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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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Publikums Preis zu geben, und wir sind überzeugt, daß olle unsere Eollegen uns
hierin unterstützen werden.

--Diese Pariser Lustspieldichter! Keine ehrliche Frau, kein guter Ruf
ist vor ihnen sicher- Nachdem sie ihre eigene Geschichte ausgeplündert haben
und alle ihre berühmten und unberühmter Königinnen, Dichterinnen und Mai¬
tressen auf die Bühne gebracht, schifften sie nach England über und holten
sich da die Marlborough, die Königin Anna u. s. w. Dann ging es nach
Rußland und Katharina II. mußte in hundert Stücken mit ihren Licbesintri-
guen herhalten. Nun kommt die Reihe an Deutschland; Maria Theresia be¬
ginnt den Reigen. Madame Ancclot hat ein neues Stück geschrieben, "ein
Krieg im Kleinen" betitelt; die schöne und tugendhafte österreichische Kaise¬
rin ist die Heldin desselben. Und nochmals Katharina II. Die beiden Kai¬
serinnen treffen in Ungarn zusammen, um eine Allianz zu schließen. Die hi¬
storische Treue ist, wie man sieht, mir großer Gewissenhaftigkeit beobachtet.
Katharina ist eifersüchtig auf die größere Huldigung, die Maria Theresia
überall findet; sie grübelt der Ursache nach und findet dieselbe in der Tugend
und Sittenreinheit ihrer deutschen Rivalin. Sie beschließt dieselbe zu ver¬
führen oder zum Wenigsten ihren Ruf zu beflecken. Die Gelegenheit bleibt
nicht aus. Ein junger ungarischer Edelmann ist fast wahnsinnig in seine
junge Kaiserin verliebt und diese (die bekanntlich ihrem Gatten so treu
anhing, daß sie bis zu ihrem Tode die Trauerkleider um denselben nicht
ablegte) scheint dieses Gefühl zu erwiedern. Vergebens aber bemüht sich
Katharina, eine Zusammenkunft der beiden herbeizuführen und zu über¬
raschen. Endlich fängt sie einen Brief auf, den der junge Ungar an Maria
Theresia zu schreiben wagt. Sie liest ihn in Gegenwart ihres ganzen
Hofes vor; jener, darüber empört, entreißt ihn in höchster Wuth ihrer
Hand. Sie läßt ihn in's Gefängniß werfen (Alles in Ungarn!) und droht der
Kaiserin mit seinem Tode, wenn diese nicht ihre Liebe eingestehe. Da erscheint
als Osiis ex inilvlnni" der Prince de Ligne, der witzige, spöttische Hofmann
(der in Wien 1815 starb). Er hat heimlich den rasenden Liebhaber befreit
und aus Mitleiden die Kaiserin von ihrer Angst erlöst. Der Schluß ist noch
das beste. Maria Theresia verbannt den jungen Unbesonnenen aus dem Lande
und bleibt rein, während Katharina mit ihrem Orloff an der Seite beschämt
abzieht. Punctum. Ob Herr Castelli wohl dieses Lustspiel übersetzen wird?




Publikums Preis zu geben, und wir sind überzeugt, daß olle unsere Eollegen uns
hierin unterstützen werden.

--Diese Pariser Lustspieldichter! Keine ehrliche Frau, kein guter Ruf
ist vor ihnen sicher- Nachdem sie ihre eigene Geschichte ausgeplündert haben
und alle ihre berühmten und unberühmter Königinnen, Dichterinnen und Mai¬
tressen auf die Bühne gebracht, schifften sie nach England über und holten
sich da die Marlborough, die Königin Anna u. s. w. Dann ging es nach
Rußland und Katharina II. mußte in hundert Stücken mit ihren Licbesintri-
guen herhalten. Nun kommt die Reihe an Deutschland; Maria Theresia be¬
ginnt den Reigen. Madame Ancclot hat ein neues Stück geschrieben, „ein
Krieg im Kleinen" betitelt; die schöne und tugendhafte österreichische Kaise¬
rin ist die Heldin desselben. Und nochmals Katharina II. Die beiden Kai¬
serinnen treffen in Ungarn zusammen, um eine Allianz zu schließen. Die hi¬
storische Treue ist, wie man sieht, mir großer Gewissenhaftigkeit beobachtet.
Katharina ist eifersüchtig auf die größere Huldigung, die Maria Theresia
überall findet; sie grübelt der Ursache nach und findet dieselbe in der Tugend
und Sittenreinheit ihrer deutschen Rivalin. Sie beschließt dieselbe zu ver¬
führen oder zum Wenigsten ihren Ruf zu beflecken. Die Gelegenheit bleibt
nicht aus. Ein junger ungarischer Edelmann ist fast wahnsinnig in seine
junge Kaiserin verliebt und diese (die bekanntlich ihrem Gatten so treu
anhing, daß sie bis zu ihrem Tode die Trauerkleider um denselben nicht
ablegte) scheint dieses Gefühl zu erwiedern. Vergebens aber bemüht sich
Katharina, eine Zusammenkunft der beiden herbeizuführen und zu über¬
raschen. Endlich fängt sie einen Brief auf, den der junge Ungar an Maria
Theresia zu schreiben wagt. Sie liest ihn in Gegenwart ihres ganzen
Hofes vor; jener, darüber empört, entreißt ihn in höchster Wuth ihrer
Hand. Sie läßt ihn in's Gefängniß werfen (Alles in Ungarn!) und droht der
Kaiserin mit seinem Tode, wenn diese nicht ihre Liebe eingestehe. Da erscheint
als Osiis ex inilvlnni» der Prince de Ligne, der witzige, spöttische Hofmann
(der in Wien 1815 starb). Er hat heimlich den rasenden Liebhaber befreit
und aus Mitleiden die Kaiserin von ihrer Angst erlöst. Der Schluß ist noch
das beste. Maria Theresia verbannt den jungen Unbesonnenen aus dem Lande
und bleibt rein, während Katharina mit ihrem Orloff an der Seite beschämt
abzieht. Punctum. Ob Herr Castelli wohl dieses Lustspiel übersetzen wird?




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[0543] Publikums Preis zu geben, und wir sind überzeugt, daß olle unsere Eollegen uns hierin unterstützen werden. --Diese Pariser Lustspieldichter! Keine ehrliche Frau, kein guter Ruf ist vor ihnen sicher- Nachdem sie ihre eigene Geschichte ausgeplündert haben und alle ihre berühmten und unberühmter Königinnen, Dichterinnen und Mai¬ tressen auf die Bühne gebracht, schifften sie nach England über und holten sich da die Marlborough, die Königin Anna u. s. w. Dann ging es nach Rußland und Katharina II. mußte in hundert Stücken mit ihren Licbesintri- guen herhalten. Nun kommt die Reihe an Deutschland; Maria Theresia be¬ ginnt den Reigen. Madame Ancclot hat ein neues Stück geschrieben, „ein Krieg im Kleinen" betitelt; die schöne und tugendhafte österreichische Kaise¬ rin ist die Heldin desselben. Und nochmals Katharina II. Die beiden Kai¬ serinnen treffen in Ungarn zusammen, um eine Allianz zu schließen. Die hi¬ storische Treue ist, wie man sieht, mir großer Gewissenhaftigkeit beobachtet. Katharina ist eifersüchtig auf die größere Huldigung, die Maria Theresia überall findet; sie grübelt der Ursache nach und findet dieselbe in der Tugend und Sittenreinheit ihrer deutschen Rivalin. Sie beschließt dieselbe zu ver¬ führen oder zum Wenigsten ihren Ruf zu beflecken. Die Gelegenheit bleibt nicht aus. Ein junger ungarischer Edelmann ist fast wahnsinnig in seine junge Kaiserin verliebt und diese (die bekanntlich ihrem Gatten so treu anhing, daß sie bis zu ihrem Tode die Trauerkleider um denselben nicht ablegte) scheint dieses Gefühl zu erwiedern. Vergebens aber bemüht sich Katharina, eine Zusammenkunft der beiden herbeizuführen und zu über¬ raschen. Endlich fängt sie einen Brief auf, den der junge Ungar an Maria Theresia zu schreiben wagt. Sie liest ihn in Gegenwart ihres ganzen Hofes vor; jener, darüber empört, entreißt ihn in höchster Wuth ihrer Hand. Sie läßt ihn in's Gefängniß werfen (Alles in Ungarn!) und droht der Kaiserin mit seinem Tode, wenn diese nicht ihre Liebe eingestehe. Da erscheint als Osiis ex inilvlnni» der Prince de Ligne, der witzige, spöttische Hofmann (der in Wien 1815 starb). Er hat heimlich den rasenden Liebhaber befreit und aus Mitleiden die Kaiserin von ihrer Angst erlöst. Der Schluß ist noch das beste. Maria Theresia verbannt den jungen Unbesonnenen aus dem Lande und bleibt rein, während Katharina mit ihrem Orloff an der Seite beschämt abzieht. Punctum. Ob Herr Castelli wohl dieses Lustspiel übersetzen wird?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/543>, abgerufen am 23.07.2024.