Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

Bild:
<< vorherige Seite

den AM Arnaud an ihrer Spitze. Die Häupter der Piccinisten waren
Marmontel, Laharpe, Gingunee, ja sogar der kalte DMembert.

Das Merkwürdigste aber war, daß Gluck selbst in, die Arena her-
abstieg und über das Verdienst seiner eigenen Werke stritt. Da dieser
große Künstler nicht fähig war, ein hinlänglich reines Französisch zu
schreiben, um mit solchen Gegnern zu kämpfen, mit denen er es zu thun
hatte, so verbesserten ihm gefällige Freunde seine stylistischen Fehler oder
vielmehr, sie verfaßten die Aufsätze für ihn nach den Joeen, die er mit¬
theilte. Zwei Briefe von ihm, die im Journal von Paris so abge¬
druckt sind, wie er sie geschrieben, thun dar, daß die Vorsicht Derer, die
seine Prosa durchsäbelt, nicht unnütz war. Seine Verkleinerer werden
von ihm in diesem Brief mit viel Zorn und Bitterkeit verarbeitet, und
dabei vergißt er nicht, sich selbst einigen Weihrauch zu streuen. Nachdem
er sich Glück dazu wünscht, daß er von allen geistreichen Leuten Deutsch¬
lands und Italiens ohne Ausnahme Zeichen der Hochachtung em¬
pfangen, beklagt er sich darüber, daß eine gewisse Anzahl Schriftsteller
in Frankreich sich gegen ihn erklärt.

Die gewaltigen Kämpfe der beiden Parteien beschränkten sich aber
nicht blos auf die Journale und Broschüren. Nach den schriftlichen Schar¬
mützeln des Morgens begannen des , Abends im Theater die Feindselig¬
keiten mit noch mehr Lebhaftigkeit durch ein Kreuzfeuer von Spöttereien,
Bitterkeiten, oft sogar Grobheiten, die die Gegner einander zusandten.
Von vielen nur ein Beispiel. Man gab Glucks Alceste, und die Le-
vasseur, welche die Titelrolle spielte, sang am Ende des 2ten Aktes den
Vers:


"Durch seinen Tod zerreißt, zerfleischt er mir das Herz."

Da rief ihr Marmontel zu: "Ach,, mein Fräulein, Sie zerreißen
mir die Ohren." Sein Nachbar dagegen, entzückt durch die Schönheit
der Stelle und durch die Art, mit der sie vorgetragen wurde, entgegnete:
"Das wäre ein Glück für Sie, mein Herr, wenn Sie ein Paar andere-
dafür bekämen." Der Nachbar war der Abbe Arnaud. In einem mu¬
sikalischen Streit damit anfangen, daß man einander bei den Ohren
faßt, das scheint ganz natürlich, bemerkt ein Schriftsteller jener Zeit;
aber zwei Mitglieder der Akademie, zwei Mitarbeiter der Encyclopädie!
Von einem solchen dein Publicum gegebenen Aergerniß konnte die Phi¬
losophie keines großen Vortheil ziehen. Man hörte auch in der That
nichts weiter davon, daß Marmontel seine Ohren gegen die Beleidigung
in Schutz genommen, die der kunstische Mbe ihnen angethan. -


den AM Arnaud an ihrer Spitze. Die Häupter der Piccinisten waren
Marmontel, Laharpe, Gingunee, ja sogar der kalte DMembert.

Das Merkwürdigste aber war, daß Gluck selbst in, die Arena her-
abstieg und über das Verdienst seiner eigenen Werke stritt. Da dieser
große Künstler nicht fähig war, ein hinlänglich reines Französisch zu
schreiben, um mit solchen Gegnern zu kämpfen, mit denen er es zu thun
hatte, so verbesserten ihm gefällige Freunde seine stylistischen Fehler oder
vielmehr, sie verfaßten die Aufsätze für ihn nach den Joeen, die er mit¬
theilte. Zwei Briefe von ihm, die im Journal von Paris so abge¬
druckt sind, wie er sie geschrieben, thun dar, daß die Vorsicht Derer, die
seine Prosa durchsäbelt, nicht unnütz war. Seine Verkleinerer werden
von ihm in diesem Brief mit viel Zorn und Bitterkeit verarbeitet, und
dabei vergißt er nicht, sich selbst einigen Weihrauch zu streuen. Nachdem
er sich Glück dazu wünscht, daß er von allen geistreichen Leuten Deutsch¬
lands und Italiens ohne Ausnahme Zeichen der Hochachtung em¬
pfangen, beklagt er sich darüber, daß eine gewisse Anzahl Schriftsteller
in Frankreich sich gegen ihn erklärt.

Die gewaltigen Kämpfe der beiden Parteien beschränkten sich aber
nicht blos auf die Journale und Broschüren. Nach den schriftlichen Schar¬
mützeln des Morgens begannen des , Abends im Theater die Feindselig¬
keiten mit noch mehr Lebhaftigkeit durch ein Kreuzfeuer von Spöttereien,
Bitterkeiten, oft sogar Grobheiten, die die Gegner einander zusandten.
Von vielen nur ein Beispiel. Man gab Glucks Alceste, und die Le-
vasseur, welche die Titelrolle spielte, sang am Ende des 2ten Aktes den
Vers:


„Durch seinen Tod zerreißt, zerfleischt er mir das Herz."

Da rief ihr Marmontel zu: „Ach,, mein Fräulein, Sie zerreißen
mir die Ohren." Sein Nachbar dagegen, entzückt durch die Schönheit
der Stelle und durch die Art, mit der sie vorgetragen wurde, entgegnete:
„Das wäre ein Glück für Sie, mein Herr, wenn Sie ein Paar andere-
dafür bekämen." Der Nachbar war der Abbe Arnaud. In einem mu¬
sikalischen Streit damit anfangen, daß man einander bei den Ohren
faßt, das scheint ganz natürlich, bemerkt ein Schriftsteller jener Zeit;
aber zwei Mitglieder der Akademie, zwei Mitarbeiter der Encyclopädie!
Von einem solchen dein Publicum gegebenen Aergerniß konnte die Phi¬
losophie keines großen Vortheil ziehen. Man hörte auch in der That
nichts weiter davon, daß Marmontel seine Ohren gegen die Beleidigung
in Schutz genommen, die der kunstische Mbe ihnen angethan. -


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0277" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/267491"/>
          <p xml:id="ID_1101" prev="#ID_1100"> den AM Arnaud an ihrer Spitze. Die Häupter der Piccinisten waren<lb/>
Marmontel, Laharpe, Gingunee, ja sogar der kalte DMembert.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1102"> Das Merkwürdigste aber war, daß Gluck selbst in, die Arena her-<lb/>
abstieg und über das Verdienst seiner eigenen Werke stritt. Da dieser<lb/>
große Künstler nicht fähig war, ein hinlänglich reines Französisch zu<lb/>
schreiben, um mit solchen Gegnern zu kämpfen, mit denen er es zu thun<lb/>
hatte, so verbesserten ihm gefällige Freunde seine stylistischen Fehler oder<lb/>
vielmehr, sie verfaßten die Aufsätze für ihn nach den Joeen, die er mit¬<lb/>
theilte. Zwei Briefe von ihm, die im Journal von Paris so abge¬<lb/>
druckt sind, wie er sie geschrieben, thun dar, daß die Vorsicht Derer, die<lb/>
seine Prosa durchsäbelt, nicht unnütz war. Seine Verkleinerer werden<lb/>
von ihm in diesem Brief mit viel Zorn und Bitterkeit verarbeitet, und<lb/>
dabei vergißt er nicht, sich selbst einigen Weihrauch zu streuen. Nachdem<lb/>
er sich Glück dazu wünscht, daß er von allen geistreichen Leuten Deutsch¬<lb/>
lands und Italiens ohne Ausnahme Zeichen der Hochachtung em¬<lb/>
pfangen, beklagt er sich darüber, daß eine gewisse Anzahl Schriftsteller<lb/>
in Frankreich sich gegen ihn erklärt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1103"> Die gewaltigen Kämpfe der beiden Parteien beschränkten sich aber<lb/>
nicht blos auf die Journale und Broschüren. Nach den schriftlichen Schar¬<lb/>
mützeln des Morgens begannen des , Abends im Theater die Feindselig¬<lb/>
keiten mit noch mehr Lebhaftigkeit durch ein Kreuzfeuer von Spöttereien,<lb/>
Bitterkeiten, oft sogar Grobheiten, die die Gegner einander zusandten.<lb/>
Von vielen nur ein Beispiel. Man gab Glucks Alceste, und die Le-<lb/>
vasseur, welche die Titelrolle spielte, sang am Ende des 2ten Aktes den<lb/>
Vers:</p><lb/>
          <quote> &#x201E;Durch seinen Tod zerreißt, zerfleischt er mir das Herz."</quote><lb/>
          <p xml:id="ID_1104"> Da rief ihr Marmontel zu: &#x201E;Ach,, mein Fräulein, Sie zerreißen<lb/>
mir die Ohren." Sein Nachbar dagegen, entzückt durch die Schönheit<lb/>
der Stelle und durch die Art, mit der sie vorgetragen wurde, entgegnete:<lb/>
&#x201E;Das wäre ein Glück für Sie, mein Herr, wenn Sie ein Paar andere-<lb/>
dafür bekämen." Der Nachbar war der Abbe Arnaud. In einem mu¬<lb/>
sikalischen Streit damit anfangen, daß man einander bei den Ohren<lb/>
faßt, das scheint ganz natürlich, bemerkt ein Schriftsteller jener Zeit;<lb/>
aber zwei Mitglieder der Akademie, zwei Mitarbeiter der Encyclopädie!<lb/>
Von einem solchen dein Publicum gegebenen Aergerniß konnte die Phi¬<lb/>
losophie keines großen Vortheil ziehen. Man hörte auch in der That<lb/>
nichts weiter davon, daß Marmontel seine Ohren gegen die Beleidigung<lb/>
in Schutz genommen, die der kunstische Mbe ihnen angethan. -</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0277] den AM Arnaud an ihrer Spitze. Die Häupter der Piccinisten waren Marmontel, Laharpe, Gingunee, ja sogar der kalte DMembert. Das Merkwürdigste aber war, daß Gluck selbst in, die Arena her- abstieg und über das Verdienst seiner eigenen Werke stritt. Da dieser große Künstler nicht fähig war, ein hinlänglich reines Französisch zu schreiben, um mit solchen Gegnern zu kämpfen, mit denen er es zu thun hatte, so verbesserten ihm gefällige Freunde seine stylistischen Fehler oder vielmehr, sie verfaßten die Aufsätze für ihn nach den Joeen, die er mit¬ theilte. Zwei Briefe von ihm, die im Journal von Paris so abge¬ druckt sind, wie er sie geschrieben, thun dar, daß die Vorsicht Derer, die seine Prosa durchsäbelt, nicht unnütz war. Seine Verkleinerer werden von ihm in diesem Brief mit viel Zorn und Bitterkeit verarbeitet, und dabei vergißt er nicht, sich selbst einigen Weihrauch zu streuen. Nachdem er sich Glück dazu wünscht, daß er von allen geistreichen Leuten Deutsch¬ lands und Italiens ohne Ausnahme Zeichen der Hochachtung em¬ pfangen, beklagt er sich darüber, daß eine gewisse Anzahl Schriftsteller in Frankreich sich gegen ihn erklärt. Die gewaltigen Kämpfe der beiden Parteien beschränkten sich aber nicht blos auf die Journale und Broschüren. Nach den schriftlichen Schar¬ mützeln des Morgens begannen des , Abends im Theater die Feindselig¬ keiten mit noch mehr Lebhaftigkeit durch ein Kreuzfeuer von Spöttereien, Bitterkeiten, oft sogar Grobheiten, die die Gegner einander zusandten. Von vielen nur ein Beispiel. Man gab Glucks Alceste, und die Le- vasseur, welche die Titelrolle spielte, sang am Ende des 2ten Aktes den Vers: „Durch seinen Tod zerreißt, zerfleischt er mir das Herz." Da rief ihr Marmontel zu: „Ach,, mein Fräulein, Sie zerreißen mir die Ohren." Sein Nachbar dagegen, entzückt durch die Schönheit der Stelle und durch die Art, mit der sie vorgetragen wurde, entgegnete: „Das wäre ein Glück für Sie, mein Herr, wenn Sie ein Paar andere- dafür bekämen." Der Nachbar war der Abbe Arnaud. In einem mu¬ sikalischen Streit damit anfangen, daß man einander bei den Ohren faßt, das scheint ganz natürlich, bemerkt ein Schriftsteller jener Zeit; aber zwei Mitglieder der Akademie, zwei Mitarbeiter der Encyclopädie! Von einem solchen dein Publicum gegebenen Aergerniß konnte die Phi¬ losophie keines großen Vortheil ziehen. Man hörte auch in der That nichts weiter davon, daß Marmontel seine Ohren gegen die Beleidigung in Schutz genommen, die der kunstische Mbe ihnen angethan. -

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/277
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/277>, abgerufen am 23.07.2024.