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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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wußte, hat es sich viele deutsche Herzen erobert, die ihm sonst spröde
und vorurtheilsvoll abwärts lagen. Einzelne Maßregeln, wie die glück¬
liche Lösung der Kölnischen Wirrung, die Aufhebung des Verbots ge¬
gen die Schweizer Universitäten, das jüngst erlassene Censurcdict -- ge¬
wannen dem preußischen Staate viele Svmpathieen, da man gern darin
ein Streben nach Vorwärts erblicken mochte. Nichtsdestoweniger fehlte
es nicht an solchen Episoden, welche die Gemüther wieder stutzig
und argwöhnisch machten. Die Suspension Hoffmann'ö von Fallersleben,
das Verbot des Campe'schen Verlags erregten nicht nur in Deutschland,
sondern auch im Auslande unerquickliche Commentare, und wurden von
der französischen und belgischen Presse mit Bemerkungen begleitet, die
unserem Nationalefühlenitsmeichelten.

Seit mehreren Monaten geht nun auch das Gerücht, die Staats¬
verhältnisse der preußischen Juden wären mit einer reactionairen Crisis
bedroht, man wolle sie in Corporationen vertheilen, sie als Fremde be¬
trachten und vom Militairdien se ausschließen! Dieses Gerücht machte die
Runde durch fast alle deutsche Zeitungen, und erhielt einige Wahrschein¬
lichkeit dadurch, daß die Negierung nicht Ein Wort zur Beschwichtigung
oder zur Widerlegung sich entschlüpfen ließ. So lange nun dieses
Hin- und Hergercde innerhalb der Gränzen der deutschen Presse blieb,
und das deutsche Gebiet nicht überschritt, ließ sich jenes Stillschweigen
durch den gewöhnlichen Stolz motiviren, den man in Deutschland von
oben herab gegen die Presse zeigt oder vielleicht auch nur affectirt. Nun
aber- das Gerücht den deutschen Boden überschritten und ein Gegenstand
der mehr oder minder hämischen Besprechung und spöttischen Seitenblicke
der französischen Blätter geworden ist, glauben wir, wäre es der Zeit
und wohl auch der Würde der Negierung gemäß, daß sie ihrStillschwei-
gen bräche und durch ein kurzes Wort das ganze Geschwätz durchschnitte.

Die Frage über die Judenemancipation ist in dein letzten Biertel¬
jahrhundert Hand in Hand mit dem Fortschritt der Civilisation, mit
der höhern Entwicklung des Nationallebens gegangen; überall, wo die
staatlichen Institutionen eine freisinnigere Richtung, eine den Anforde¬
rungen der Zeit entsprechende Ausdehnung erhielten, trat man mit Wärme
der Lösung jener Frage näher, und allmählig wurde man gewöhnt,
die Juden-Angelegenheit als einen jener Thermometer zu betrachten, an
welchen der Fort- oder Rückschritt eines Staats zu erkennen ist.

Ist Preußen im Fortschritte oder im Rückschritte begriffen?
Welche Kritik man auch an die preußische Staatsleitung legen möge,


wußte, hat es sich viele deutsche Herzen erobert, die ihm sonst spröde
und vorurtheilsvoll abwärts lagen. Einzelne Maßregeln, wie die glück¬
liche Lösung der Kölnischen Wirrung, die Aufhebung des Verbots ge¬
gen die Schweizer Universitäten, das jüngst erlassene Censurcdict — ge¬
wannen dem preußischen Staate viele Svmpathieen, da man gern darin
ein Streben nach Vorwärts erblicken mochte. Nichtsdestoweniger fehlte
es nicht an solchen Episoden, welche die Gemüther wieder stutzig
und argwöhnisch machten. Die Suspension Hoffmann'ö von Fallersleben,
das Verbot des Campe'schen Verlags erregten nicht nur in Deutschland,
sondern auch im Auslande unerquickliche Commentare, und wurden von
der französischen und belgischen Presse mit Bemerkungen begleitet, die
unserem Nationalefühlenitsmeichelten.

Seit mehreren Monaten geht nun auch das Gerücht, die Staats¬
verhältnisse der preußischen Juden wären mit einer reactionairen Crisis
bedroht, man wolle sie in Corporationen vertheilen, sie als Fremde be¬
trachten und vom Militairdien se ausschließen! Dieses Gerücht machte die
Runde durch fast alle deutsche Zeitungen, und erhielt einige Wahrschein¬
lichkeit dadurch, daß die Negierung nicht Ein Wort zur Beschwichtigung
oder zur Widerlegung sich entschlüpfen ließ. So lange nun dieses
Hin- und Hergercde innerhalb der Gränzen der deutschen Presse blieb,
und das deutsche Gebiet nicht überschritt, ließ sich jenes Stillschweigen
durch den gewöhnlichen Stolz motiviren, den man in Deutschland von
oben herab gegen die Presse zeigt oder vielleicht auch nur affectirt. Nun
aber- das Gerücht den deutschen Boden überschritten und ein Gegenstand
der mehr oder minder hämischen Besprechung und spöttischen Seitenblicke
der französischen Blätter geworden ist, glauben wir, wäre es der Zeit
und wohl auch der Würde der Negierung gemäß, daß sie ihrStillschwei-
gen bräche und durch ein kurzes Wort das ganze Geschwätz durchschnitte.

Die Frage über die Judenemancipation ist in dein letzten Biertel¬
jahrhundert Hand in Hand mit dem Fortschritt der Civilisation, mit
der höhern Entwicklung des Nationallebens gegangen; überall, wo die
staatlichen Institutionen eine freisinnigere Richtung, eine den Anforde¬
rungen der Zeit entsprechende Ausdehnung erhielten, trat man mit Wärme
der Lösung jener Frage näher, und allmählig wurde man gewöhnt,
die Juden-Angelegenheit als einen jener Thermometer zu betrachten, an
welchen der Fort- oder Rückschritt eines Staats zu erkennen ist.

Ist Preußen im Fortschritte oder im Rückschritte begriffen?
Welche Kritik man auch an die preußische Staatsleitung legen möge,


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[0285] wußte, hat es sich viele deutsche Herzen erobert, die ihm sonst spröde und vorurtheilsvoll abwärts lagen. Einzelne Maßregeln, wie die glück¬ liche Lösung der Kölnischen Wirrung, die Aufhebung des Verbots ge¬ gen die Schweizer Universitäten, das jüngst erlassene Censurcdict — ge¬ wannen dem preußischen Staate viele Svmpathieen, da man gern darin ein Streben nach Vorwärts erblicken mochte. Nichtsdestoweniger fehlte es nicht an solchen Episoden, welche die Gemüther wieder stutzig und argwöhnisch machten. Die Suspension Hoffmann'ö von Fallersleben, das Verbot des Campe'schen Verlags erregten nicht nur in Deutschland, sondern auch im Auslande unerquickliche Commentare, und wurden von der französischen und belgischen Presse mit Bemerkungen begleitet, die unserem Nationalefühlenitsmeichelten. Seit mehreren Monaten geht nun auch das Gerücht, die Staats¬ verhältnisse der preußischen Juden wären mit einer reactionairen Crisis bedroht, man wolle sie in Corporationen vertheilen, sie als Fremde be¬ trachten und vom Militairdien se ausschließen! Dieses Gerücht machte die Runde durch fast alle deutsche Zeitungen, und erhielt einige Wahrschein¬ lichkeit dadurch, daß die Negierung nicht Ein Wort zur Beschwichtigung oder zur Widerlegung sich entschlüpfen ließ. So lange nun dieses Hin- und Hergercde innerhalb der Gränzen der deutschen Presse blieb, und das deutsche Gebiet nicht überschritt, ließ sich jenes Stillschweigen durch den gewöhnlichen Stolz motiviren, den man in Deutschland von oben herab gegen die Presse zeigt oder vielleicht auch nur affectirt. Nun aber- das Gerücht den deutschen Boden überschritten und ein Gegenstand der mehr oder minder hämischen Besprechung und spöttischen Seitenblicke der französischen Blätter geworden ist, glauben wir, wäre es der Zeit und wohl auch der Würde der Negierung gemäß, daß sie ihrStillschwei- gen bräche und durch ein kurzes Wort das ganze Geschwätz durchschnitte. Die Frage über die Judenemancipation ist in dein letzten Biertel¬ jahrhundert Hand in Hand mit dem Fortschritt der Civilisation, mit der höhern Entwicklung des Nationallebens gegangen; überall, wo die staatlichen Institutionen eine freisinnigere Richtung, eine den Anforde¬ rungen der Zeit entsprechende Ausdehnung erhielten, trat man mit Wärme der Lösung jener Frage näher, und allmählig wurde man gewöhnt, die Juden-Angelegenheit als einen jener Thermometer zu betrachten, an welchen der Fort- oder Rückschritt eines Staats zu erkennen ist. Ist Preußen im Fortschritte oder im Rückschritte begriffen? Welche Kritik man auch an die preußische Staatsleitung legen möge,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/285>, abgerufen am 23.07.2024.