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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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niederländisch wird, ist derselbe der Wallonische. Dieser erstreckt
sich dann auch im engsten Sinne des Wortes durch das ganze Flu߬
gebiet, (mit Ausnahme deS südlichen Theiles der Sambre) und
auf diese Weise erhalten wir, ohne Rücksicht auf politische Einthei-
lung, die deutlichste Abgrenzung dieses Sprach- und Völkerstammes.
Sobald der eben beschriebene Theil des Flußgebietes nach Norden
und Nordwesten zu durchlaufen ist, gelangt man nach Brabant und
Flandern, nach Süden und Südwesten trifft man französische, nach
Osten und Südosten deutsche Sprache.

Wale, Walton, die Benennung deS Bewohners dieses
Landstriches, der nach heutiger Eintheilung die Provinzen Lüttich
und Namur umfaßt, kommt unstreitig von dem alten valuis her und
diese Bezeichnung als Gallier müßte diesem Volksstamme nothwendig
verbleiben, da sie nie eigentlich einen integrirenden Theil deS Fran¬
kenreiches ausmachten, sich stets abgeschlossen hielten und auch in
der That von eigenen Fürsten regiert wurden. Daher liebten sie
es wohl selbst, sich Gallier zu nennen, und auf diese Weise konnte
sich dieser beständig gebrauchte Name leicht in das oben genannte
Wort abschleifen. Die Franken, stolz darauf, den Unterworfenen
ihren Namen einzupflanzen, ließen den Ausdruck Walton erst
nach und nach um sich greifen, während die Flamänder in ihrem
Nationalhaß Franzosen und Wallonen mit dem alten Namen Gal¬
lier oder Walen nannten.

Das Abschließen der Wallonen gegen Außen brachte auf diesen
Volksstamm nun zunächst die Wirkung hervor, daß seine Sprache
sich ganz eigenthümlich gestaltete. Nicht ein verdorbenes, schlecht
ausgesprochenes Französisch, wie dies bei den übrigen Dialekten statt¬
findet, sondern eine aus denselben Grundlagen, wie die französische,
italienische, spanische Sprache sich gebildet habende, sonst aber ganz un¬
abhängige Tochtersprache ist das sogenannte wallonische Patois und
verhält sich also zu den ebengenannten Sprachen ungefähr wie das
Flämische zu dem Hochdeutschen, Dänischen und Schwedischen. Ist es
nicht interessant, die Bemerkung zu machen, daß Belgien auf diese Weise
zwei sich unabhängig von ihren Schwestern entwickelnde Sprach¬
stämme enthält und die Sprache denselben Weg geht, wie die Nation,
die nur gezwungen das fremde Joch ertrug und niemals unbe¬
schränkte Unterjochung duldete! Die Beherrschung der Sprache


niederländisch wird, ist derselbe der Wallonische. Dieser erstreckt
sich dann auch im engsten Sinne des Wortes durch das ganze Flu߬
gebiet, (mit Ausnahme deS südlichen Theiles der Sambre) und
auf diese Weise erhalten wir, ohne Rücksicht auf politische Einthei-
lung, die deutlichste Abgrenzung dieses Sprach- und Völkerstammes.
Sobald der eben beschriebene Theil des Flußgebietes nach Norden
und Nordwesten zu durchlaufen ist, gelangt man nach Brabant und
Flandern, nach Süden und Südwesten trifft man französische, nach
Osten und Südosten deutsche Sprache.

Wale, Walton, die Benennung deS Bewohners dieses
Landstriches, der nach heutiger Eintheilung die Provinzen Lüttich
und Namur umfaßt, kommt unstreitig von dem alten valuis her und
diese Bezeichnung als Gallier müßte diesem Volksstamme nothwendig
verbleiben, da sie nie eigentlich einen integrirenden Theil deS Fran¬
kenreiches ausmachten, sich stets abgeschlossen hielten und auch in
der That von eigenen Fürsten regiert wurden. Daher liebten sie
es wohl selbst, sich Gallier zu nennen, und auf diese Weise konnte
sich dieser beständig gebrauchte Name leicht in das oben genannte
Wort abschleifen. Die Franken, stolz darauf, den Unterworfenen
ihren Namen einzupflanzen, ließen den Ausdruck Walton erst
nach und nach um sich greifen, während die Flamänder in ihrem
Nationalhaß Franzosen und Wallonen mit dem alten Namen Gal¬
lier oder Walen nannten.

Das Abschließen der Wallonen gegen Außen brachte auf diesen
Volksstamm nun zunächst die Wirkung hervor, daß seine Sprache
sich ganz eigenthümlich gestaltete. Nicht ein verdorbenes, schlecht
ausgesprochenes Französisch, wie dies bei den übrigen Dialekten statt¬
findet, sondern eine aus denselben Grundlagen, wie die französische,
italienische, spanische Sprache sich gebildet habende, sonst aber ganz un¬
abhängige Tochtersprache ist das sogenannte wallonische Patois und
verhält sich also zu den ebengenannten Sprachen ungefähr wie das
Flämische zu dem Hochdeutschen, Dänischen und Schwedischen. Ist es
nicht interessant, die Bemerkung zu machen, daß Belgien auf diese Weise
zwei sich unabhängig von ihren Schwestern entwickelnde Sprach¬
stämme enthält und die Sprache denselben Weg geht, wie die Nation,
die nur gezwungen das fremde Joch ertrug und niemals unbe¬
schränkte Unterjochung duldete! Die Beherrschung der Sprache


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[0469] niederländisch wird, ist derselbe der Wallonische. Dieser erstreckt sich dann auch im engsten Sinne des Wortes durch das ganze Flu߬ gebiet, (mit Ausnahme deS südlichen Theiles der Sambre) und auf diese Weise erhalten wir, ohne Rücksicht auf politische Einthei- lung, die deutlichste Abgrenzung dieses Sprach- und Völkerstammes. Sobald der eben beschriebene Theil des Flußgebietes nach Norden und Nordwesten zu durchlaufen ist, gelangt man nach Brabant und Flandern, nach Süden und Südwesten trifft man französische, nach Osten und Südosten deutsche Sprache. Wale, Walton, die Benennung deS Bewohners dieses Landstriches, der nach heutiger Eintheilung die Provinzen Lüttich und Namur umfaßt, kommt unstreitig von dem alten valuis her und diese Bezeichnung als Gallier müßte diesem Volksstamme nothwendig verbleiben, da sie nie eigentlich einen integrirenden Theil deS Fran¬ kenreiches ausmachten, sich stets abgeschlossen hielten und auch in der That von eigenen Fürsten regiert wurden. Daher liebten sie es wohl selbst, sich Gallier zu nennen, und auf diese Weise konnte sich dieser beständig gebrauchte Name leicht in das oben genannte Wort abschleifen. Die Franken, stolz darauf, den Unterworfenen ihren Namen einzupflanzen, ließen den Ausdruck Walton erst nach und nach um sich greifen, während die Flamänder in ihrem Nationalhaß Franzosen und Wallonen mit dem alten Namen Gal¬ lier oder Walen nannten. Das Abschließen der Wallonen gegen Außen brachte auf diesen Volksstamm nun zunächst die Wirkung hervor, daß seine Sprache sich ganz eigenthümlich gestaltete. Nicht ein verdorbenes, schlecht ausgesprochenes Französisch, wie dies bei den übrigen Dialekten statt¬ findet, sondern eine aus denselben Grundlagen, wie die französische, italienische, spanische Sprache sich gebildet habende, sonst aber ganz un¬ abhängige Tochtersprache ist das sogenannte wallonische Patois und verhält sich also zu den ebengenannten Sprachen ungefähr wie das Flämische zu dem Hochdeutschen, Dänischen und Schwedischen. Ist es nicht interessant, die Bemerkung zu machen, daß Belgien auf diese Weise zwei sich unabhängig von ihren Schwestern entwickelnde Sprach¬ stämme enthält und die Sprache denselben Weg geht, wie die Nation, die nur gezwungen das fremde Joch ertrug und niemals unbe¬ schränkte Unterjochung duldete! Die Beherrschung der Sprache

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/469>, abgerufen am 26.08.2024.