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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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dem Charakter der Handlung, die man vor seinen Augen zu entrollen
im Begriff ist, einen Vorbegriff geben, und ihm den Gegenstand der
Oper anzeigen müsse; daß die Anwendung der Instrumente mit dem
Grade des Interesses und der Leidenschaft in einem bestimmten Verhältnisse
stehen, und daß man endlich vermeiden müsse, in dem musikalischen Dia¬
log eine allzu merkbare Verschiedenheit zwischen Arie und Recitativ zu
lassen, damit die Bewegung und die Wärme der scenischen Darstellung
nicht unterbrochen würde. Von der Ansicht ausgehend, daß er seine
Arbeit darauf beschränken müsse, eine schöne Einfachheit aufzufinden,
vermied er es, auf Kosten der Klarheit Schwierigkeiten zu häufen. Eine
Neuigkeit aufzufinden, hatte für ihn keinen Werth, wenn sie nicht auf
natürlichem Wege von der Situation herbeigeführt, und in strengem Zu¬
sammenhang mit dem Ausdrucke stand. Uebrigens gestand er offen ein,
daß es ein Glück für ihn sei, einen Dichter, wie Calzabigi gesunden
Zu haben; denn dieser, der, seinerseits einen neuen Plan für lyrische
Dramen sich ausgesonnen, hatte blumigte Beschreibungen, unnütze Be¬
gleichungen, kalte moralische Sentenzen und Gemeinplätze durch starke
Leidenschaften, interessante Situationen, die Sprache des Herzens, und
ein stets abwechselndes Schauspiel zu ersetzen gesucht. Dies sind im Aus-
Zuge die Hauptprincipien, die Gluck in seiner Widmung der Alceste
entwickelt.

Obgleich Gluck am Schlüsse dieses Glaubeiwbekenntmsscö sich zu
dem Empfang Glück wünscht, der seiner Alceste, der Qper, die als
ein erstes Probestück seiner neuen Ideen gelten könne, in Deutschland
geworden sei; so ist es nur zu gewiß, daß dieses Werk beim Publikum
keinen Beifall fand, und daß er nur von Seiten des Hofes und einiger
Freunde Lobeserhebungen darüber empfing. Seine Landsleute verschon¬
ten ihn nicht mit bittern Krittlet:, und indem sie von den Neuerungen
sprachen, die er in das System des musikalischen Drama's eingeführt
hatte, erklärten die deutschen Journalisten, daß sie nur für die Franzo¬
sen gut wären. Gluck ward von diesen Angriffen, denen er in seiner
Heimath ausgesetzt war, tief verletzt, und bei Gelegenheit der Veröffent¬
lichung seiner Partitur Paris und Helena giebt er seinen Aerger of¬
fen kund/ "Man hat geglaubt," sagt er, "über Ale este zu einem Ur¬
theile berechtigt zu sein, auf den Grund unförmlicher, schlecht dirigirter,
und noch schlechter ausgeführter Proben; man hat in einem Zimmer
die Wirkung berechnet, die diese Oper auf dem Theater hervorbringen
kann. Das erinnert an den Scharfsinn jener griechischen Kritiker, welche


dem Charakter der Handlung, die man vor seinen Augen zu entrollen
im Begriff ist, einen Vorbegriff geben, und ihm den Gegenstand der
Oper anzeigen müsse; daß die Anwendung der Instrumente mit dem
Grade des Interesses und der Leidenschaft in einem bestimmten Verhältnisse
stehen, und daß man endlich vermeiden müsse, in dem musikalischen Dia¬
log eine allzu merkbare Verschiedenheit zwischen Arie und Recitativ zu
lassen, damit die Bewegung und die Wärme der scenischen Darstellung
nicht unterbrochen würde. Von der Ansicht ausgehend, daß er seine
Arbeit darauf beschränken müsse, eine schöne Einfachheit aufzufinden,
vermied er es, auf Kosten der Klarheit Schwierigkeiten zu häufen. Eine
Neuigkeit aufzufinden, hatte für ihn keinen Werth, wenn sie nicht auf
natürlichem Wege von der Situation herbeigeführt, und in strengem Zu¬
sammenhang mit dem Ausdrucke stand. Uebrigens gestand er offen ein,
daß es ein Glück für ihn sei, einen Dichter, wie Calzabigi gesunden
Zu haben; denn dieser, der, seinerseits einen neuen Plan für lyrische
Dramen sich ausgesonnen, hatte blumigte Beschreibungen, unnütze Be¬
gleichungen, kalte moralische Sentenzen und Gemeinplätze durch starke
Leidenschaften, interessante Situationen, die Sprache des Herzens, und
ein stets abwechselndes Schauspiel zu ersetzen gesucht. Dies sind im Aus-
Zuge die Hauptprincipien, die Gluck in seiner Widmung der Alceste
entwickelt.

Obgleich Gluck am Schlüsse dieses Glaubeiwbekenntmsscö sich zu
dem Empfang Glück wünscht, der seiner Alceste, der Qper, die als
ein erstes Probestück seiner neuen Ideen gelten könne, in Deutschland
geworden sei; so ist es nur zu gewiß, daß dieses Werk beim Publikum
keinen Beifall fand, und daß er nur von Seiten des Hofes und einiger
Freunde Lobeserhebungen darüber empfing. Seine Landsleute verschon¬
ten ihn nicht mit bittern Krittlet:, und indem sie von den Neuerungen
sprachen, die er in das System des musikalischen Drama's eingeführt
hatte, erklärten die deutschen Journalisten, daß sie nur für die Franzo¬
sen gut wären. Gluck ward von diesen Angriffen, denen er in seiner
Heimath ausgesetzt war, tief verletzt, und bei Gelegenheit der Veröffent¬
lichung seiner Partitur Paris und Helena giebt er seinen Aerger of¬
fen kund/ „Man hat geglaubt," sagt er, „über Ale este zu einem Ur¬
theile berechtigt zu sein, auf den Grund unförmlicher, schlecht dirigirter,
und noch schlechter ausgeführter Proben; man hat in einem Zimmer
die Wirkung berechnet, die diese Oper auf dem Theater hervorbringen
kann. Das erinnert an den Scharfsinn jener griechischen Kritiker, welche


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[0268] dem Charakter der Handlung, die man vor seinen Augen zu entrollen im Begriff ist, einen Vorbegriff geben, und ihm den Gegenstand der Oper anzeigen müsse; daß die Anwendung der Instrumente mit dem Grade des Interesses und der Leidenschaft in einem bestimmten Verhältnisse stehen, und daß man endlich vermeiden müsse, in dem musikalischen Dia¬ log eine allzu merkbare Verschiedenheit zwischen Arie und Recitativ zu lassen, damit die Bewegung und die Wärme der scenischen Darstellung nicht unterbrochen würde. Von der Ansicht ausgehend, daß er seine Arbeit darauf beschränken müsse, eine schöne Einfachheit aufzufinden, vermied er es, auf Kosten der Klarheit Schwierigkeiten zu häufen. Eine Neuigkeit aufzufinden, hatte für ihn keinen Werth, wenn sie nicht auf natürlichem Wege von der Situation herbeigeführt, und in strengem Zu¬ sammenhang mit dem Ausdrucke stand. Uebrigens gestand er offen ein, daß es ein Glück für ihn sei, einen Dichter, wie Calzabigi gesunden Zu haben; denn dieser, der, seinerseits einen neuen Plan für lyrische Dramen sich ausgesonnen, hatte blumigte Beschreibungen, unnütze Be¬ gleichungen, kalte moralische Sentenzen und Gemeinplätze durch starke Leidenschaften, interessante Situationen, die Sprache des Herzens, und ein stets abwechselndes Schauspiel zu ersetzen gesucht. Dies sind im Aus- Zuge die Hauptprincipien, die Gluck in seiner Widmung der Alceste entwickelt. Obgleich Gluck am Schlüsse dieses Glaubeiwbekenntmsscö sich zu dem Empfang Glück wünscht, der seiner Alceste, der Qper, die als ein erstes Probestück seiner neuen Ideen gelten könne, in Deutschland geworden sei; so ist es nur zu gewiß, daß dieses Werk beim Publikum keinen Beifall fand, und daß er nur von Seiten des Hofes und einiger Freunde Lobeserhebungen darüber empfing. Seine Landsleute verschon¬ ten ihn nicht mit bittern Krittlet:, und indem sie von den Neuerungen sprachen, die er in das System des musikalischen Drama's eingeführt hatte, erklärten die deutschen Journalisten, daß sie nur für die Franzo¬ sen gut wären. Gluck ward von diesen Angriffen, denen er in seiner Heimath ausgesetzt war, tief verletzt, und bei Gelegenheit der Veröffent¬ lichung seiner Partitur Paris und Helena giebt er seinen Aerger of¬ fen kund/ „Man hat geglaubt," sagt er, „über Ale este zu einem Ur¬ theile berechtigt zu sein, auf den Grund unförmlicher, schlecht dirigirter, und noch schlechter ausgeführter Proben; man hat in einem Zimmer die Wirkung berechnet, die diese Oper auf dem Theater hervorbringen kann. Das erinnert an den Scharfsinn jener griechischen Kritiker, welche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/268>, abgerufen am 23.07.2024.