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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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weiß es? Wäre aus Mangel an Hülfe der Selbstmord hier wirklich
vollbracht worden, wie viel irrige Urtheile, wie viel für das Andenken
des Verstorbenen beleidigende Vermuthungen wurde man über die Be¬
weggründe dieser That aufgestellt haben.

Interessante Details enthält das Buch über eine Masse Dinge>
die täglich vor unsern Augen in den ungeheuren Ameisenhaufen vorge¬
hen, die wir große Städte nennen; Dinge, die unsere Gesundheit un"
endlich nahe angehen und von denen wir meistens nur geringe Kenntniß
haben. Milchfrauen', die ihr Lebenlang keine Kuh vor Augen gesehen
haben, verkaufen uns etwas Weißliches, das sie für Milch ansehen; die
medicinische Polizei belehrt uns ,'n Folge einer mit dieser Milch ange¬
stellten Untersuchung über die sehr eqnivoquen Ingredienzien, aus denen
dies fade und meist ungesunde Getränk besteht, das wir für Milch ge¬
halten haben. Mit tausend solchen Dingen beschäftigt sich die Wissen¬
schaft zu unserem Besten, und unaufhörlich wacht sie über die Erhaltung
unsers Daseins und die Beschützung unserer Gesundheit. Sie warnt
uns, treffliche Bonbons zu kaufen, die Grünspan enthalten; sie entlarvt
die Verfälschungen des Brodes; sie verhindert die Errichtung einer Fa¬
brik,, die in einem ganzen Stadtviertel die Pest verbreiten könnte; sie
lehrt uns den Sand aus dem Satz heraussuchen, und ein Dekoki von
Holzrinde vom Wein unterscheiden,, wofür es uns gewisse Leute verkau¬
fen wollen. Ebenso macht sie uns aufmerksam, was man uns für vor¬
treffliche Mahlzeiten aus wahrhaft namenlosen Bestandtheilen bereitet.
Und bei allen diesen und unendlich vielen andern Dingen, auf welche
die medicinische Polizei ihre Aufmerksamkeit lenkt, hat sie noch Zeit, uns
im Jahrbuch eine Masse kleiner Anekdoten zu erzählen, die wir unsern
Lesern gern mittheilen würden; allein man muß bei Auszügen aus Bü¬
chern gleichfalls eine gewisse medicinische Polizei handhaben, und eins
ihrer Hauptgesetze heißt: Mäßigung! Alles mit Maaß!




weiß es? Wäre aus Mangel an Hülfe der Selbstmord hier wirklich
vollbracht worden, wie viel irrige Urtheile, wie viel für das Andenken
des Verstorbenen beleidigende Vermuthungen wurde man über die Be¬
weggründe dieser That aufgestellt haben.

Interessante Details enthält das Buch über eine Masse Dinge>
die täglich vor unsern Augen in den ungeheuren Ameisenhaufen vorge¬
hen, die wir große Städte nennen; Dinge, die unsere Gesundheit un"
endlich nahe angehen und von denen wir meistens nur geringe Kenntniß
haben. Milchfrauen', die ihr Lebenlang keine Kuh vor Augen gesehen
haben, verkaufen uns etwas Weißliches, das sie für Milch ansehen; die
medicinische Polizei belehrt uns ,'n Folge einer mit dieser Milch ange¬
stellten Untersuchung über die sehr eqnivoquen Ingredienzien, aus denen
dies fade und meist ungesunde Getränk besteht, das wir für Milch ge¬
halten haben. Mit tausend solchen Dingen beschäftigt sich die Wissen¬
schaft zu unserem Besten, und unaufhörlich wacht sie über die Erhaltung
unsers Daseins und die Beschützung unserer Gesundheit. Sie warnt
uns, treffliche Bonbons zu kaufen, die Grünspan enthalten; sie entlarvt
die Verfälschungen des Brodes; sie verhindert die Errichtung einer Fa¬
brik,, die in einem ganzen Stadtviertel die Pest verbreiten könnte; sie
lehrt uns den Sand aus dem Satz heraussuchen, und ein Dekoki von
Holzrinde vom Wein unterscheiden,, wofür es uns gewisse Leute verkau¬
fen wollen. Ebenso macht sie uns aufmerksam, was man uns für vor¬
treffliche Mahlzeiten aus wahrhaft namenlosen Bestandtheilen bereitet.
Und bei allen diesen und unendlich vielen andern Dingen, auf welche
die medicinische Polizei ihre Aufmerksamkeit lenkt, hat sie noch Zeit, uns
im Jahrbuch eine Masse kleiner Anekdoten zu erzählen, die wir unsern
Lesern gern mittheilen würden; allein man muß bei Auszügen aus Bü¬
chern gleichfalls eine gewisse medicinische Polizei handhaben, und eins
ihrer Hauptgesetze heißt: Mäßigung! Alles mit Maaß!




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[0257] weiß es? Wäre aus Mangel an Hülfe der Selbstmord hier wirklich vollbracht worden, wie viel irrige Urtheile, wie viel für das Andenken des Verstorbenen beleidigende Vermuthungen wurde man über die Be¬ weggründe dieser That aufgestellt haben. Interessante Details enthält das Buch über eine Masse Dinge> die täglich vor unsern Augen in den ungeheuren Ameisenhaufen vorge¬ hen, die wir große Städte nennen; Dinge, die unsere Gesundheit un" endlich nahe angehen und von denen wir meistens nur geringe Kenntniß haben. Milchfrauen', die ihr Lebenlang keine Kuh vor Augen gesehen haben, verkaufen uns etwas Weißliches, das sie für Milch ansehen; die medicinische Polizei belehrt uns ,'n Folge einer mit dieser Milch ange¬ stellten Untersuchung über die sehr eqnivoquen Ingredienzien, aus denen dies fade und meist ungesunde Getränk besteht, das wir für Milch ge¬ halten haben. Mit tausend solchen Dingen beschäftigt sich die Wissen¬ schaft zu unserem Besten, und unaufhörlich wacht sie über die Erhaltung unsers Daseins und die Beschützung unserer Gesundheit. Sie warnt uns, treffliche Bonbons zu kaufen, die Grünspan enthalten; sie entlarvt die Verfälschungen des Brodes; sie verhindert die Errichtung einer Fa¬ brik,, die in einem ganzen Stadtviertel die Pest verbreiten könnte; sie lehrt uns den Sand aus dem Satz heraussuchen, und ein Dekoki von Holzrinde vom Wein unterscheiden,, wofür es uns gewisse Leute verkau¬ fen wollen. Ebenso macht sie uns aufmerksam, was man uns für vor¬ treffliche Mahlzeiten aus wahrhaft namenlosen Bestandtheilen bereitet. Und bei allen diesen und unendlich vielen andern Dingen, auf welche die medicinische Polizei ihre Aufmerksamkeit lenkt, hat sie noch Zeit, uns im Jahrbuch eine Masse kleiner Anekdoten zu erzählen, die wir unsern Lesern gern mittheilen würden; allein man muß bei Auszügen aus Bü¬ chern gleichfalls eine gewisse medicinische Polizei handhaben, und eins ihrer Hauptgesetze heißt: Mäßigung! Alles mit Maaß!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/257>, abgerufen am 24.07.2024.