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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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deutsch-holländisch ist, daß sie diesen Charakter der einzelnen Stämme
wenigstens in der ganzen Breite ihres Flußgebietes beibehält.

Ein interessanter Fluß ist die Maas in jeder Beziehung. Ver¬
gleicht man sie mit dem kräftigen, männlich starken Rheine, so stellt
sie sich bald im Gegensatze zu diesem in wahrhaft weiblichem Cha¬
rakter dar.

In einer dunkeln Ecke des wasgauischen Gebirges, an der Ab¬
dachung der Hochebene von Langres entsprungen, fließt sie dahin in sanft
sich absenkendem Thale, fast in gerader Linie, unbeachtet, wie ein still
beschauliches, nur mit sich selbst spielendes Mädchen. Nach und nach
offner sich ihrem Laufe ein breiteres Thal, mit entfernteren schwel¬
lenden Hügeln, den dunkeln Träumen der heranwachsenden Jungfrau,
die mit den ersten Schiffen in die Jahre der Mannbarkeit ge¬
treten, nun allmälig (hinter Glock) anfängt, Felsen in Phantastischen
Gebilden um sich aufzuthürmm. Alles verräth die Munterkeit und
Schwärmeret des jungfräulichen Geistes; nun nimmt sie die Lesse
auf: wie begierig horcht sie den Erzählungen, die diese neue Freundin
ihr von ihrer unterirdischen Fahrt") vertraut, -- immer kühner
wird ihr phantastischer Geist in seinen Gebilden, schroff aufsteigende
Felsen umgeben sie und nur mit Mühe drängt sich ein Städtchen
(Dinant) zwischen sie und die himmelanstrebenden Steinmassen.
Aber ihre weibliche Natur läßt sie sich nicht zu lange entfernen von
den sanfteren Gefühlen; da tritt sie aus den schroffen Umgebungen
heraus, grüne Wiesen bekränzen ihre Ufer, die Hirtenflöte ertönt
von den sanften Abhängen, wo die Heerde graset, freundliche Land¬
häuser mit Gärten und Feldern lagern sich an ihrem Strande, freu¬
dig trägt sie schwerere Schiffe und zeitenweise duldet sie selbst die
größere Last des sie bis in die innerste Tiefe erschütternden Dampf¬
bootes.

Doch nicht gänzlich hat ihr romantischer Sinn sie verlassen
und von mädchenhafter Laune ist sie noch nicht befreit. Noch erhe¬
ben sich von Zeit zu Zeit sonderbar geformte Felögestaltungen
an ihrem Strande, sie erfreut sich an plötzlichen, unvermutheten Wen¬
dungen und schiebt dem sie beherrschen wollenden Menschen Klippen,
Sandbänke und Untiefen in den Weg, oder reißt das Schiff in



Durch die Tropfstein-Höhle von Heu, die dieser Bach durchflics-t.
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deutsch-holländisch ist, daß sie diesen Charakter der einzelnen Stämme
wenigstens in der ganzen Breite ihres Flußgebietes beibehält.

Ein interessanter Fluß ist die Maas in jeder Beziehung. Ver¬
gleicht man sie mit dem kräftigen, männlich starken Rheine, so stellt
sie sich bald im Gegensatze zu diesem in wahrhaft weiblichem Cha¬
rakter dar.

In einer dunkeln Ecke des wasgauischen Gebirges, an der Ab¬
dachung der Hochebene von Langres entsprungen, fließt sie dahin in sanft
sich absenkendem Thale, fast in gerader Linie, unbeachtet, wie ein still
beschauliches, nur mit sich selbst spielendes Mädchen. Nach und nach
offner sich ihrem Laufe ein breiteres Thal, mit entfernteren schwel¬
lenden Hügeln, den dunkeln Träumen der heranwachsenden Jungfrau,
die mit den ersten Schiffen in die Jahre der Mannbarkeit ge¬
treten, nun allmälig (hinter Glock) anfängt, Felsen in Phantastischen
Gebilden um sich aufzuthürmm. Alles verräth die Munterkeit und
Schwärmeret des jungfräulichen Geistes; nun nimmt sie die Lesse
auf: wie begierig horcht sie den Erzählungen, die diese neue Freundin
ihr von ihrer unterirdischen Fahrt») vertraut, — immer kühner
wird ihr phantastischer Geist in seinen Gebilden, schroff aufsteigende
Felsen umgeben sie und nur mit Mühe drängt sich ein Städtchen
(Dinant) zwischen sie und die himmelanstrebenden Steinmassen.
Aber ihre weibliche Natur läßt sie sich nicht zu lange entfernen von
den sanfteren Gefühlen; da tritt sie aus den schroffen Umgebungen
heraus, grüne Wiesen bekränzen ihre Ufer, die Hirtenflöte ertönt
von den sanften Abhängen, wo die Heerde graset, freundliche Land¬
häuser mit Gärten und Feldern lagern sich an ihrem Strande, freu¬
dig trägt sie schwerere Schiffe und zeitenweise duldet sie selbst die
größere Last des sie bis in die innerste Tiefe erschütternden Dampf¬
bootes.

Doch nicht gänzlich hat ihr romantischer Sinn sie verlassen
und von mädchenhafter Laune ist sie noch nicht befreit. Noch erhe¬
ben sich von Zeit zu Zeit sonderbar geformte Felögestaltungen
an ihrem Strande, sie erfreut sich an plötzlichen, unvermutheten Wen¬
dungen und schiebt dem sie beherrschen wollenden Menschen Klippen,
Sandbänke und Untiefen in den Weg, oder reißt das Schiff in



Durch die Tropfstein-Höhle von Heu, die dieser Bach durchflics-t.
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[0467] deutsch-holländisch ist, daß sie diesen Charakter der einzelnen Stämme wenigstens in der ganzen Breite ihres Flußgebietes beibehält. Ein interessanter Fluß ist die Maas in jeder Beziehung. Ver¬ gleicht man sie mit dem kräftigen, männlich starken Rheine, so stellt sie sich bald im Gegensatze zu diesem in wahrhaft weiblichem Cha¬ rakter dar. In einer dunkeln Ecke des wasgauischen Gebirges, an der Ab¬ dachung der Hochebene von Langres entsprungen, fließt sie dahin in sanft sich absenkendem Thale, fast in gerader Linie, unbeachtet, wie ein still beschauliches, nur mit sich selbst spielendes Mädchen. Nach und nach offner sich ihrem Laufe ein breiteres Thal, mit entfernteren schwel¬ lenden Hügeln, den dunkeln Träumen der heranwachsenden Jungfrau, die mit den ersten Schiffen in die Jahre der Mannbarkeit ge¬ treten, nun allmälig (hinter Glock) anfängt, Felsen in Phantastischen Gebilden um sich aufzuthürmm. Alles verräth die Munterkeit und Schwärmeret des jungfräulichen Geistes; nun nimmt sie die Lesse auf: wie begierig horcht sie den Erzählungen, die diese neue Freundin ihr von ihrer unterirdischen Fahrt») vertraut, — immer kühner wird ihr phantastischer Geist in seinen Gebilden, schroff aufsteigende Felsen umgeben sie und nur mit Mühe drängt sich ein Städtchen (Dinant) zwischen sie und die himmelanstrebenden Steinmassen. Aber ihre weibliche Natur läßt sie sich nicht zu lange entfernen von den sanfteren Gefühlen; da tritt sie aus den schroffen Umgebungen heraus, grüne Wiesen bekränzen ihre Ufer, die Hirtenflöte ertönt von den sanften Abhängen, wo die Heerde graset, freundliche Land¬ häuser mit Gärten und Feldern lagern sich an ihrem Strande, freu¬ dig trägt sie schwerere Schiffe und zeitenweise duldet sie selbst die größere Last des sie bis in die innerste Tiefe erschütternden Dampf¬ bootes. Doch nicht gänzlich hat ihr romantischer Sinn sie verlassen und von mädchenhafter Laune ist sie noch nicht befreit. Noch erhe¬ ben sich von Zeit zu Zeit sonderbar geformte Felögestaltungen an ihrem Strande, sie erfreut sich an plötzlichen, unvermutheten Wen¬ dungen und schiebt dem sie beherrschen wollenden Menschen Klippen, Sandbänke und Untiefen in den Weg, oder reißt das Schiff in Durch die Tropfstein-Höhle von Heu, die dieser Bach durchflics-t. ' 31

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/467>, abgerufen am 23.07.2024.