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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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mer schlafen, -- ist in diesem Augenblick in einer kaum zu beschreibenden
Aufregung. Alle die Herrn, denen die Bewachung der Drucksachen, Brochü-
ren, Manuscripte, Kupferstiche u. s. w. anvertraut ist, ja sogar jene berühm¬
ten Bewahrer des Medaillen-Cabinets, welche noch heute sorgfältig die Schub¬
laden und Kästchen aufbewahren, in denen sich die gestohlenen Medaillen be¬
fanden, -- alle diese Herrn sind fortwährend im Zustande der Berathung, um
das Mittel ausfindig zu machen, wie man nächstens mit den seit hundert und
fünfzig Jahren aufgehäuften Pyramiden von Bänden ausziehen soll. Denn es
ist nun fest entschieden, daß sie in ein anderes Local transportirr werden sol¬
len, welches zu der ungeheuren Entwicklung der Literatur und der Ratten
unserer Epoche in richtigeren Verhältniß steht. Der Charivari macht sich
hierüber lustig. "Seit etwa fünzig Jahren," sagt er bei dieser Gelegenheit,
"spricht man von diesem Umzüge. Unter der Republik, unter dem Kaiser¬
reiche, ja selbst während der Restauration war nach einander die Rede davon,
sich mit dieser ungeheuren Arbeit zu beschäftigen, welche allen Pariser Ecken¬
stehern wenigstens ein halbes Jahr zu thun geben wird. Dabei sind noch die
Wagen nicht in Anschlag gebracht, die für den Umzug der Ratten nothwendig
werden, da diese offenbar nicht werden zu Fuße gehen wollen. Will man aber
diese interessanten Vierfüßler in dem lecrwerdenden bisherigen Locale zurück¬
lassen, so muß man befürchten, daß sie von dem Tage an, wo sie keine Bü¬
cher mehr zu zernagen finden werden, heißhungrig über alle Bewohner der
Rue Richelieu herfallen werden. Der gelehrte Director der königlichen Bib¬
liothek (wir meinen den vorigen, den seligen Ban Prack) hatte berechnet, daß
die Anzahl der Ratten sich auf 15,727 belaufe, und er beschäftigte sich sogar
mit den Vorarbeiten zu einem genauen Verzeichniß derselben, als ihn der Tod
seinen Studien entriß. Danach kann man sich nun einen Begriff machen, welchen
Lärm diese große Operation des Anzuges verursachen wird. Man wird uns
vielleicht einwenden, es sei Unrecht gewesen, besagte Ratten so unbegreiflich an¬
wachsen zu lassen und man hätte sie in ihrer Vermählung und Fortpflanzung
stören sollen. Diese Bemerkung bezeugt aber nur eine Unkunoe des Geschäfts¬
ganges, wenigstens soweit es die königliche Bibliothek angeht. Biese zerstö¬
renden Thiere nämlich sind für dieses Institut eine Lebcnsbedinguiig. Jahr
aus Jahr ein zernagen sie durchschnittlich ungefähr 10,000 Bände und nur
durch den Abfluß, den dieser natürliche Canal gewährt, wird Platz für dir
Wogen von neuen Büchern, welche jedes Jahr von den Pariser Buchhändlern
allein in dieses unermeßliche Büchcrmecr fließen. Ohne die Ratten hätte man
schon seit zwanzig Jahren auch nicht das allcrdünnste Oclavbändchcn mehr in


mer schlafen, — ist in diesem Augenblick in einer kaum zu beschreibenden
Aufregung. Alle die Herrn, denen die Bewachung der Drucksachen, Brochü-
ren, Manuscripte, Kupferstiche u. s. w. anvertraut ist, ja sogar jene berühm¬
ten Bewahrer des Medaillen-Cabinets, welche noch heute sorgfältig die Schub¬
laden und Kästchen aufbewahren, in denen sich die gestohlenen Medaillen be¬
fanden, — alle diese Herrn sind fortwährend im Zustande der Berathung, um
das Mittel ausfindig zu machen, wie man nächstens mit den seit hundert und
fünfzig Jahren aufgehäuften Pyramiden von Bänden ausziehen soll. Denn es
ist nun fest entschieden, daß sie in ein anderes Local transportirr werden sol¬
len, welches zu der ungeheuren Entwicklung der Literatur und der Ratten
unserer Epoche in richtigeren Verhältniß steht. Der Charivari macht sich
hierüber lustig. „Seit etwa fünzig Jahren," sagt er bei dieser Gelegenheit,
„spricht man von diesem Umzüge. Unter der Republik, unter dem Kaiser¬
reiche, ja selbst während der Restauration war nach einander die Rede davon,
sich mit dieser ungeheuren Arbeit zu beschäftigen, welche allen Pariser Ecken¬
stehern wenigstens ein halbes Jahr zu thun geben wird. Dabei sind noch die
Wagen nicht in Anschlag gebracht, die für den Umzug der Ratten nothwendig
werden, da diese offenbar nicht werden zu Fuße gehen wollen. Will man aber
diese interessanten Vierfüßler in dem lecrwerdenden bisherigen Locale zurück¬
lassen, so muß man befürchten, daß sie von dem Tage an, wo sie keine Bü¬
cher mehr zu zernagen finden werden, heißhungrig über alle Bewohner der
Rue Richelieu herfallen werden. Der gelehrte Director der königlichen Bib¬
liothek (wir meinen den vorigen, den seligen Ban Prack) hatte berechnet, daß
die Anzahl der Ratten sich auf 15,727 belaufe, und er beschäftigte sich sogar
mit den Vorarbeiten zu einem genauen Verzeichniß derselben, als ihn der Tod
seinen Studien entriß. Danach kann man sich nun einen Begriff machen, welchen
Lärm diese große Operation des Anzuges verursachen wird. Man wird uns
vielleicht einwenden, es sei Unrecht gewesen, besagte Ratten so unbegreiflich an¬
wachsen zu lassen und man hätte sie in ihrer Vermählung und Fortpflanzung
stören sollen. Diese Bemerkung bezeugt aber nur eine Unkunoe des Geschäfts¬
ganges, wenigstens soweit es die königliche Bibliothek angeht. Biese zerstö¬
renden Thiere nämlich sind für dieses Institut eine Lebcnsbedinguiig. Jahr
aus Jahr ein zernagen sie durchschnittlich ungefähr 10,000 Bände und nur
durch den Abfluß, den dieser natürliche Canal gewährt, wird Platz für dir
Wogen von neuen Büchern, welche jedes Jahr von den Pariser Buchhändlern
allein in dieses unermeßliche Büchcrmecr fließen. Ohne die Ratten hätte man
schon seit zwanzig Jahren auch nicht das allcrdünnste Oclavbändchcn mehr in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/540>, abgerufen am 29.06.2024.