Principien, in Schiller ans einen verwandten Geist. Das Nachdenken über- die schöpferische Kraft fHrte mit dem abscheidenden Jahrhundert auf den "gefährlichen Höhepunkt, wo die Poesie vom > Baume der kenntniß brach und von wo ein für die nächste Zukunft ihr Fall unver¬ meidlich schien/,. Doch ist dieser Fall bei Schiller, der am weitesten auf jener Bahn vorschritt, nicht eingetreten. Wenn Bewußtheit und Pro¬ duktivität sich beeinträchtigen, so ist es immer ein Mangel in der einen oder der andern. Göthe seinerseits war auch nicht ohne Theorie, schoy der Briefwechsel mit Schiller giebt dafür Zeugniß. Darin aber muß man Gervinus beistimmen, wenn er hinzufügt, "die Bewußtheit sei ein Reichthum, den keine andere Poesiegeschichte so leicht werde ausweisen, können//. Wir brauchen dies nicht aus einer vorwaltend wissenschaftli¬ chen Anlage des deutschen Volks herzuleiten; die poetische Anlage hat wenigstens keinen geringern Antheil an seiner Bildung, und es scheint der deutsche Geist für alle freien Werken den gleichen Beruf zusahen. In den Abtheilungen "gemeinsame Thätigkeit" Und "Schauspiel" wird der für deutsche Poesie so fruchtbare Bund zwischen Schiller und Göthe besprochen, ein Verhältniß zweier gleichstehenden Männer, gegründet, wie Schiller sagte, "auf wechselseitige Perfektibilität", wie Göthe, //auf Ergänzung//. Sie schlössen den Bund zwischen //Natur und Freiheit//, wodurch Schiller der Erfahrung, Göthe dem Gesetze näher gebracht wurde. //Zwischen Aristoteles und Plato", sagt Gervinus, //zwischen Zeno und Epikur, zwischen Rousseau und Voltaire, Ariost und Tasso, Lope und Calderon, Wolfram und Gottfried hat sich der Streit nie ge¬ schlichtet und wird sich nie schlichten; noch zwischen Herder und Lessing, Zwischen Wieland und Klopstock liegt diese Kluft, über die diese Män¬ ner selbst nicht hinweg konnten. Daß Göthe und Schiller diesen eigen-- sinnigen Abschluß überwanden und in der Anschauung ihrer himmelweit getrennten Naturen einen Genuß fanden, dies war das erfreuliche Zei¬ chen,, daß jene ächte Cultur und Menschheit, die sie anstrebten, jene Versöhnung von Natur und Geist, unter uns möglich geworden ist//. Die vereinte Thätigkeit Göthes und Schillers ist durch eine Reihe Un¬ ternehmungen bezeichnet, welche beweisen, wie sehr sie auf einander ein¬ zugehen^ verstanden. Die Hören, der Musenalmanach, die Xenien, die Balladen und lyrischen Gedichte waren die Vorläufer zu größeren Schöpfungen. Göthe arbeitet am Meister, am Faust, er erhebt sich in Hermann und Dorothea aus der- Idylle ins Epos. Schiller greift, nach mehrjähriger-Unterbrechung, aufs neue zum Drama. Der Wal-
16
Principien, in Schiller ans einen verwandten Geist. Das Nachdenken über- die schöpferische Kraft fHrte mit dem abscheidenden Jahrhundert auf den "gefährlichen Höhepunkt, wo die Poesie vom > Baume der kenntniß brach und von wo ein für die nächste Zukunft ihr Fall unver¬ meidlich schien/,. Doch ist dieser Fall bei Schiller, der am weitesten auf jener Bahn vorschritt, nicht eingetreten. Wenn Bewußtheit und Pro¬ duktivität sich beeinträchtigen, so ist es immer ein Mangel in der einen oder der andern. Göthe seinerseits war auch nicht ohne Theorie, schoy der Briefwechsel mit Schiller giebt dafür Zeugniß. Darin aber muß man Gervinus beistimmen, wenn er hinzufügt, "die Bewußtheit sei ein Reichthum, den keine andere Poesiegeschichte so leicht werde ausweisen, können//. Wir brauchen dies nicht aus einer vorwaltend wissenschaftli¬ chen Anlage des deutschen Volks herzuleiten; die poetische Anlage hat wenigstens keinen geringern Antheil an seiner Bildung, und es scheint der deutsche Geist für alle freien Werken den gleichen Beruf zusahen. In den Abtheilungen „gemeinsame Thätigkeit" Und „Schauspiel" wird der für deutsche Poesie so fruchtbare Bund zwischen Schiller und Göthe besprochen, ein Verhältniß zweier gleichstehenden Männer, gegründet, wie Schiller sagte, „auf wechselseitige Perfektibilität", wie Göthe, //auf Ergänzung//. Sie schlössen den Bund zwischen //Natur und Freiheit//, wodurch Schiller der Erfahrung, Göthe dem Gesetze näher gebracht wurde. //Zwischen Aristoteles und Plato", sagt Gervinus, //zwischen Zeno und Epikur, zwischen Rousseau und Voltaire, Ariost und Tasso, Lope und Calderon, Wolfram und Gottfried hat sich der Streit nie ge¬ schlichtet und wird sich nie schlichten; noch zwischen Herder und Lessing, Zwischen Wieland und Klopstock liegt diese Kluft, über die diese Män¬ ner selbst nicht hinweg konnten. Daß Göthe und Schiller diesen eigen-- sinnigen Abschluß überwanden und in der Anschauung ihrer himmelweit getrennten Naturen einen Genuß fanden, dies war das erfreuliche Zei¬ chen,, daß jene ächte Cultur und Menschheit, die sie anstrebten, jene Versöhnung von Natur und Geist, unter uns möglich geworden ist//. Die vereinte Thätigkeit Göthes und Schillers ist durch eine Reihe Un¬ ternehmungen bezeichnet, welche beweisen, wie sehr sie auf einander ein¬ zugehen^ verstanden. Die Hören, der Musenalmanach, die Xenien, die Balladen und lyrischen Gedichte waren die Vorläufer zu größeren Schöpfungen. Göthe arbeitet am Meister, am Faust, er erhebt sich in Hermann und Dorothea aus der- Idylle ins Epos. Schiller greift, nach mehrjähriger-Unterbrechung, aufs neue zum Drama. Der Wal-
16
<TEI><text><body><div><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0101"corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/267316"/><pxml:id="ID_644"prev="#ID_643"next="#ID_645"> Principien, in Schiller ans einen verwandten Geist. Das Nachdenken<lb/>
über- die schöpferische Kraft fHrte mit dem abscheidenden Jahrhundert<lb/>
auf den "gefährlichen Höhepunkt, wo die Poesie vom > Baume der<lb/>
kenntniß brach und von wo ein für die nächste Zukunft ihr Fall unver¬<lb/>
meidlich schien/,. Doch ist dieser Fall bei Schiller, der am weitesten auf<lb/>
jener Bahn vorschritt, nicht eingetreten. Wenn Bewußtheit und Pro¬<lb/>
duktivität sich beeinträchtigen, so ist es immer ein Mangel in der einen<lb/>
oder der andern. Göthe seinerseits war auch nicht ohne Theorie, schoy<lb/>
der Briefwechsel mit Schiller giebt dafür Zeugniß. Darin aber muß<lb/>
man Gervinus beistimmen, wenn er hinzufügt, "die Bewußtheit sei ein<lb/>
Reichthum, den keine andere Poesiegeschichte so leicht werde ausweisen,<lb/>
können//. Wir brauchen dies nicht aus einer vorwaltend wissenschaftli¬<lb/>
chen Anlage des deutschen Volks herzuleiten; die poetische Anlage hat<lb/>
wenigstens keinen geringern Antheil an seiner Bildung, und es scheint<lb/>
der deutsche Geist für alle freien Werken den gleichen Beruf zusahen.<lb/>
In den Abtheilungen „gemeinsame Thätigkeit" Und „Schauspiel" wird<lb/>
der für deutsche Poesie so fruchtbare Bund zwischen Schiller und Göthe<lb/>
besprochen, ein Verhältniß zweier gleichstehenden Männer, gegründet,<lb/>
wie Schiller sagte, „auf wechselseitige Perfektibilität", wie Göthe, //auf<lb/>
Ergänzung//. Sie schlössen den Bund zwischen //Natur und Freiheit//,<lb/>
wodurch Schiller der Erfahrung, Göthe dem Gesetze näher gebracht<lb/>
wurde. //Zwischen Aristoteles und Plato", sagt Gervinus, //zwischen<lb/>
Zeno und Epikur, zwischen Rousseau und Voltaire, Ariost und Tasso,<lb/>
Lope und Calderon, Wolfram und Gottfried hat sich der Streit nie ge¬<lb/>
schlichtet und wird sich nie schlichten; noch zwischen Herder und Lessing,<lb/>
Zwischen Wieland und Klopstock liegt diese Kluft, über die diese Män¬<lb/>
ner selbst nicht hinweg konnten. Daß Göthe und Schiller diesen eigen--<lb/>
sinnigen Abschluß überwanden und in der Anschauung ihrer himmelweit<lb/>
getrennten Naturen einen Genuß fanden, dies war das erfreuliche Zei¬<lb/>
chen,, daß jene ächte Cultur und Menschheit, die sie anstrebten, jene<lb/>
Versöhnung von Natur und Geist, unter uns möglich geworden ist//.<lb/>
Die vereinte Thätigkeit Göthes und Schillers ist durch eine Reihe Un¬<lb/>
ternehmungen bezeichnet, welche beweisen, wie sehr sie auf einander ein¬<lb/>
zugehen^ verstanden. Die Hören, der Musenalmanach, die Xenien, die<lb/>
Balladen und lyrischen Gedichte waren die Vorläufer zu größeren<lb/>
Schöpfungen. Göthe arbeitet am Meister, am Faust, er erhebt sich in<lb/>
Hermann und Dorothea aus der- Idylle ins Epos. Schiller greift,<lb/>
nach mehrjähriger-Unterbrechung, aufs neue zum Drama. Der Wal-</p><lb/><fwtype="sig"place="bottom"> 16</fw><lb/></div></div></div></body></text></TEI>
[0101]
Principien, in Schiller ans einen verwandten Geist. Das Nachdenken
über- die schöpferische Kraft fHrte mit dem abscheidenden Jahrhundert
auf den "gefährlichen Höhepunkt, wo die Poesie vom > Baume der
kenntniß brach und von wo ein für die nächste Zukunft ihr Fall unver¬
meidlich schien/,. Doch ist dieser Fall bei Schiller, der am weitesten auf
jener Bahn vorschritt, nicht eingetreten. Wenn Bewußtheit und Pro¬
duktivität sich beeinträchtigen, so ist es immer ein Mangel in der einen
oder der andern. Göthe seinerseits war auch nicht ohne Theorie, schoy
der Briefwechsel mit Schiller giebt dafür Zeugniß. Darin aber muß
man Gervinus beistimmen, wenn er hinzufügt, "die Bewußtheit sei ein
Reichthum, den keine andere Poesiegeschichte so leicht werde ausweisen,
können//. Wir brauchen dies nicht aus einer vorwaltend wissenschaftli¬
chen Anlage des deutschen Volks herzuleiten; die poetische Anlage hat
wenigstens keinen geringern Antheil an seiner Bildung, und es scheint
der deutsche Geist für alle freien Werken den gleichen Beruf zusahen.
In den Abtheilungen „gemeinsame Thätigkeit" Und „Schauspiel" wird
der für deutsche Poesie so fruchtbare Bund zwischen Schiller und Göthe
besprochen, ein Verhältniß zweier gleichstehenden Männer, gegründet,
wie Schiller sagte, „auf wechselseitige Perfektibilität", wie Göthe, //auf
Ergänzung//. Sie schlössen den Bund zwischen //Natur und Freiheit//,
wodurch Schiller der Erfahrung, Göthe dem Gesetze näher gebracht
wurde. //Zwischen Aristoteles und Plato", sagt Gervinus, //zwischen
Zeno und Epikur, zwischen Rousseau und Voltaire, Ariost und Tasso,
Lope und Calderon, Wolfram und Gottfried hat sich der Streit nie ge¬
schlichtet und wird sich nie schlichten; noch zwischen Herder und Lessing,
Zwischen Wieland und Klopstock liegt diese Kluft, über die diese Män¬
ner selbst nicht hinweg konnten. Daß Göthe und Schiller diesen eigen--
sinnigen Abschluß überwanden und in der Anschauung ihrer himmelweit
getrennten Naturen einen Genuß fanden, dies war das erfreuliche Zei¬
chen,, daß jene ächte Cultur und Menschheit, die sie anstrebten, jene
Versöhnung von Natur und Geist, unter uns möglich geworden ist//.
Die vereinte Thätigkeit Göthes und Schillers ist durch eine Reihe Un¬
ternehmungen bezeichnet, welche beweisen, wie sehr sie auf einander ein¬
zugehen^ verstanden. Die Hören, der Musenalmanach, die Xenien, die
Balladen und lyrischen Gedichte waren die Vorläufer zu größeren
Schöpfungen. Göthe arbeitet am Meister, am Faust, er erhebt sich in
Hermann und Dorothea aus der- Idylle ins Epos. Schiller greift,
nach mehrjähriger-Unterbrechung, aufs neue zum Drama. Der Wal-
16
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:
Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.
Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;
Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/101>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.