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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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höhere Bürgerklasse der Wein deS Landes, der in der Umgegend
Lüttich'S und vornehmlich bei dem Städtchen Huy auf den Hügeln
am Ufer der Maas wächst und in den bessern Lagen einen, dem
leichtern Burgunder ähnlichen Geschmack erhält. -- Gegenwärtig
übt aber, vorzüglich auf die untern Klassen, die durch die vielen Di-
stillerien immer mehr um sich greifende Branntweinpest auch hier ih.
ren verderblichen Einfluß aus.

Unter den Volksgebräuchen zeichnen sich einige durch ihre ganz
besondere Eigenthümlichkeit aus. Hierhin gehört vor Allein der so¬
genannte Cramion. Im Frühjahr nämlich sieht man an den war¬
men Abenden nach der Arbeit Mädchen und junge Bursche zu je
20 -- 30, aber jedes Geschlecht besonders, in langen Reihen sich die
Hände reichend, die Straßen durchziehen. Diese verschiedenen Ban¬
den singen Lieder gegen einander, wo denn vorzüglich von Seiten des
männlichen Theils manche derbe Ausdrücke vorkommen, auch ver¬
ketten und verschlingen sich wohl die männlichen und die weiblichen
Reihen unter einander, wobei es an manchem zärtlichen Druck und
andern Liebesbeweisen nicht fehlen kann. So sich neckend und ver¬
folgend, (manchmal ist der weibliche Theil nicht der weniger unter¬
nehmende,) zieht man die Straßen auf und ab und das nennt man
den Cramion, der unter der niedern Volksklasse der wirksamste ^ei-
rathöstifter ist. Findet der Cramion vorzüglich an gewöhnlichen
Abenden und den Vorabenden der Volksfeste statt, so bieten die Letz¬
tern wieder neue Gelegenheit zur Vereinigung der jungen Leute
dar. Damit die vorläufigen Kosten dieser Feste bestritten werden
können, ziehen die gewählten Kirmeßbursche am Samstag Abend, mit
Bändern geziert und Bandstücke gegen freiwilligen Beitrag austhei¬
lend, begleitet von der meistens höchst ärmlichen Musik, durch die
betreffende Pfarrei der Stadt, vor jedem Hause spielend und eine
Beisteuer sammelnd. Von dem so eingekommenen Gelde wird der
Kirmeßbaum auf einem freien Platze aufgerichtet, in seiner Nähe
eine Tribune für die Musikanten construirt und das Pflaster, des
bequemern Tanzens wegen, mit Sand bestreut. Sonntag, Montag
und Donnerstag werden dann wirklich von 4 oder 6 Uhr bis spät
in die Nacht hinein, bei gewöhnlich sehr mangelhafter Beleuchtung,
die Tänze ausgeführt, die meistens aus der etwas eigenthümlich
ausgebildeten französischen Quadrille bestehen ; ein Umstand, der we-


höhere Bürgerklasse der Wein deS Landes, der in der Umgegend
Lüttich'S und vornehmlich bei dem Städtchen Huy auf den Hügeln
am Ufer der Maas wächst und in den bessern Lagen einen, dem
leichtern Burgunder ähnlichen Geschmack erhält. — Gegenwärtig
übt aber, vorzüglich auf die untern Klassen, die durch die vielen Di-
stillerien immer mehr um sich greifende Branntweinpest auch hier ih.
ren verderblichen Einfluß aus.

Unter den Volksgebräuchen zeichnen sich einige durch ihre ganz
besondere Eigenthümlichkeit aus. Hierhin gehört vor Allein der so¬
genannte Cramion. Im Frühjahr nämlich sieht man an den war¬
men Abenden nach der Arbeit Mädchen und junge Bursche zu je
20 — 30, aber jedes Geschlecht besonders, in langen Reihen sich die
Hände reichend, die Straßen durchziehen. Diese verschiedenen Ban¬
den singen Lieder gegen einander, wo denn vorzüglich von Seiten des
männlichen Theils manche derbe Ausdrücke vorkommen, auch ver¬
ketten und verschlingen sich wohl die männlichen und die weiblichen
Reihen unter einander, wobei es an manchem zärtlichen Druck und
andern Liebesbeweisen nicht fehlen kann. So sich neckend und ver¬
folgend, (manchmal ist der weibliche Theil nicht der weniger unter¬
nehmende,) zieht man die Straßen auf und ab und das nennt man
den Cramion, der unter der niedern Volksklasse der wirksamste ^ei-
rathöstifter ist. Findet der Cramion vorzüglich an gewöhnlichen
Abenden und den Vorabenden der Volksfeste statt, so bieten die Letz¬
tern wieder neue Gelegenheit zur Vereinigung der jungen Leute
dar. Damit die vorläufigen Kosten dieser Feste bestritten werden
können, ziehen die gewählten Kirmeßbursche am Samstag Abend, mit
Bändern geziert und Bandstücke gegen freiwilligen Beitrag austhei¬
lend, begleitet von der meistens höchst ärmlichen Musik, durch die
betreffende Pfarrei der Stadt, vor jedem Hause spielend und eine
Beisteuer sammelnd. Von dem so eingekommenen Gelde wird der
Kirmeßbaum auf einem freien Platze aufgerichtet, in seiner Nähe
eine Tribune für die Musikanten construirt und das Pflaster, des
bequemern Tanzens wegen, mit Sand bestreut. Sonntag, Montag
und Donnerstag werden dann wirklich von 4 oder 6 Uhr bis spät
in die Nacht hinein, bei gewöhnlich sehr mangelhafter Beleuchtung,
die Tänze ausgeführt, die meistens aus der etwas eigenthümlich
ausgebildeten französischen Quadrille bestehen ; ein Umstand, der we-


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[0475] höhere Bürgerklasse der Wein deS Landes, der in der Umgegend Lüttich'S und vornehmlich bei dem Städtchen Huy auf den Hügeln am Ufer der Maas wächst und in den bessern Lagen einen, dem leichtern Burgunder ähnlichen Geschmack erhält. — Gegenwärtig übt aber, vorzüglich auf die untern Klassen, die durch die vielen Di- stillerien immer mehr um sich greifende Branntweinpest auch hier ih. ren verderblichen Einfluß aus. Unter den Volksgebräuchen zeichnen sich einige durch ihre ganz besondere Eigenthümlichkeit aus. Hierhin gehört vor Allein der so¬ genannte Cramion. Im Frühjahr nämlich sieht man an den war¬ men Abenden nach der Arbeit Mädchen und junge Bursche zu je 20 — 30, aber jedes Geschlecht besonders, in langen Reihen sich die Hände reichend, die Straßen durchziehen. Diese verschiedenen Ban¬ den singen Lieder gegen einander, wo denn vorzüglich von Seiten des männlichen Theils manche derbe Ausdrücke vorkommen, auch ver¬ ketten und verschlingen sich wohl die männlichen und die weiblichen Reihen unter einander, wobei es an manchem zärtlichen Druck und andern Liebesbeweisen nicht fehlen kann. So sich neckend und ver¬ folgend, (manchmal ist der weibliche Theil nicht der weniger unter¬ nehmende,) zieht man die Straßen auf und ab und das nennt man den Cramion, der unter der niedern Volksklasse der wirksamste ^ei- rathöstifter ist. Findet der Cramion vorzüglich an gewöhnlichen Abenden und den Vorabenden der Volksfeste statt, so bieten die Letz¬ tern wieder neue Gelegenheit zur Vereinigung der jungen Leute dar. Damit die vorläufigen Kosten dieser Feste bestritten werden können, ziehen die gewählten Kirmeßbursche am Samstag Abend, mit Bändern geziert und Bandstücke gegen freiwilligen Beitrag austhei¬ lend, begleitet von der meistens höchst ärmlichen Musik, durch die betreffende Pfarrei der Stadt, vor jedem Hause spielend und eine Beisteuer sammelnd. Von dem so eingekommenen Gelde wird der Kirmeßbaum auf einem freien Platze aufgerichtet, in seiner Nähe eine Tribune für die Musikanten construirt und das Pflaster, des bequemern Tanzens wegen, mit Sand bestreut. Sonntag, Montag und Donnerstag werden dann wirklich von 4 oder 6 Uhr bis spät in die Nacht hinein, bei gewöhnlich sehr mangelhafter Beleuchtung, die Tänze ausgeführt, die meistens aus der etwas eigenthümlich ausgebildeten französischen Quadrille bestehen ; ein Umstand, der we-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/475>, abgerufen am 26.08.2024.