einer Cavatine aus Donizetti ergötzt. Da¬ rum hätte ich gewünscht, daß auf den Se. Marcus-Platz, wohin ich als Wallfahrer kam, nur das Volk der Gondoliere und Fachini gewesen wäre und der große Schatten Venetia'S,, die traurig den- getreuen Ue- berbleibseln ihres gestorbenen Wohlstandes zulächelte. Wie lange ist es, daß Venedig gebrochen? Im Anfange des Jah¬ res 1797, also noch vor einem halben Jahrhundert, mstirte noch der älteste unter den europäischen-Staaten, die Republik Venedig, die vom Verfall des römischen Reichs ihren Ursprung herleitete, die sich von den, Thoren Mailands bis zu den Grenzen Albaniens erstreckte. Sie besaß eine ziemlich gut disciplinirte Armee, weil sie dieselbe gut bezahlte, ge¬ horsame Unterthanen,, eine wenn auch herabgebrachte, doch noch mächtige- Flotte, eine ziemlich bedeutende, durch die regelmäßige Eintreibung der Steuern unterhaltene Sparkasse; ihre bei allen Höfen beglaubigten Ge-, sandten unterhielten durch den Glanz ihres schönen Namens und ihres? alten Reichthums den Zauberschein ihrer althergebrachten Größe., Die. Fürsten ehrten sie, aus Erinnerung, als die Weste unter den-politischen, Mächten, der modernen Welt. Wenn mau sich auch nach -und nach da-- ran gewöhnt hatte, sie nicht mehr M thätige Kraft im Gleichgewichte- der europäischen Mächte zu zählen, so, war man doch weit entfernt, sie, so tief gesunken zu glauben, daß sie nicht mehr zu schaden vermochte. Mau sah, daß sie seit ihren, letzten Streitigkeiten mit den Türken in Ruhe eingeschlafen war, und daß sie nicht leicht aus dieser herausgehen würde;- man wußte, daß sie,alt sei, aber um hielt sie nicht- für altersschwach.. Das war die alte Republik Venedig im März 1797' in der- Meinung der Welt. Aber seit acht- Monaten hatten sich in Oberitalien schreckliche Dinge ereignet. Ein junger Eroberer hatte sich ein der Spitze der brav¬ sten und ungestümsten Armee, die man seit den-, Zeiten der Barbaren in diesem Lande gesehen, von der Höhe der Alpen herabgestürzt. Buona- parte hatte sein erstes kriegerisches Heldengedicht vollendet, und die On- 46*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/341>, abgerufen am 24.07.2024.