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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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glauben wollen? Und doch ist es vollkommen wahr. Meyerbeer
versicherte uns, die Töne dieser Wahnsinnigen, die ihr wie Perlen
entfielen, erinnerten ihn an die berühmte Persiani. Dabei hatte
diese Irre sich bisher hartnäckig geweigert, die Noten zu lernen und
sich dadurch schon mehr als einen sanften Verweis des dirigirenden
Arztes, wie des Gesanglehrers, zugezogen.

Darauf setzte sich Liszt an'ö Pianoforte, um Geraldy zu beglei¬
ten, der für seine Zuhörerschaft von Irren eben so trefflich sang, wie
er es im glänzendsten Pariser Salon zu thun gewohnt ist. Un¬
möglich vermag ich den Eindruck zu beschreiben, den eine erste tra¬
gische Romanze hervorbrachte; auf allen Gesichtern konnte man eine
tiefe, gewaltige Rührung lesen, als der gefühlvolle Sänger seine'
starken, schmerzerfüllter Töne hinwarf. Nach diesen sang Geraldy
das Lied des Wundcrdoctors aus dem "Liebeötrank"; auch hier ward
von allen Zuhörern sowohl der Sinn der Tertworte, als auch der
alle seine Nuancen wiedergebende Gesang eben so richtig aufgefaßt,
als eS der Sänger selbst gethan hatte. Der Tert lautet unter An¬
derem wie folgt: "Ich heile,, singt der Charlatan:

"Des Fiebers wilde Gluth,
Wie auch gcbroch'ne Herzen,
Des Wahnsinns grause Wuth
Und selbst, und selbst Zahnschmerzen."

Das Volkssprichwort sagt, man solle im Hause deö Gehängten
nicht vom Galgen sprechen. Aus diesem Grunde zitterten wir auch
im Voraus, als Geraldy diese Arie begann, da wir wußten, daß
in der Litanei von Krankheiten, die er herzählt, auch der Wahnsinn
vorkomme. Aber der Sänger wiederholte sogar das gefährliche Wort
mehrere Male und die armen Kranken lachten ... Darf ich es wa¬
gen, zu schreiben, wie toll?----

Der Blödsinnige lebt gleich dem Thiere nur durch instinktartige,
von seinem freien Willen unabhängige, innere Antriebe. Nun mache
Man selbst einen Schluß auf den Einfluß der Musik, in Bezug auf
die Behandlung der Geisteskranken, aus der Thatsache, daß eine
Blödsinnige an'dem Gesangunterncht, und der Ausführung der grö¬
ßeren Ensemblestücke einen eben so eifrigen und regen Antheil nimmt,
wie die übrigen mehr oder minder wüthenden Irren und die Un¬
heilbaren.


glauben wollen? Und doch ist es vollkommen wahr. Meyerbeer
versicherte uns, die Töne dieser Wahnsinnigen, die ihr wie Perlen
entfielen, erinnerten ihn an die berühmte Persiani. Dabei hatte
diese Irre sich bisher hartnäckig geweigert, die Noten zu lernen und
sich dadurch schon mehr als einen sanften Verweis des dirigirenden
Arztes, wie des Gesanglehrers, zugezogen.

Darauf setzte sich Liszt an'ö Pianoforte, um Geraldy zu beglei¬
ten, der für seine Zuhörerschaft von Irren eben so trefflich sang, wie
er es im glänzendsten Pariser Salon zu thun gewohnt ist. Un¬
möglich vermag ich den Eindruck zu beschreiben, den eine erste tra¬
gische Romanze hervorbrachte; auf allen Gesichtern konnte man eine
tiefe, gewaltige Rührung lesen, als der gefühlvolle Sänger seine'
starken, schmerzerfüllter Töne hinwarf. Nach diesen sang Geraldy
das Lied des Wundcrdoctors aus dem „Liebeötrank"; auch hier ward
von allen Zuhörern sowohl der Sinn der Tertworte, als auch der
alle seine Nuancen wiedergebende Gesang eben so richtig aufgefaßt,
als eS der Sänger selbst gethan hatte. Der Tert lautet unter An¬
derem wie folgt: „Ich heile,, singt der Charlatan:

„Des Fiebers wilde Gluth,
Wie auch gcbroch'ne Herzen,
Des Wahnsinns grause Wuth
Und selbst, und selbst Zahnschmerzen."

Das Volkssprichwort sagt, man solle im Hause deö Gehängten
nicht vom Galgen sprechen. Aus diesem Grunde zitterten wir auch
im Voraus, als Geraldy diese Arie begann, da wir wußten, daß
in der Litanei von Krankheiten, die er herzählt, auch der Wahnsinn
vorkomme. Aber der Sänger wiederholte sogar das gefährliche Wort
mehrere Male und die armen Kranken lachten ... Darf ich es wa¬
gen, zu schreiben, wie toll?----

Der Blödsinnige lebt gleich dem Thiere nur durch instinktartige,
von seinem freien Willen unabhängige, innere Antriebe. Nun mache
Man selbst einen Schluß auf den Einfluß der Musik, in Bezug auf
die Behandlung der Geisteskranken, aus der Thatsache, daß eine
Blödsinnige an'dem Gesangunterncht, und der Ausführung der grö¬
ßeren Ensemblestücke einen eben so eifrigen und regen Antheil nimmt,
wie die übrigen mehr oder minder wüthenden Irren und die Un¬
heilbaren.


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[0483] glauben wollen? Und doch ist es vollkommen wahr. Meyerbeer versicherte uns, die Töne dieser Wahnsinnigen, die ihr wie Perlen entfielen, erinnerten ihn an die berühmte Persiani. Dabei hatte diese Irre sich bisher hartnäckig geweigert, die Noten zu lernen und sich dadurch schon mehr als einen sanften Verweis des dirigirenden Arztes, wie des Gesanglehrers, zugezogen. Darauf setzte sich Liszt an'ö Pianoforte, um Geraldy zu beglei¬ ten, der für seine Zuhörerschaft von Irren eben so trefflich sang, wie er es im glänzendsten Pariser Salon zu thun gewohnt ist. Un¬ möglich vermag ich den Eindruck zu beschreiben, den eine erste tra¬ gische Romanze hervorbrachte; auf allen Gesichtern konnte man eine tiefe, gewaltige Rührung lesen, als der gefühlvolle Sänger seine' starken, schmerzerfüllter Töne hinwarf. Nach diesen sang Geraldy das Lied des Wundcrdoctors aus dem „Liebeötrank"; auch hier ward von allen Zuhörern sowohl der Sinn der Tertworte, als auch der alle seine Nuancen wiedergebende Gesang eben so richtig aufgefaßt, als eS der Sänger selbst gethan hatte. Der Tert lautet unter An¬ derem wie folgt: „Ich heile,, singt der Charlatan: „Des Fiebers wilde Gluth, Wie auch gcbroch'ne Herzen, Des Wahnsinns grause Wuth Und selbst, und selbst Zahnschmerzen." Das Volkssprichwort sagt, man solle im Hause deö Gehängten nicht vom Galgen sprechen. Aus diesem Grunde zitterten wir auch im Voraus, als Geraldy diese Arie begann, da wir wußten, daß in der Litanei von Krankheiten, die er herzählt, auch der Wahnsinn vorkomme. Aber der Sänger wiederholte sogar das gefährliche Wort mehrere Male und die armen Kranken lachten ... Darf ich es wa¬ gen, zu schreiben, wie toll?---- Der Blödsinnige lebt gleich dem Thiere nur durch instinktartige, von seinem freien Willen unabhängige, innere Antriebe. Nun mache Man selbst einen Schluß auf den Einfluß der Musik, in Bezug auf die Behandlung der Geisteskranken, aus der Thatsache, daß eine Blödsinnige an'dem Gesangunterncht, und der Ausführung der grö¬ ßeren Ensemblestücke einen eben so eifrigen und regen Antheil nimmt, wie die übrigen mehr oder minder wüthenden Irren und die Un¬ heilbaren.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/483>, abgerufen am 26.08.2024.