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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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den Brettern eines der vorzüglicheren Theater zu zeigen, oder gar
festen Fuß dort zu fassen, dann ist sein Ruf für immer gegründet; er
wird das Eigenthum der Nation; sein Name, die Eigenthümlichkeit
seiner Spielweise ist der entlegensten Departmnentöstadt eben so bekannt,
wie in der Rue Richelieu und auf dem Voulevarcl an-s Italiens zu
Paris. Der deutsche Schauspieler hingegen kann in einer der vielen
großen Städte Deutschlands sehr berühmt sein, ohne daß man zwanzig
Meilen weiter seinen Namen nennt; die Lokalblätter in Hamburg und
in Braunschweig, in Prag und in Breslau, können tagtäglich ihn an¬
singen und vergöttern, und zehn Stunden weiter glaubt keine Seele an
dieses Gewäsch. Weder Wien noch Berlin ist die Hauptstadt Deutsch¬
lands, weder der Berliner noch Wiener Schauspieler hat als solcher eine
deutsche Celebrität. Soll man an seine Kunst glauben, so muß er
seine Siebenmeilenstiefel anlegen und Deutschland durchziehen, wie ein
Handwerksbursche von Stadt zu Stadt. Der französische Schauspieler
reist zur Erweiterung seines Vermögens; der deutsche zur Erweiterung
seines Rufes; jener kann im Voraus seinen Erfolg berechnen, dieser geht
einem Glückspicle entgegen, ° worin er leicht mehr Schaden als Nutzen
ernten kann. Wenn die Rachel nach Bordeaux reist, so kann sie einer
reichen Einnahme sicher sein; ihr sonstiger Triumph ist eine Nebensache,
die sich von selbst versteht; wenn die Rettich nach Frankfurt kömmt, so
steht nicht nur ihre Einnahme, sondern auch ihr persönlicher Erfolg noch
sehr im Zweifel. Ist die Rettich darum eine schlechtere Schauspielerin
als die Rachel? Nein. Aber der deutsche Geschmack ist nicht aus El-'
uem Gusse wie der französische; der rennomirteste deutsche Schauspieler
muß in jeder kleinen Stadt seinen Ruf von Neuem einsetzen, und das Trau¬
rige hiebei ist, daß das Gelingen nicht immer mit den: Verdienste Hand
in Hand geht. Eine Menge kleiner Umstände können sich vereinigen,
um den Erfolg eines gastirenden Schauspielers zu zerstören und ein sol¬
cher Schiffbruch hat nicht selten die übelsten Einwirkungen auf die wei¬
tere Laufbahn deö Künstlers. Der Ruf, den er bisher in seiner Hei¬
mat genossen, wird dadurch ohne sein Verschulden geschwächt, sein Ver¬
trauen zu sich fehlst erschüttert. Diejenigen, die mit Theaterverhältnißcn
genau bekannt sind, werden wissen, daß vor nicht langer Zeit der
Schauspieler Krüger, der in Berlin so gefeiert war, über das Mi߬
glücken seines Gastspieles in Wien in Wahnsinn verfallen ist. Doch ge¬
setzt auch der reisende Künstler hätte vor den Göttern im Parterre Gnade
gefunden, die allgemeine Stimme hätte sich für ihn ausgesprochen; aber


den Brettern eines der vorzüglicheren Theater zu zeigen, oder gar
festen Fuß dort zu fassen, dann ist sein Ruf für immer gegründet; er
wird das Eigenthum der Nation; sein Name, die Eigenthümlichkeit
seiner Spielweise ist der entlegensten Departmnentöstadt eben so bekannt,
wie in der Rue Richelieu und auf dem Voulevarcl an-s Italiens zu
Paris. Der deutsche Schauspieler hingegen kann in einer der vielen
großen Städte Deutschlands sehr berühmt sein, ohne daß man zwanzig
Meilen weiter seinen Namen nennt; die Lokalblätter in Hamburg und
in Braunschweig, in Prag und in Breslau, können tagtäglich ihn an¬
singen und vergöttern, und zehn Stunden weiter glaubt keine Seele an
dieses Gewäsch. Weder Wien noch Berlin ist die Hauptstadt Deutsch¬
lands, weder der Berliner noch Wiener Schauspieler hat als solcher eine
deutsche Celebrität. Soll man an seine Kunst glauben, so muß er
seine Siebenmeilenstiefel anlegen und Deutschland durchziehen, wie ein
Handwerksbursche von Stadt zu Stadt. Der französische Schauspieler
reist zur Erweiterung seines Vermögens; der deutsche zur Erweiterung
seines Rufes; jener kann im Voraus seinen Erfolg berechnen, dieser geht
einem Glückspicle entgegen, ° worin er leicht mehr Schaden als Nutzen
ernten kann. Wenn die Rachel nach Bordeaux reist, so kann sie einer
reichen Einnahme sicher sein; ihr sonstiger Triumph ist eine Nebensache,
die sich von selbst versteht; wenn die Rettich nach Frankfurt kömmt, so
steht nicht nur ihre Einnahme, sondern auch ihr persönlicher Erfolg noch
sehr im Zweifel. Ist die Rettich darum eine schlechtere Schauspielerin
als die Rachel? Nein. Aber der deutsche Geschmack ist nicht aus El-'
uem Gusse wie der französische; der rennomirteste deutsche Schauspieler
muß in jeder kleinen Stadt seinen Ruf von Neuem einsetzen, und das Trau¬
rige hiebei ist, daß das Gelingen nicht immer mit den: Verdienste Hand
in Hand geht. Eine Menge kleiner Umstände können sich vereinigen,
um den Erfolg eines gastirenden Schauspielers zu zerstören und ein sol¬
cher Schiffbruch hat nicht selten die übelsten Einwirkungen auf die wei¬
tere Laufbahn deö Künstlers. Der Ruf, den er bisher in seiner Hei¬
mat genossen, wird dadurch ohne sein Verschulden geschwächt, sein Ver¬
trauen zu sich fehlst erschüttert. Diejenigen, die mit Theaterverhältnißcn
genau bekannt sind, werden wissen, daß vor nicht langer Zeit der
Schauspieler Krüger, der in Berlin so gefeiert war, über das Mi߬
glücken seines Gastspieles in Wien in Wahnsinn verfallen ist. Doch ge¬
setzt auch der reisende Künstler hätte vor den Göttern im Parterre Gnade
gefunden, die allgemeine Stimme hätte sich für ihn ausgesprochen; aber


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[0143] den Brettern eines der vorzüglicheren Theater zu zeigen, oder gar festen Fuß dort zu fassen, dann ist sein Ruf für immer gegründet; er wird das Eigenthum der Nation; sein Name, die Eigenthümlichkeit seiner Spielweise ist der entlegensten Departmnentöstadt eben so bekannt, wie in der Rue Richelieu und auf dem Voulevarcl an-s Italiens zu Paris. Der deutsche Schauspieler hingegen kann in einer der vielen großen Städte Deutschlands sehr berühmt sein, ohne daß man zwanzig Meilen weiter seinen Namen nennt; die Lokalblätter in Hamburg und in Braunschweig, in Prag und in Breslau, können tagtäglich ihn an¬ singen und vergöttern, und zehn Stunden weiter glaubt keine Seele an dieses Gewäsch. Weder Wien noch Berlin ist die Hauptstadt Deutsch¬ lands, weder der Berliner noch Wiener Schauspieler hat als solcher eine deutsche Celebrität. Soll man an seine Kunst glauben, so muß er seine Siebenmeilenstiefel anlegen und Deutschland durchziehen, wie ein Handwerksbursche von Stadt zu Stadt. Der französische Schauspieler reist zur Erweiterung seines Vermögens; der deutsche zur Erweiterung seines Rufes; jener kann im Voraus seinen Erfolg berechnen, dieser geht einem Glückspicle entgegen, ° worin er leicht mehr Schaden als Nutzen ernten kann. Wenn die Rachel nach Bordeaux reist, so kann sie einer reichen Einnahme sicher sein; ihr sonstiger Triumph ist eine Nebensache, die sich von selbst versteht; wenn die Rettich nach Frankfurt kömmt, so steht nicht nur ihre Einnahme, sondern auch ihr persönlicher Erfolg noch sehr im Zweifel. Ist die Rettich darum eine schlechtere Schauspielerin als die Rachel? Nein. Aber der deutsche Geschmack ist nicht aus El-' uem Gusse wie der französische; der rennomirteste deutsche Schauspieler muß in jeder kleinen Stadt seinen Ruf von Neuem einsetzen, und das Trau¬ rige hiebei ist, daß das Gelingen nicht immer mit den: Verdienste Hand in Hand geht. Eine Menge kleiner Umstände können sich vereinigen, um den Erfolg eines gastirenden Schauspielers zu zerstören und ein sol¬ cher Schiffbruch hat nicht selten die übelsten Einwirkungen auf die wei¬ tere Laufbahn deö Künstlers. Der Ruf, den er bisher in seiner Hei¬ mat genossen, wird dadurch ohne sein Verschulden geschwächt, sein Ver¬ trauen zu sich fehlst erschüttert. Diejenigen, die mit Theaterverhältnißcn genau bekannt sind, werden wissen, daß vor nicht langer Zeit der Schauspieler Krüger, der in Berlin so gefeiert war, über das Mi߬ glücken seines Gastspieles in Wien in Wahnsinn verfallen ist. Doch ge¬ setzt auch der reisende Künstler hätte vor den Göttern im Parterre Gnade gefunden, die allgemeine Stimme hätte sich für ihn ausgesprochen; aber

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/143>, abgerufen am 23.07.2024.